ESOMAR Global Market Research Report 2019 Marktforschung weltweit: Europa zunehmend unter Druck

von Matthias Richter, marktforschung.de
Die Ergebnisse von 2018 zeigen laut ESOMAR, dass die verhaltene Stabilität, die sowohl im Reporting-Verfahren als auch bei den Ergebnissen von 2017 zu spüren war, weiter unter Druck steht. Während der globale Wert der Branche absolut betrachtet um optimistisch anmutende 2,1 Prozent gestiegen ist, ist der Einfluss der Inflation erheblich. Unter Berücksichtigung von Inflationseffekten zeigt sich damit ein eher stagnierendes Bild, bei dem sich der Trend zu einem leicht negativen Nettoergebnis von –0,3 Prozent umkehrt. Dieser Befund wiederholt sich auf nationaler Ebene, da nur einer der Top-5-Märkte – China – ein positives Wachstum verzeichnen konnte. Bei den übrigen vier blieb der größte Markt – die USA – unverändert, während die anderen (Vereinigtes Königreich, Deutschland, Frankreich) einen Rückgang des Inlandsumsatzes aufwiesen. Insgesamt überschritt der weltweite Umsatz des Marktes in seiner traditionellen Definition 2018 einen Wert von 47 Mrd. US-Dollar (2017: knapp 46 Mrd. US-Dollar).
Seit einigen Jahren schon beschäftigt sich der Global Market Research Report mit dem geschätzten Marktvolumen einer über die Definition der klassischen Marktforschung hinausgehende „Insights-Branche“. Neue Akteure im Bereich Data Analytics, die aus großen Datenmengen Insights generieren, haben im Laufe der Jahre immer mehr an Bedeutung gewonnen und erzielen inzwischen einen Umsatz, der nahezu dem der klassischen Marktforschung gleichzusetzen ist. Das Nettowachstum von 2017 zu 2018 betrug beachtliche 10 Prozent. Fasst man die beiden Bereiche zusammen, erhält man einen Gesamterlös von fast 80 Milliarden Dollar. ESOMAR geht davon aus, dass 2019 der datengetriebene Sektor die traditionelle Marktforschung überholen wird.
Europa unter einem schlechten Stern?
Bereits im vergangenen Jahr war im Global Market Research Report zu lesen, dass sich Europa im Bereich eines flachen Wachstums bewegte (+1,7 Prozent in absoluten Zahlen, aber –0,4 Prozent netto). 2018 ist Europa jedoch noch weiter in die roten Zahlen gerutscht, mit einem kaum wahrnehmbaren absoluten Wachstum von 0,1 Prozent und effektiv –2,1 Prozent netto.
Von den 34 Ländern, aus denen sich die Region aktuell zusammensetzt, wiesen 17 Länder (mit einem Gesamtumsatz von 2.457 Mio. US-Dollar) ein Netto-Wachstum auf, während die anderen 17 Länder (mit insgesamt 14.085 Mio. US-Dollar Gesamterlös) einen Rückgang verzeichneten. Es ist bezeichnend, dass zwar alle Gruppierungen in der Region (EU-15, neue EU-Mitgliedsstaaten und sonstiges Europa) positive oder flache absolute Wachstumsraten aufwiesen, aber alle gleichzeitig auf negative Netto-Wachstumsraten abgerutscht sind, was unter Umständen eher ein Zeichen für größere Schwierigkeiten als nur Ausdruck des allgemeinen Zustands der Wirtschaft in der Region sein könnte.
Bei den drei größten Märkten haben die Inflationseffekte für keine günstige Ausgangslage gesorgt. Während sich das Vereinigte Königreich und Frankreich in absoluten Zahlen stabilisiert zu haben schienen, haben inflationäre Effekte deren Wachstum jedoch ins Negative gekehrt. In Deutschland hingegen war der Umsatz der Branche – unabhängig davon, welche der beiden Wachstumsraten man betrachtet – deutlich rückläufig.
Vereinigtes Königreich: Wirtschaftliche Zurückhaltung und Unsicherheit bremsen Potenzial
Das Vereinigte Königreich ist ein Land, das sich durch starke Innovationsfähigkeiten und technologische Möglichkeiten auszeichnet. Dadurch gestaltet sich die Ausweitung in die neuen Bereiche, die für den sich entwickelnden Forschungsmarkt erforderlich sind, einfacher. Darüber hinaus profitiert Großbritannien von einer starken Exportbasis, um Chancen im Ausland zu nutzen, insbesondere in Entwicklungsländern. Der Preisdruck und die eingeschränkten Budgets verringern jedoch weiterhin die Margen für die Forschung, was sich auch im negativen Netto-Wachstum des Landes niederschlägt (–1,8 Prozent). Insgesamt befindet sich Großbritannien in einer Phase wirtschaftlicher Zurückhaltung und anhaltender Unsicherheit, insbesondere durch den Brexit bedingt. Infolgedessen verlangsamt sich das Wirtschaftswachstum, die Währung wird geschwächt und das Selbstvertrauen der Wirtschaft sinkt, so die Einschätzung der Studienautoren.
Deutschland: klassische Ausrichtung, neue Ansätze unter kritischem Blick
In Deutschland, einem Land, in dem Datenqualität, Datenrelevanz und der Schutz der Anonymität der Teilnehmer schon immer Qualitätssiegel waren, ist der tiefgreifende Wandel der Branche möglicherweise schwieriger zu vollführen als in anderen, dynamischeren Märkten, so der Report. Nach Aussage von dortigen Marktbeobachtern hat die Branche in Bezug auf angewandte Methoden, Techniken und Berichtstechnologien noch immer eine klassische Ausrichtung und musste einen Umsatzrückgang verzeichnen, wie es auch bei den drei größten Akteuren der Fall war (GFK, Kantar Deutschland, Nielsen Comp. Germany). Neue Ansätze werden oft zu lange kritisch betrachtet, wenn nicht sogar ganz abgelehnt, sodass der Branche noch immer das entsprechende IT-Know-how fehlt. Zudem bestehe Verbesserungspotenzial hinsichtlich Selbstvermarktung und Selbstvertrauen. Es sei daher nicht überraschend, ein solch signifikantes negatives Netto-Wachstum (–5,5 Prozent) zu beobachten, da die Branche schließlich unabhängig von der Bereitschaft der einzelnen Märkte immer weiter voranschreitet, so ESOMAR.
Frankreich: konservatives und wenig innovatives Branchenimage
Frankreich, das sich wie im Global-Market-Research-Bericht 2018 dargestellt bereits in einem tiefgreifenden Wandel befindet, sieht in der Digitalisierung eine ausdrückliche Chance für die Branche, wenn neue Organisationen, Geschäftsmodelle und Dienstleistungen geschaffen werden sollen. Beobachter berichten jedoch, dass die Akteure in der Marktforschung von den Kunden allgemein als konservativ und nicht innovativ genug sowie von den Millennials – den potenziellen Arbeitskräften – als unattraktiv angesehen werden. Diese Faktoren führen zu einem verhaltenen, aber positiven absoluten Wachstum von +0,2 Prozent, das nach Berücksichtigung der Inflationseffekte jedoch ins Negative (–1,9 Prozent) rutscht.
Weitere Länder, die aufgrund des Abwärtstrends der Branche – verursacht durch stark rückläufige Budgets, steigende Kosten und die Notwendigkeit einer immer schnelleren Entscheidungsfindung – auffallende Ergebnisse aufweisen, waren Rumänien (–12,2 Prozent netto) und die Schweiz (–13 Prozent). Dort haben einige der Hauptakteure nicht nur umfangreiche Umstrukturierungen hin zur Digitalisierung durchgeführt, sondern auch Teile ihrer Geschäftsbereiche verkauft, was zu deutlichen Umsatzrückgängen führte.
Zur Studie: Die Ergebnisse sind Auszüge aus dem Global Market Research Report 2019 von ESOMAR und sind aus dem Englischen übersetzt worden. Der 182-seitige Bericht beschreibt die weltweite Entwicklung der Marktforschungsbranche in den vergangenen Jahren (bis 2018) und geht dabei auf die unterschiedlichen Regionen und insbesondere die Länder mit dem größten Gesamtmarktanteil ein. Neben Umsatzentwicklungen werden Trends auf Ebene von Kundentypen, Methoden und Projekten dargestellt. Weiterhin werden Rankings der größten Unternehmen aufgeführt und erläutert. Erweitert werden die Daten und Fakten durch Experteneinschätzungen zum Beispiel zu den größten Herausforderungen der sich wandelnden Marktforschungsbranche.
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