Medialeistung und Werbewirkung im Zeitalter der Medienkonvergenz – Vergleich von Äpfeln mit Birnen?

Michael Pusler (Media Market Insights)

Von Michael Pusler, Director Strategic Research bei der Media Market Insights GmbH (Hubert Burda Media).

"Medienkonvergenz" ist mittlerweile das Zauberwort der Medienbranche. Wenn es um die Bestimmung der Leistung einzelner Medienkanäle bzw. Werbeträger geht, ist dies allerdings ein recht unwegsames Gelände. Für die Mediaforscher mutet dieses Terrain zuweilen gar wie ein wilder Dschungel mit einer Unmenge an Herausforderungen im Dickicht der methodischen Details einzelner Medienkanäle an. Grund hierfür sind - trotz konsensbasierter medienübergreifender Forschungsgremien wie der Arbeitsgemeinschaft Media Analyse ag.ma - die durch die Mediengattungen über Jahre in ihren Forschungs-Stuben vorgenommenen, immer ausgeklügelteren, und elaborierteren Modifikationen auf der Ebene der Kontaktbestimmung, der für die Reichweitenforschung der Werbeträger relevanten Bezugsgröße, die über dieses Eigenleben so fast nicht mehr vergleichbar sind.
Nimmt man z. B. den Zeitbezug  zur Bestimmung des Werbeträgerkontaktes (eine zentrale Größe in der Werbeträgerforschung)  bei denjenigen Medien mit täglicher Aktualisierung (Tageszeitungen, Internet, Radio, TV), so wird dies deutlicher: das Internet beispielsweise legt hier die durchschnittliche Woche zugrunde, die Tageszeitungen den Leser pro Tag, der Hörfunk den Hörer pro Stunde und schließlich das Fernsehen den Seher pro halber Stunde. So variieren die Netto- TKP´s (Tausend-Kontakt-Preise) zwischen den Medien massiv, eine Parität hierüber (selbst bei Betrachtung der offiziell ausgewiesenen Brutto-Spendings, d.h., auch bei den Brutto-TKP´s) scheint nicht herstellbar zu sein.
Dies macht deutlich, wie schwierig es ist, zu einer vergleichenden Bewertung der Werbe- und Kommunikationswirkung über die verschiedenen Kanäle hinweg, d.h. crossmedial zu gelangen. Das geflügelte Wort vom Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen kommt daher schnell auf. Ganz abgesehen davon, dass eine Vergleichbarkeit sowohl im Sinne eines politischen Konsenses aller Mediengattungen als auch unter mess- und erhebungstechnischen Gesichtspunkten Wunschdenken bleiben dürfte.

Die verschlungenen Pfade zum Thema  Medienkonvergenz werden möglicherweise leichter identifizierbar und für den Werbungtreibenden erkenntnisreicher, wenn man von der Reichweitenforschung zur Werbewirkungsforschung wechselt. Die Erfahrung im Bereich der Werbewirkungsforschung lehrt uns hier ein Verständnis für die Besonderheiten der Qualitäten der einzelnen Medienkanäle und deren Wirkungsweise im Zusammenspiel.
Sie bedient sich dabei weiterer Forschungsdisziplinen, die qualitativen Input für die Aufgabenstellung liefern können. Die Hirn- oder Neuroforschung z. B. weist mittlerweile Wege auf, wie wir so genannte "Rezeptionsqualitäten" für die verschiedenen Medien in ihrer Funktion als Werbeträger bewerten können. Sie lehrt uns beispielsweise, dass eine zeitliche Taktung (3 Sekunden als Wahrnehmungseinheit nach Prof. Ernst Pöppel, Hirnforscher an der Universität München) das Memorieren von Markenbotschaften erleichtert, Reizüberflutung zu mentalem Stress führt und durch den Organismus aufwändig reguliert werden muss, was sehr energieintensiv und teilweise sogar mit Aversionen verbunden ist. Während "statische" Medien wie Publikumszeitschriften, Tageszeitungen oder Plakate mit geringer "mentaler Energie" häufig implizite, dem Bewusstsein nicht vollständig zugängliche Effekte auslösen, erzeugen dynamische Bewegtbild-Angebote insbesondere im Fernsehen nicht selten (starke) aufmerksamkeitsinduzierende Emotionalisierungen, die mitunter aber den werblichen Erfolg von Markenkommunikation einschränken können (das Sujet bzw. Motiv dominiert dann über die Absenderwirkung, das "Lernen" der Werbung treibenden Marke gerät in den Hintergrund).
Man sieht hier bereits deutlich, dass die Kanäle zu ganz unterschiedlichen Wirkungseffekten führen, was allerdings auch niemanden verwundern dürfte.

Verwunderlich ist vielmehr, und das zeigt, das hier noch viel Optimierungspotenzial besteht, dass in vielen Untersuchungen, gerade auch in zahlreich durchgeführten kontinuierlichen Werbetrackings, immer wieder dieselben Parameter miteinander verglichen werden. Es wird so unterstellt, dass alle Kanäle die gleichen "Chancen" besitzen, Bekanntheit aufzubauen, Sympathie zu erzeugen oder der beworbenen Marke Glaubwürdigkeit zu verleihen. Man stellt dann gerne die Medien über ihre jeweiligen Werbeausgaben mit der erzielten Wirkung in diesen Größen unmittelbar gegenüber. Es wäre hier sicher ratsamer, zunächst einmal den Blick darauf zu richten, ob dies so überhaupt zutrifft. Vorstellbar zur Beantwortung dieser Frage  - gerade auch aus Daten von Werbewirkungstrackings - ist hierzu z. B. ein regressionsanalytisches Verfahren, dass den Einfluss von Bekanntheit, Sympathie oder Glaubwürdigkeit über mehrere Messpunkte über die Zeit hinweg für eine Marke auf den Kommunikationserfolg (operationalisiert z. B. über die Kaufbereitschaft) - getrennt nach Kontakten- oder Kontaktklassen über Medienkanäle - ermittelt. Dabei gilt es, möglichst feingranular , die verschiedensten Kontakt(mengen- und -mix-)kombinationen als unabhängige Variable gegen die abhängige Variable (z. B. Kaufbereitschaft, Loyalität, Wiederkaufabsicht) in ihrer Wirkungsmechanik zu analysieren. Man sollte dadurch gezielt die Frage beantworten können, wie wirksam z. B. der Medienkanal Zeitschrift oder die Kombination aus Zeitschrift und Online oder beides in Verbindung mit TV differenziert. Und zwar nach unterschiedlichen Kontaktmengen und Mix-Verhältnissen (mengenanteilig, z. B. 10-20% PZ + 30-40% TV etc.) und verschiedene Ausprägungen hinsichtlich der messbaren Einflüsse auf z. B. die Markenbekanntheit oder Kaufbereitschaft zu einer untersuchten Marke, die wirbt.

Für eine Kommunikationsberatung kann dann der Wert in der Beantwortung von Fragen liegen wie z. B., welche Effekte Etatverlagerungen im Media-Mix für die einzelnen Wirkindikatoren mit sich bringen. D. h. in anderen Worten, wie reagibel z. B.  die Bekanntheit oder der Kauf einer Marke auf die unterschiedlichsten Werbeträger-/Kontaktklassen bzw. -mengen ist. Komplexe Wirkungszusammenhänge lassen sich methodisch auch über Strukturgleichungsmodelle darstellen, denen dann aber bereits Annahmen über das Zusammenspiel von Messgrößen (den so genannten latenten Variablen) vorausgehen müssen. Diese Verfahren sind daher mathematisch zwar sehr viel komplexer und erfordern methodische Mehrarbeit, die aber auch durch verbesserte Erkenntnisse belohnt werden kann. In wissenschaftlichen Werbewirkungsmodellen hat man diese Annahmen - z. B. in der Differenzierung von low- vs. high-involment-Kommunikation im "Elaboration-likelihood-Modell" (ELM) nach Petty & Cacioppo (1986) - ja bereits vorliegen. Kurz zum Hintergrund des ELM: das Modell unterstellt unterschiedliche Informationsverarbeitungsprozesse, je nachdem, ob Werbung nebenbei, häufig unterschwellig, oder aber aktiv und bewusst rezipiert, d.h. wahrgenommen wird. Aktives Memorieren führt z. B. eher zu einer Einstellungsänderung gegenüber der beworbenen Marke, während passive Rezeption (manchmal) zwar Kaufverhalten auslösen kann, häufig aber keinen oder nur einen geringen Einfluss auf langfristige und nachhaltige Absenderbindung zur Folge hat (allenfalls dann, wenn das Produkterlebnis derart beeindruckend war, dass dadurch Wiederholungskäufe ausgelöst werden und sich so rückwirkend die Produktattribution ändert, indem z. B. ein positives Image entsteht). Das wiederum setzt allerdings zur Beantwortung der Frage der Einflüsse der verschiedenen Werbeträger auf den Kommunikationserfolg der Kampagne - und das sollte ebenso selbstverständlich sein wie es leider in der Praxis allzu oft vernachlässigt wird (!) -  die Vorab-Bestimmung der Zielrichtung bzw. Aufgabenstellung der Kommunikation auch für die anschließende Ex-post-Analyse voraus.
Die Forschungsmethodik bzw. das entsprechende Forschungsmodell zur Bewertung der jeweiligen crossmedialen Einflussgewichte muss folglich ein anderes sein, je nachdem, ob z. B. primär Aktivierung zu Impulskäufen, wie beispielsweise im Bereich der schnell drehenden Konsumgüter favorisiert, Imagewerbung für die Bindung und den Wiederkauf, wie dies häufig bei Pkw-Werbung der Fall ist, oder aber die Übermittlung von Produktinformation wie häufig bei Finanzmarktwerbung, das primäre Ziel ist. Solche unterschiedlichen "Wirkungsweisen" vorauszusetzen ist sicher der angemessenste Weg, um Medienbeiträge für Kommunikationsaufgaben im Medienvergleich methodisch korrekt untersuchen zu können. Und ganz wichtig ist zudem: das Ganze muss anhand konkreter Kampagnen passieren, denn nur dort sind Kommunikationsziele klar und eindeutig festgelegt (oder sollten dies zumindest sein). Eine Durchschnittsbildung über teilweise sehr heterogene Kampagnen ist hierbei wenig hilfreich, sie verwischt viele Effekte.
Allenfalls ließen sich Kampagnen mit derselben kommunikativen Zielsetzung gruppieren. Man muss dann schließlich auch das Ergebnis bzw. die Bewertung auf diese konkreten Kommunikationsziele ausrichten, etwa der Gestalt: "der Media-Mix mit mittlerer Frequenz erbringt bei imagebildender Werbung die beste Performance" und nicht einfach der Frage nachgehen "Media-Mix xy ist per se besser als der Mix yz".
Möglicherweise nur so lässt sich crossmedial valide das vergleichen, das sonst nicht vergleichbar ist und dem Anspruch valider Medienkonvergenz-Forschung gerecht werden. Und Äpfel und Birnen liegen dann in derselben Schale zum Verzehr.

Im übrigen: Der Ad Impact Monitor (kurz AIM), 2008/09 initiiert durch den Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) und seit 2011 geführt als AIM e. V., stellt hier den (möglicherweise ersten ernsthaften) Versuch dar, über eine Forschungskorporative ein Forschungsthema (Werbewirkung) marktübergreifend (für die Gattung Publikumszeitschriften) und umfassend (alle Mediengattungen sollen bestmöglich dargestellt werden) zu untersuchen.
Solche Konsortialstudien dienen dem Ziel, die Diskussion um Wirkungsleistung (wieder) zur gemeinsamen Sprache aller Marktpartner in der Werbewirtschaft werden zu lassen. Werbeeffizienz ist letztlich ja nicht nur die Frage nach dem Optimum an Einsparung oder günstiger Einkaufskonditionen, sondern in erster Linie nach der Beantwortung der Frage der kommunikativen Wirksamkeit, also Effektivität von Kommunikationsmaßnahmen. Sicherlich heutzutage unter dem Primat der (kurzfristigen) Wirtschaftlichkeit, weniger der (zwar häufig beschworenen, letztlich aber selten ausschlaggebenden) Nachhaltigkeit. Und das möglichst einheitlich und verbindlich für alle Marktpartner.
Dies wiederum kann erzielt werden durch eine Forschungskorporative, die für den Werbemarkt möglicherweise analog des Beispiels der Arbeitsgemeinschaft Mediaforschung (ag.ma) in eine - noch zu gründende - Arbeitsgemeinschaft Werbewirkungsanalyse ("ag.wa") mündet und dabei alle relevanten Marktpartner unter einem Dach versammelt.

 

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