Prof. Dr. Hans-Willi Schroiff (InnoChainge GmbH & Co KG): "Marktforschung kann einem die Entscheidung nicht abnehmen, aber mein "Wissen von der Welt" so formen, dass ich mich gut und gerne entscheiden kann."

Interview mit Prof. Dr. Hans-Willi Schroiff, Gründer und Wissenschaftlicher Direktor der InnoChainge GmbH & Co KG und Professor am Lehrstuhl für Marketing an der RWTH Aachen. Der Psychologe war lange Jahre im Marktforschungsbereich der Henkel KGaA tätig und zuletzt verantwortlich für alle Marktforschungsaktivitäten der Gruppe.
marktforschung.dossier: Herr Prof. Dr. Schroiff, Sie haben als Marktforschungsleiter der Henkel AG mit etlichen Marktforschungsdienstleistern zu tun gehabt. Ziehen Sie hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den Instituten eher ein positives oder negatives Fazit?
Hans-Willi Schroiff: In jederlei Hinsicht ein positives Fazit. Ohne die Institute geht gar nichts in der Mafo. Sie bilden mit den betrieblichen Kollegen/Innen (hoffentlich) einen engen Interessensverbund und erarbeiten gemeinsam die Wissensinhalte, die die Unternehmensführung für ihre Entscheidungen brauchen. Ich habe nach 25 Jahren ein komplett positives Fazit gezogen und arbeite auch in meinem neuen Wirkungskreis mit Instituten. Ich bin zudem in einigen Aufsichtsgremien, z.B. beim GfK-Verein, bei YouGov, bei Dialego u.a., und von daher über die Chancen und Probleme bestens informiert.
marktforschung.dossier: Gab es besonders „nachhaltige“ Erlebnisse – sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht?
Hans-Willi Schroiff: Ein durch eine Werbeagentur eingeschlepptes Institut, das vor dem Hintergrund eines nicht nachvollziehbaren psychologischen Wirkmodells den Vorgang des Geschirrspülens als „autoerotische Betätigung unter Wasser“ erklärt hat, hat der Henkel Marktforschung intern über längere Zeit schwere Schäden zugefügt. Es hat schon gedauert, bis man dem Vorstand durch seriöse Arbeit und entsprechende Markterfolge unter Beweis gestellt hatte, daß Marktforschung eine seriöse Erfahrenswissenschaft ist und keine spiritistische Sitzung.
Auf der positiven Seite erinnere ich mich an einen heroischen Auftritt von Prof. Dr. Raimund Wildner, damals Methodenchef der GfK, der sich trotz heftigen Sperrfeuers aus der Henkel Geschäftsführung als kaltblütiger Franke in seiner Beweisführung bei einem Thema nicht beirren ließ und es nach einer Stunde schaffte, seine unpopuläre Meinung voll akzeptiert zu bekommen. Das war großes Kino für die Instituts-Marktforschung! Und das ist auch schon das Spannungsfeld, innerhalb dessen sich die Institute bewegen. Da ist der Bogen zwischen Professionalität und Provinzialität sehr groß.
marktforschung.dossier: Was macht aus Ihrer Sicht ein gutes Institut aus? Und wie überprüft man zielführend die Leistungen der Auftragnehmer?
Hans-Willi Schroiff: Ein gutes Institut hat eine eigene Meinung zu den Inhalten und Konsequenzen der gestellten Forschungsfrage, die es sachlich und datengestützt begründen kann. Auch gegen eventuellen Widerstand auf der Auftraggeberseite. Das ist aus meiner Sicht schon alles. Es gibt leider unter den Instituten (neben mangelhafter Basisleistung) zu viele urteilsscheue Personen, die sich nicht trauen, eine unpopuläre Meinung zu vertreten, weil sie um den nächsten Auftrag bangen: ein schlechtes Zeugnis für die Branche – und natürlich auch für die Auftraggeber, die für das gegenseitige Schulterklopfen zahlen und nicht für wettbewerbs-relevante Einsichten.
Hat aber das Institut keine eigene Meinung bzw. vertritt es sie nicht, dann braucht man es auch nicht. Das kann man auch mit Logistik-Dienstleistern erledigen. Und die gibt es ja haufenweise, auch wenn sie sich „Institut“ nennen.
Was die Überprüfung der Leistung angeht, so gibt es auch hier eine einfache Regel: wenn der intellektuelle Eintrag des Instituts beim Unternehmen mit hoher Konfidenz zur Festigung oder Änderung einer Geschäftsentscheidung führt, dann spreche ich auch von einem hohen ROI dieser Investition. Marktforschung kann einem die Entscheidung nicht abnehmen, aber mein „Wissen von der Welt“ so formen, dass ich mich gut und gerne entscheiden kann.
marktforschung.dossier: Was war Ihnen bei der Auswahl der Institute wichtig? Spielten beispielsweise auch Zertifizierungen eine Rolle?
Hans-Willi Schroiff: Zertifizierungen haben mich nie im geringsten interessiert. Was da zertifiziert wird, ist eh in der Regel die o.a. Basisleistung und das hat mit intellektueller Wertschöpfung wenig zu tun. Die wird über (ausgebildete) Persönlichkeiten mit Urteilskraft erbracht, bei mir vorzugsweise jemand mit einem Psychologie-Studium mit Schwerpunkten in Allgemeiner Psychologie und Methodenlehre. Wenn die auch noch ganzheitlich in Geschäfts-Dimensionen denken und urteilen können und nicht nur in der Enklave des Teststudios Fliegenbeine zählen, dann ist schon viel gewonnen.
Das mit den Zertifizierungen habe ich nie verstanden. Marktforschung ist doch keine Disziplin, die Büroklammern herstellt oder Garten-Mobiliar. Einen intellektuellen Eintrag zu generieren, persuasive Fähigkeiten an den Tag zu legen, um diese Wissen im Unternehmen zu verankern und all diese Dinge – wie will man das denn in eine ISO-Norm bringen?
marktforschung.dossier: Inwieweit haben sich in den letzten Jahren die Anforderungen an die Marktforschungsabteilungen in Unternehmen und damit auch an Institute gewandelt?
Hans-Willi Schroiff: Diesen Wandel diskutieren wir nun schon fast seit Jahrzehnten. Alle leisten (sich) das Lippenbekenntnis, dass man mehr Beratung machen sollte in der Marktforschung und weniger technische Basis-Optimierung, mehr in den Board-Rooms sitzen sollte und weniger in den Back-Rooms und das alles. Alles richtig, aber es passiert nicht von alleine – dafür muss man was tun. Und zwar was anderes, als man bisher gemacht hat, mit anderen Leuten und mit einer anderen Agenda. Das sehe ich alles auf der Institutsseite in Deutschland eher (noch) nicht. Man ist noch deutlich in der Comfort Zone des Althergebrachten. Ich bin zuversichtlich, dass sich das ändern wird. Aber die Marktforschung hat hier an allen Ecken und Enden bereits an Boden verloren und den wird man mühsam wieder zurückergattern müssen. Ich sitze in der ersten Reihe und werde das aufmerksam verfolgen.
marktforschung.dossier: Anfang des Jahres haben Sie das Beratungsunternehmen „InnoChainge“ gegründet. Wie viel „Marktforschung“ steckt in Ihrem Portfolio?
Hans-Willi Schroiff: InnoChainge ist kein Marktforschungs-Unternehmen und ich agiere auch nicht als Marktforscher. Aber natürlich kriegt man Mafo nach fast 30 Jahren nicht mehr aus den Kleidern und so propagiere ich mit einem messianischen Sendungsbewusstsein, dass Neues (Inno) nur in die Welt kommt, wenn man Veränderungen (change) begreift und sie aktiv in einer Wertschöpfungskette aufgreift und gestaltet (chain). Veränderungen begreift man über Antworten auf Fragen an die Welt - und wer kann besser fragen (und antworten) als die Marktforschung. InnoChainge ist also kein Tippfehler, sondern ein Tipp für Chancen.
marktforschung.dossier: Zum Abschluss eine eher private Frage: Sie verfügen ja über eine recht beachtliche Gitarrensammlung und sind nach wie vor musikalisch aktiv – hilft Ihnen die künstlerische Kreativität in Ihrem Arbeitsalltag?
Hans-Willi Schroiff: Ja, mit Gitarren kenne ich mich wirklich aus. Und Gitarre spielen hilft; es pustet negative Emotionen aus dem Hirn und fördert die intuitive Kreativität. Nach einer Improvisations-Session in meinem Keller-Studio fallen mir die erstaunlichsten Dinge ein und allein schon deshalb würde ich diesen Teil meiner Aktivitäten nie aufgeben.
Darüber hinaus gibt es das gemeinsame konstruktiv-schöpferische Erlebnis, wenn man in einer Band spielt. Die funktioniert eben nur, wenn alle einen gemeinsamen Plan haben, wenn der eine auf den anderen hört und wenn jeder bei seinem Instrument bleibt und das möglichst gut macht. So ist es auch ein bisschen im richtigen Leben und von daher fühle ich mich auch in beruflichen Kontexten am wohlsten, die diesem Grundschema entsprechen. Das habe ich mittlerweile gelernt, auch wenn es manchmal Jahrzehnte dauert, bis man das kapiert.
marktforschung.dossier: Herr Prof. Dr. Schroiff, herzlichen Dank für das interessante Gespräch!
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