Christopher Harms, SKOPOS Marktforschung x Data Science: Synergien für die optimale Kundenbeziehung nutzen

Wie können Data Science und Marktforschung in Zukunft zusammenarbeiten? Christopher Harms, Lead Data Scientist bei SKOPOS stellt in diesem Beitrag drei mögliche Szenarien vor.

Unternehmen investieren zunehmend in Analyticsabteilungen, die sich strategisch relevanten Fragestellungen widmen sollen. Die Erwartungen, die mit Analytics und Data Science verbunden sind, sind enorm. In diesen Abteilungen werden Fragestellungen mit Bezug auf Kunden selten mit Befragungsdaten untersucht, sondern eher auf Basis von Kundenstamm-, Transaktions- oder anderen Verhaltensdaten.

Während einige Unternehmen bereits Marktforschung und Analytics als zwei Seiten einer Medaille betrachten und die Abteilungen zusammenlegen, sind andernorts Marktforscher zu nehmend unter Druck. Auf der einen Seite steht die schnelle Verfügbarkeit von Daten aus unterschiedlichen Ressorts, die schon länger technisch gesammelt werden, auf der anderen Seite steht die langsame und teure Datenerhebung der Marktforschung, die häufig mit wenig Systematik zwischen verschiedenen Ad-Hoc-Studien, vielen PowerPoint-Folien und wenig konkretem Einfluss auf Strategie oder Kundenerlebnis einhergehen — so mögen zumindest vielleicht die Vorbehalte aus traditionellen Analyticsbereichen klingen.

Die FAANG-Vorbilder (Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google) aus dem Silicon Valley machen es vor: Unternehmen sollen datengestützt geführt werden. Entscheidungen sollen nicht mehr auf Basis von Erfahrung oder Bauchgefühl getroffen werden, sondern auf Basis von Zahlen aus dem Unternehmen und über die Kunden. Durch die rasante Entwicklung im Bereich Datenanalyse — und das intensive Marketing für den Begriff "Künstliche Intelligenz" — nimmt also die Bedeutung von Analytics, Business Intelligence, Data Science oder eben KI immer weiter zu.

Marktforscher sind prädestiniert für eine wesentliche Rolle in diesem Prozess
Die Befragung von Kunden zu Einstellungen, Erwartungen und Wünschen kann durch kein Tracking von Click-Verhalten oder Daten über Kaufhistorie ersetzt werden. Primärdaten sind ein entscheidender Schlüssel, um die passiv gesammelten Daten zu interpretieren. Doch auch Marktforscher werden neue Tools, neue Skills und ein neues Mindset annehmen müssen. Wenn Marktforschung und Data Science so zusammenarbeiten, könnten Fragestellungen ganzheitlicher beantwortet werden und jede Seite ihre individuellen Stärken einbringen.

Wenn es darum geht, konkrete Beispiele für die Zusammenarbeit von Data Science und Marktforschung zu finden, gibt es aus unserer Sicht drei Bereiche und mögliche Formen der Zusammenarbeit, die wir im Folgenden kurz anhand von Beispiel beschreiben wollen.

Data Science zur Optimierung von Marktforschungsprozessen

Marktforschung soll immer schneller und immer günstiger werden. Dass "Digitalisierung", "Künstliche Intelligenz" und "Automatisierung" die vermeintlichen Schlüssel dazu sind, wird seit Jahren diskutiert. Mittels Machine Learning-Verfahren können jedoch schon jetzt einzelne Prozesse in der Marktforschung deutlich beschleunigt werden. Hierbei bleibt die grundsätzliche Arbeitsweise der Marktforschung bestehen, es sind jedoch die einfachen und wiederholbaren Tätigkeiten, die durch Algorithmen unterstützt und automatisiert werden können.

Klassische Beispiele sind hier die Codierung offener Angaben oder auch die automatische Transkription von Gruppendiskussionen oder Einzelinterviews. Verschiedene Anbieter stellen bereits Tools in unterschiedlichen Reifegraden zur Verfügung. Insbesondere die Umwandlung von gesprochenem in geschriebenes Wort (Speech-to-Text) ist eines der großen Anwendungsfelder bei den FAANG-Unternehmen (Stichwort Sprachassistenten oder Google Duplex), für das auch bereits Cloud-Lösungen zur Verfügung gestellt werden, die zum Teil ohne Erfahrung in R oder Python genutzt werden können. Auf der anderen Seite hilft die Entwicklung von Projekt-spezifischen Lösungen durch Data Scientists auch bei komplexeren Fragestellungen, wie zum Beispiel die laufende Kontrolle der Datenqualität in Befragungen während bereits der Feldzeit auf Basis von offenen Texten und Antwortmustern.

Je nach Daten und Komplexität im Einzelfall, kann Data Science hier die Marktforschung durch die Erstellung, Anwendung, Anpassung oder Weiterentwicklung solcher Tools unterstützen. Marktforscher können sich so auf den Kern ihrer Wertschöpfung konzentrieren. Gleichzeitig stellt sich hier im Besonderen die Frage nach Qualität der Ergebnisse aus den Algorithmen und Tools. Diese ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen, muss bei jeder Lösung aber immer wieder aufs Neue kontrolliert werden.

 

Synthese und Integration von verschiedenen Befragungen

Bei immer mehr Projekten und Ergebnissen, die bei betrieblichen Marktforschern zusammenlaufen, wird es zunehmend wichtig, die Erkenntnisse aus unterschiedlichen Studien zusammenzuführen. Während dies qualitativ von betrieblichen Marktforschern schon oft (oder schon immer?) gemacht wurde, ergeben sich zunehmend Möglichkeiten, die Daten auch quantitativ und analytisch zusammenzuführen. Verschiedene Verfahren zur Datensynthese oder zum Record Linkage stehen zur Verfügung, um die Daten entsprechend aufzubereiten. So sind Analysen über Zeitverläufe, verschiedene Regionen oder auch verschiedene Produkte, Leistungen oder Serviceaspekte möglich, selbst wenn diese nicht in der gleichen Studie erhoben wurden.
Welches Verfahren geeignet ist, hängt wie immer wesentlich von der Fragestellung ab. Der Kern ist jedoch, dass statistische Modelle und Algorithmen eingesetzt werden können, die vielleicht außerhalb des klassischen Repertoires des Marktforschers liegen. Data Scientists mit einer starken Ausbildung in Statistik können hier unterstützen, die Verfahren aufzusetzen und die Ergebnisse für Marktforscher aufzubereiten.

Während im ersten Bereich, der Automatisierung von Prozessen, Data Science eher der Marktforschung zuarbeitet, ist hier eine partnerschaftliche Zusammenarbeit nötig. Marktforscher müssen ihre Fragestellungen formulieren und an Data Scientists vermitteln, die wiederum ihre Vorgehensweise und Ergebnisse für die Marktforschung und ihre Kunden aufbereiten und verständlich machen müssen.

Übergreifende Analyse von Befragungs- und Verhaltensdaten

Wie eingangs angedeutet, nehmen sich viele Data Science- und Analytics-Abteilungen zunehmend Fragestellungen aus dem Bereich der Marktforschung an, ohne direkt mit Marktforschern zusammenzuarbeiten.
Dadurch fehlen zumeist Befragungsdaten, die einen großen Mehrwert für das Verständnis von Kunden bieten könnten. Um dem entgegen zu wirken, sollten Data Scientists und Marktforscher auch bei Fragestellungen, die eher aus dem Analytics-Bereich kommen, zusammenarbeiten.

Wenn Analytics-Abteilungen beispielsweise Stammdaten oder Transaktionshistorien auswerten, um Lagerbestände vorherzusagen oder Lieferrouten zu optimieren, können Befragungen zu Bestellabsichten oder Bedürfnissen die Vorhersagen absichern oder ergänzen. Dies kann auch hier entweder auf quantitativem Wege geschehen (zum Beispiel durch Strukturgleichungs- oder Pfadmodelle) oder auf qualitativem Wege (zum Beispiel indem die Modellvorhersagen der Data Scientists zusätzlich gegen die Ergebnisse der Befragungen geprüft werden).

Hinzu kommt, dass viele Analysten nicht aus den sozialwissenschaftlichen Bereichen kommen und mit den inhaltlichen und statistischen Details von Befragungsdaten nicht oder nur wenig vertraut sind. Um die Befragungs- und Verhaltensdaten am Ende optimal nutzen zu können, sollten Marktforscher hier in der Zusammenarbeit ihre Expertise und Erfahrung einfließen lassen.
In solchen Fällen sind Marktforscher Unterstützer und Sparringspartner für Data Science und können einen Beitrag dazu leisten, dass Modelle und Algorithmen die Kundenbedürfnisse auch treffen. Auch Netflix setzt beispielsweise noch klassische Befragungen und Test-Screenings ein, um den Erfolg neuer Formate oder Serien vor dem Start zu testen. Dies geht jedoch Hand-in-Hand mit der Weiterentwicklung der Systeme, die Nutzern am Ende einer Staffel direkt die nächste Serie empfehlen.

Herausforderungen

Diese drei Bereiche in denen Marktforschung und Data Science auf unterschiedliche Weisen zusammenarbeiten können sind natürlich idealtypisch: In der Praxis gibt es noch einige Herausforderungen, die es zu meistern gilt, damit die Zusammenarbeit wirklich erfolgreich ist. Auf der einen Seite werden Marktforscher nicht umhin kommen, ihr Repertoire an Methoden zu erweitern und sich neuen Methoden zu öffnen. Auf der anderen Seite dürfen Data Scientists sich nicht hinter ihren Daten verstecken und die Wahrheit allein in Datenbanken und CSV-Dateien suchen. Es gibt darüber hinaus viele Unterschiede in den Arbeitsweisen, Methoden und Denkmustern zwischen diesen Teams. Während für Marktforscher häufig die Ergebnisdarstellung im PowerPoint-Bericht den Abschluss eines Projekts darstellt, sind Data Science-Projekte oft ohne "fixes Ende". Ähnlich wie in der Software-Entwicklung werden Meilensteine definiert, um Datenprodukte liefern, aber anschließend geht es mit einem interaktiven Dialog mit Stakeholdern und der fortlaufenden Weiterentwicklung von Modellen, Tools oder Dashboards weiter.

Was uns dabei optimistisch stimmt ist, dass in vielen Unternehmen die beiden Bereiche zusammengelegt werden, um genau diese Synergien künftig nutzen zu können. Doch der Aufbau entsprechender Teams und die Transformation zu einer "data-driven company" wird trotzdem nicht von heute auf morgen passieren: Allein schon, weil das notwendige Skillset derzeit ausgesprochen begehrt ist, so dass erfahrene Fachkräfte schwer zu finden sind. Es stehen jedoch eine Reihe von Fortbildungsformaten zur Verfügung, die es Quereinsteigern ermöglicht sowohl Marktforschung als auch Data Science tiefergehend zu erlernen (Udemy, Coursera oder DataCamp, um nur drei zu nennen). Außerdem bieten viele Agenturen und Beratungen zunehmend Unterstützung bei der Entwicklung von Data Science-Lösungen an.

Fazit

Die drei möglichen Bereiche der Zusammenarbeit, wie wir sie hier dargestellt haben, skizzieren, wie Synergien geschaffen werden können und das Potential der Zusammenarbeit genutzt werden kann. Allen drei Modellen der Zusammenarbeit liegt zugrunde, dass der Fokus bei Datenanalysen zunehmend auf der Entwicklung prädiktiver Modelle liegt, also der Vorhersage. Seien es makroskopisch Umsätzen, Marktanteilen oder Lieferzeiten, oder auf individueller Ebene Abwanderungen, Produktpräferenzen oder Kaufabsichten: Durch Modelle, die prüfbare Vorhersagen machen, kann die Qualität von Analysen und ihre Anwendung in der Praxis gesteigert und über die Zeit hinweg kontrolliert werden. Diese Überzeugung liegt der Idee der "data-driven company" zugrunde und die einfache Verfügbarkeit von Daten und Algorithmen beschleunigt diese Idee zunehmend.

Rund um die Begriffe "Künstliche Intelligenz", "Data Science", "Machine Learning" und "Digitalisierung" gibt es seit einigen Jahren viel Aufmerksamkeit, eine ganze Menge Hype und sehr hohe Erwartungen. Um diese Erwartungen erfüllen zu können, gilt es konkrete Anwendungsbeispiele zu finden und in Unternehmen umzusetzen. Was für die Marktforschung in Zusammenarbeit mit Fachabteilungen seit Jahren gilt, gilt auch für die Zusammenarbeit von Marktforschern und Data Scientists: Das größte Potential erwächst, wenn methodische und inhaltliche Experten zusammenarbeiten und sich im Projekt laufend austauschen und ergänzen.

Christopher Harms arbeitet seit drei Jahren bei SKOPOS an der Schnittstelle zwischen Data Science und Marktforschung. Mit seinen Kollegen sucht er laufend nach dem optimalen Modell und den richtigen Daten, um strategische Fragestellungen seiner Kunden zu beantworten. Als Doktorand für empirische Methodik ist er bestrebt, neueste Entwicklungen mit den Bedürfnissen der Wirtschaft zu verbinden. Er studierte Psychologie und forschte an der Universität Bonn und der Technischen Universität Eindhoven, Niederlande.

 

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