Das-Wahre-Leben-Kolumne von Jens Krüger Marktforschung? Nur bei schönem Wetter.

Krise da, Kosten runter, Marktforschung stoppen. Und das auf Jahre hinaus. Ist Marktforschung nur etwas für schönes Wetter? Oder gerade dann, wenn ein Sturm oder Gewitter aufzieht? Jens Krüger über die deutsche Unsitte in Krisenzeiten automatisch über Budgetkürzungen nachzudenken, obwohl man als Unternehmen eigentlich wissen sollte, wie Konsumenten gerade ticken.

Menschen im Sommerregen. Ist Marktforschung nur etwas für schönes Wetter? Oder vor allem dann wichtig, wenn es regnet oder stürmt? (Bild: picture alliance / ANE / Eurokinissi | Tatiana Bolari)

Pandemie, Krieg, Inflation und Produktionsengpässe mit noch unbekanntem Ausgang in vielen Branchen. Und dann auch noch Böhmermann – erst Tönnies, Fynn Kliemann und dann auch noch die Markt- und Meinungsforschung. Zugegeben, alles halb so schlimm. Zumindest halbherzig die Recherchen zur Markt- und Meinungsforschung. Wenig Neues. Dennoch: Das Leben als Marketeer könnte leichter sein. Ist es aber nicht.  

Also, was tun?  Genau. Die Kosten runter. Und da gibt es einige Unternehmen, die schon mal proaktiv avisieren, die nächsten Jahre (Achtung: Plural) kein Geld mehr für Marktforschung ausgeben zu wollen. Bzw. besser formuliert, nicht mehr in Marktforschung investieren zu können oder wollen. Krass, oder? 

Dabei sind es sind nicht die multi-nationalen Unternehmen, die so denken. Einige von ihnen erhöhen sogar aktuell ihre Budgets. Nein, es sind v. a. Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die den Marktforschungsgürtel derzeit enger schnallen.  

Dabei ist sie gerade jetzt so wichtig, die Marktforschung. Der Konsumindex verspricht Kaufzurückhaltung, die Unsicherheit bei den Menschen ist angesichts der Lage in Politik und Wirtschaft so groß wie nie.  

Gleichzeitig ist aber auch die Hoffnung der GenZ auf eine bessere Zukunft noch nicht erloschen – trotz aller Unsicherheiten. Sie fordern Antworten und Lösungen auf die dringenden Fragen unserer Zeit. Zum Klimawandel, zur Geschlechter- und Generationengerechtigkeit, zum gesellschaftlichen und politischen Wandel. Zwischen Liberalismus und nachhaltigem Wirtschaften.  

Und die Erwartungen sind groß bei den Menschen. An Politik und Wirtschaft gleichermaßen. Umso wichtiger, dass wir verstehen, was und warum da was passiert.  

Dafür braucht es uns Marktforscher. More than ever. 

Krisenzeit ist Zeit für Erneuerung 

Auch und gerade bei den Geschäftsmodellen. So disruptiv wie in den vergangenen Jahren haben wir das selten zuvor erlebt. Um so wichtiger ist es, sich dem Wandel zu stellen. In Marktforschung zu investieren kann unterschiedlichen Motiven folgen. Seine Marke neu zu justieren: Wie bleiben oder werden wir relevant für unsere Kunden? Welche Bedürfnisse haben unsere Kunden? 

Oder seine Kommunikation anzupassen. Gerade in Krisenzeiten ist das essenziell! Wo und wie erreiche ich meine Kundinnen und Kunden überhaupt noch. Und mit welchen Botschaften?  

Dabei geht es nicht nur um Inhalte. Auch die Customer Journey selbst hat sich in den letzten zwei Jahren für viele Produkte oder sogar ganze Kategorien verändert. Nicht nur die Bedeutung von eCommerce hat sich verändert. Neue Angebot und Formate, wie Live- und Social-Shopping haben sich schnell etabliert. Und das Metaversum steht auch schon vor der Tür.  

Es ist jetzt auch die Zeit, Neues anzuschieben, von kleinen Produktveränderungen bis hin zu den ganz großen Innovationen. Angesichts veränderter Lebens- und Arbeitsrealitäten ist da aktuell eine große Spielwiese entstanden, die darauf wartet, bespielt zu werden.  

Marktforschung ist keine Disziplin für schönes Wetter.  

Natürlich ist es erfreulich, wenn Marktforschung den eigenen Kurs bestätigt – ob in Trackings oder ad hoc-Studien. Marktforschung ist aber immer relevant, und ganz besonders dann, wenn es darum geht, den Kompass neu zu justieren. Wie gerade jetzt. 

Calm down and wear sneakers … 

Wie schlimm ist und wird es eigentlich für einzelne Branchen? Oder reden wir uns gerade selbst in die Rezession. Ich kann das schlecht einschätzen. Aber es deutet einiges auf das Zweite. 

Nur ein Beispiel: „Die Umsätze im Lebensmittelhandel brechen ein. Um 5%. Gegenüber Vorjahr.“, schreibt das führende Medium der Branche gestern. Da war doch was … Genau, Deutschland im Lockdown. Damals mit mächtigen Zugewinnen für die Branche – klar, wir durften ja auch nicht mehr ins Restaurant oder in die Kantine, also wurde mehr gekocht. Bereinigt ist der Einbruch ein Minus von 0,4. Gut, wenn man Statistiken richtig interpretieren kann. Wo beginnt eigentlich ein Umsatzeinbruch? 

Anyway. Ich möchte für mehr Besonnenheit werben. Besonnenheit in der medialen Berichterstattung. Das halbvolle Glas auszuschütten hilft nicht wirklich. Auch den Medien selbst nicht.  

Wer Deutungshoheit haben will, sollte nicht nur skandalisieren, sondern vor allem eines: Besser reflektieren. Besonnenheit braucht es aber auch beim unternehmerischen Handeln. Wir haben alle in den letzten 3 Jahren gelernt, dass Krisen auch – und gerade - die Zeit für Erneuerung sein können. Unternehmen, die in der Krise ihre kreativen und Potenziale mobilisiert haben, sind auch wirtschaftlich erfolgreicher – nicht alle, aber viele. Dafür braucht es echte und ehrliche Sparringspartner. Aus der Marktforschung. Menschen, die die Menschen und den Kontext da draußen verstehen. Nicht nur bei Sonnenschein auf der Terrasse, sondern auch bei Sturm und Regen. 

Über Jens Krüger

Jens Krüger ist seit 2019 CEO von Bonsai Research. Der Consumer-Experte war zuvor über zehn Jahre Geschäftsführer bei Kantar/TNS Infratest. Der studierte Soziologe und Sozialpsychologe engagiert sich in mehreren Beiräten (u. a. im Zukunftsforum und dem VKE-Kosmetikverband), ist Speaker und Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen gesellschaftlicher Wandel, Consumer-Trends, Ernährung und Handel der Zukunft.

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