Britta Schmitz und Robert Wucher, GfK Mass Marketing oder Targeting: Segmentierung auf dem Kopf

Auf den Kopf gestellt – der neue Growth-Architect-Ansatz von GfK soll eine besonders erfolgreiche Segmentierung ermöglichen. (Bild: picture alliance / SvenSimon | FrankHoermann/SVEN SIMON)
Die Segmentierung des Marktes ist für Unternehmen ein unverzichtbares strategisches Instrument, um relevante Zielgruppen auszuwählen und optimal zu bedienen. Aktuelle Herausforderungen der Weltwirtschaft wie Inflation und Energiekrise verändern das Verhalten und die Einstellungen von Konsumenten. Das zwingt Unternehmen, jetzt ihre etablierten Kundensegmente zu hinterfragen und zu überdenken, denn die erfolgreiche Segmentierung von gestern gilt heute nicht mehr. Die notwendige Anpassung des Targetings ist in der Marketing-Praxis jedoch häufig nur mit einem großen Kosten- und Zeitaufwand möglich. Deswegen ist es in volatilen Zeiten wichtiger denn je, Segmentierung neu zu denken.
Klassische Segmentierungen konzentrieren sich darauf, Kundensegmente anhand relevanter Merkmale möglichst scharf voneinander abzugrenzen und die erfolgversprechendsten und für das Unternehmen geeignetsten Segmente zu identifizieren. Anschließend können Positionierungs- und Marketingstrategien sowie entsprechende Marketing-Maßnahmen optimal auf die verschiedenen Segmente ausgerichtet werden, um die ausgewählten Konsumentengruppen gezielt zu aktivieren – und um Umsatz und Gewinn zu steigern. Man pflückt gewissermaßen die „Low Hanging Fruits“ im Markt.
Das Problem dabei: Durch eine ausschließliche Fokussierung auf einzelne Segmente wird nur ein Teil des Marktes adressiert und die restlichen Früchte bleiben sinnbildlich am Baum hängen. Zur Sicherung des langfristigen Markterfolgs muss man jedoch den gesamten Markt im Blick haben.
Käufersegmente abseits der Kernzielgruppe erschließen
Die große Frage ist: Welche Maßnahmen muss ein Unternehmen ergreifen, um beides zu schaffen; gezieltes Targeting und eine Erhöhung der Reichweite sowie Relevanz im Gesamtmarkt? Wie können Käufersegmente erschlossen werden, die zwar aktuell nicht zur Kernzielgruppe gehören, aber notwendig sind, um die Basis für nachhaltiges Wachstum zu schaffen?
Der neue GfK-Ansatz trägt diesem vermeintlichen Widerspruch zwischen enger und fokussierter Zielgruppenansprache und breiter Marktbearbeitung Rechnung – und stellt dadurch die bisherige Segmentierungsdenke auf den Kopf. Denn GfK Growth Architect endet nicht damit, die erfolgversprechendsten Segmente und Marktchancen zu identifizieren und daraus lediglich Targeting-Strategien abzuleiten. Vielmehr geht der Ansatz einen Schritt weiter und sucht nach Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Kundensegmenten. Das ermöglicht, diese Themen mit breit angelegten Kampagnen im Gesamtmarkt für ein langfristiges Brand Building zu spielen und die Reichweite zu erhöhen. Um im Bild zu bleiben:
Es reicht nicht, nur die tief hängenden Früchte zu pflücken, man muss den Baum auch kontinuierlich wässern, damit genug nachwächst – der Brand Funnel also nicht austrocknet.
Relevante Themen in Brandkampagnen spielen
Wie bereits angedeutet, besteht der Kern des neuen GfK-Ansatzes darin, nicht nur die relevanten Unterschiede zwischen Kundensegmenten zu identifizieren, sondern auch die Gemeinsamkeiten. Wichtig dabei ist, dass es nicht um den einfachen Marktdurchschnitt geht, denn es gibt keinen durchschnittlichen Konsumierenden. Stattdessen geht es neben einer gründlichen Marktsegmentierung auch um das Erkennen und Herausarbeiten der Themen, die für möglichst viele Konsumierende relevant sind, um diese dann in Brandkampagnen zu spielen. Auf diese Weise wird auch das Brand Building und die Reichweite im Markt verbessert. Das vermeidet die typischen Streuverluste und ermöglicht, mit den gewünschten Kernzielgruppen effektiv zu kommunizieren, ohne den Rest des Marktes zu verprellen.
Konsumierende, die nicht zur Kernzielgruppe gehören, haben dann die Marke dennoch im Hinterkopf, wenn später eine Kaufentscheidung ansteht.
Marketing-Praxis: Das Mitdecken weiterer Zielgruppen
Im ersten Schritt unterscheidet sich der Growth-Architect-Ansatz nicht von einer klassischen Segmentierung: Nach der analytischen Identifizierung und Ausarbeitung möglicher Segmente sowie der Auswahl relevanter Segmente erfolgt eine detaillierte Beschreibung der Zielgruppen. Diese münden in Empfehlungen, wie über welche Kanäle und Touchpoints und in welcher Tonalität sich die Zielgruppen effektiv erreichen lassen. Dabei geht es natürlich auch darum, passende Produkte zu identifizieren und die richtigen Preispunkte zu setzen. In der Regel wird das gemeinsam mit dem Kunden erarbeitet.
Wichtiger Bestandteil des Growth Architect ist es, der bisherigen Analyse einen detaillierten Report hinzuzufügen, der als „Long Time Playbook“ konzipiert ist, um über die Kernzielgruppe hinaus zusätzliche Kunden zu erreichen. Darin finden sich zum Beispiel Informationen, welche weiteren Zielgruppen ein Unternehmen bereits in aktuellen Marketingmaßnahmen mitdenken kann und wie es gelingt, mit einer Kombination aus Unterschieden und Gemeinsamkeiten den Markt als Ganzes zu betrachten.
Beispiel: Ein Hersteller von Naturkosmetik
Verdeutlichen wir den Ansatz an einem Beispiel: Die Segmentierung des Marktes für einen Hersteller von Naturkosmetik hat ergeben, dass es insgesamt sieben klar voneinander abgrenzbare Zielgruppen gibt. Zwei dieser Segmente zeigen ein besonders hohes Involvement für Naturkosmetik und passen besonders gut zur aktuellen Markenpositionierung. Sie stehen daher im strategischen Fokus der Marketingaktivitäten. Dies sind in der Regel Performance-Kampagnen, bei denen die Produkte und die Auslobung ihrer Benefits oder Features im kommunikativen Fokus stehen. Die gezielte Bearbeitung und Aktivierung der beiden Kernsegmente ermöglichen einen direkten beziehungsweise kurzfristig erzielbaren Markterfolg. Zur Sicherung des langfristigen Markterfolgs muss – entsprechend des Growth Architect-Ansatzes – allerdings auch der Rest des Marktes im Visier sein.
Dafür geht es nun darum, mit gezielten Analysen herauszufinden, welche Gemeinsamkeiten die beiden Kernsegmente mit zukünftig attraktiven Segmenten haben. Die Segmente sind vielleicht unterschiedlich hinsichtlich ihrer Produktpräferenzen und ihrer Affinität zu Naturkosmetik, teilen jedoch ähnliche Wertvorstellungen hinsichtlich Nachhaltigkeit, Lifestyle oder Authentizität. Ziel muss somit sein, die Marke mit diesen Themen zu verbinden, um den „Mental Share“ außerhalb der beiden Kernzielgruppen zu erhöhen. Durch Kommunikations- und Marketingmaßnahmen, die sich auf Nachhaltigkeit, einen grünen Lebensstil und authentisches Auftreten in Zusammenhang mit unserem Naturkosmetikhersteller konzentrieren, wird auch bei Randzielgruppen die Aufmerksamkeit für die Marke erhöht. Bei der nächsten Kaufentscheidung ist der Hersteller bei seinen Kern- und Randzielgruppen im Relevant Set für Kosmetik.
Umfangreiche Befragungen in relevanten Zielmärkten
Basis einer solchen Segmentierungsstudie mit Growth Architect sind valide Befragungsdaten. Im Ergebnis erhält der Kunde sogenannte Playbooks mit konkreten kundenindividuellen, auf die Bedürfnisse und Fragestellungen des Unternehmens zugeschnittenen Handlungsempfehlungen, sowohl für die kurzfristige Aktivierung der Kernsegmente als auch für das langfristige Brand Building. Eine solche Studie inklusive Erarbeitung der Empfehlungen und Playbooks benötigt etwa drei Monate. Sie ist ‒ wenn es keine großen Umbrüche im Markt gibt ‒ für fünf Jahre oder länger gültig und damit die geeignete Grundlage für eine langfristige Strategie.
Über die Personen
Britta Schmitz ist seit 1996 bei GfK tätig und berät lokale und globale Kunden in allen Fragen der Marken- und Konsumentenforschung. Ihr Beratungsschwerpunkt sind strategische Consumer Insights Projekte mit besonderem Fokus auf Segmentierung und Market Opportunities. Britta Schmitz ist Diplom-Kauffrau mit den Studienfächern Marketing, Kommunikation und internationales Management.
Robert Wucher ist Regional Director Marketing & Consumer Intelligence Northern, Central and Eastern Europe bei GfK in Nürnberg. Er ist seit mehr als 25 Jahren beim Unternehmen und war in unterschiedlichen leitenden Vertriebs- und Beratungspositionen für das Data-Analytics-Unternehmen tätig.
Weitere Informationen zum Unternehmen auf marktforschung.de:

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