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Olaf Hofmann, SKOPOS Group Marktforschung ist schon lange KI – und jetzt starten wir richtig durch

Automatisierung von Insights durch KI: eine kritische Betrachtung
Eine der aufregendsten Perspektiven, die KI für die Marktforschung potenziell bieten könnte, ist die Automatisierung von Insights. Die Vorstellung, dass eine durch klassisches maschinelles Lernen angefütterte KI (also nicht generative KI) eigenständig erkennen kann, ob ein innovatives Konzept im Markt funktionieren wird, ist faszinierend. Sie könnte bestimmen, bei welcher Zielgruppe und zu welchem Preis ein Produkt erfolgreich sein wird. Allerdings gibt es derzeit massive Herausforderungen, die diese Vision mindestens zweifelhaft, wenn nicht sogar unrealistisch erscheinen lassen.
Die dynamische Natur von Verbrauchervorlieben ist dabei ein zentrales und unlösbares Problem dieser Vision. Das stellt die Effizienz und Genauigkeit von automatisierten Insights in Frage. Zudem bleibt zu klären, wie eine KI mit den notwendigen Lerndaten überhaupt gefüttert werden kann. Nehmen wir das Beispiel der Neuen Klasse von BMW: Es gibt zu diesem Fahrzeug null Lerndaten. Im Grunde ist bzw. wird das Fahrzeug zwar als Nachfolger der jetzigen 3er-Reihe positioniert, aber eben nicht 1:1. Lassen sich also Kaufgründe, Kaufpräferenzen aus alten 3er-Studien auf die Neue Klasse übertragen? Wir sind der Auffassung, dass das fahrlässig wäre.
Ist es aber vorstellbar, dass KI die Marktforschung „entlastet“, dass wir also nicht mehr jeden Aspekt in jedem Land für jede Zielgruppe abfragen müssen? Ja, sicher. Aber Achtung: Das ist kein Anwendungsfall für sogenannte generative KI wie ChatGPT 4.0. Da würde absoluter Nonsense herauskommen. Nein, für so einen Anwendungsfall muss man die vielen Studien z. B. zu Haribo Goldbären auswerten und klassische Mustererkennung betreiben: Welche Zielgruppe reagiert unter welchen Umständen/Stimuli immer gleich? Mit diesen Mustern – so es sie gibt – kann man bei bestimmten Fragen gut arbeiten und Befragungsdauern reduzieren und somit Budgets in sinnvollere Aspekte des Forschungsprozesses verschieben.
Die vollständige Automatisierung von Insights oder die Komplett-Generierung von synthetischen Daten kann daher nicht als Ersatz für z. B. klassische Produkttests betrachtet werden, sondern als eine mögliche Ergänzung – sofern Verhaltensmuster identifiziert und übertragen werden können. Im Übrigen ist menschliche Expertise und das tiefe Verständnis für das Verbraucherverhalten in spezifischen Märkten und Fragestellungen nach wie vor unverzichtbar, damit KI-Systeme effektiv und vor allem ohne Halluzinationen den Marktforschungsprozess sinnvoll unterstützen können.
KI als Unterstützung für Co-Creation- und Ideation-Projekte
Trotz dieser Herausforderungen kann KI einen erheblichen Mehrwert in der Marktforschung bieten. Insbesondere in den Bereichen Produktentwicklung und Ideation eröffnet KI Möglichkeiten, um den Austausch entscheidend zu bereichern und mit dem Ziel zu erleichtern, Produktinnovationen noch besser auf die Bedürfnisse der Kunden auszurichten. Eine vereinfachte und engere Verzahnung von internen Entwicklungsprozessen und externem Feedback bzw. „gemeinsamer Entwicklung“ wird durch leistungsstarke KI-Tools, wie beispielsweise Artbot, erst möglich gemacht.
Mit solchen Werkzeugen können Teilnehmende in Co-Creation-Prozessen Gedanken und Vorstellungen präzisieren und vor allem mit einem Mausklick bzw. Prompt im wahrsten Sinne des Wortes Gestalt verleihen. Das führt zu einer tieferen und nuancierteren Erfassung von Verbrauchervorstellungen. Kunden können in Echtzeit an Kundenworkshops teilnehmen, Konzepte einspielen und den Austausch auf eine bereicherndere und kreativere Weise gestalten.
Textverarbeitende KI in der Marktforschung
Eine weitere spannende und bereits weit verbreitete Anwendung von KI in der Marktforschung ist die Textverarbeitung. Technologien wie "Speech to Text" mit anschließender Textverarbeitung ermöglichen schon heute das Live-Mithören von Interviews in China von Stuttgart aus. Zusammenfassungen von qualitativen Interviews können live erfolgen. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten, die oft etwas „sperrige“ qualitative Forschung viel zugänglicher zu gestalten. “Live-Zusammenfassungen“ von Face-to-Face-Interviews dürfen nicht als Ersatz für einen guten Bericht dienen, sie bieten aber die Möglichkeit, die Kernergebnisse von hunderten Interviews in China, USA und Deutschland in Echtzeit zu streamen.
Der klassische Anwendungsbereich von KI in der Textverarbeitung ist jedoch das Textverständnis. Diese Form von KI, die mit der generativen KI verwandt ist, wird bereits seit einigen Jahren in Instituten und Unternehmen genutzt. Ein typischer Anwendungsfall sind große CX-Programme, bei denen täglich tausende von Antworten auf offene Fragen generiert werden. Diese Antworten gilt es so auszuwerten, dass die Daten schnell und am besten live zugänglich gemacht werden. Durch ein durchdachtes Topic-Management können Themen, Probleme und Verbesserungsvorschläge für einen Filialleiter, nehmen wir an von Douglas in der Kölner Schildergasse, quasi live zugespielt werden. Durch textverstehende KI werden CX-Projekte erst lebendig und mit lebendigen Tools erreicht man viel mehr Reichweite und damit Wirkung bei den Adressaten von CX Insights.
Die Wiederentdeckung der klassischen KI
Der Unterschied zwischen klassischer KI im Sinne von Data Science und generativer KI liegt in ihrer Funktionsweise. Klassische KI basiert auf empirisch ermittelten Algorithmen, wie beispielsweise der Vorhersage des Bierabsatzes in Abhängigkeit von Wochentag, Temperatur, Sportereignissen usw. Auf der anderen Seite nutzt generative KI große Sprachmodelle, sogenannte LLMs, um Texte zu erstellen, die möglichst nahe an dem sein sollen, was und wie Menschen schreiben würden. Die eine KI generiert Fakten, nämlich Algorithmen, die andere simuliert Fakten, indem sie auf Sprach-Algorithmen zugreift.
Während generative KI seit 12 Monaten enorm viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, sollten wir die Möglichkeiten der, nennen wir sie „klassischen KI“, nicht außer Acht lassen. Sie bietet ein enormes Potenzial, steckt aber aufgrund von Datenverfügbarkeit bzw. mangelnder Dateninfrastruktur in Unternehmen leider noch immer in den Kinderschuhen. Das verändert sich aber gerade rasant – der generativen KI sei es gedankt. Wobei generative KI dabei oft gar nicht oder nur am Rande zum Einsatz kommt. Wir sollten uns darüber freuen, denn das ist eine Riesenchance für Institute wie für betriebliche Marktforscher. Man könnte sagen, vielleicht sollte man es sogar einmal negativ formulieren: Wenn wir es nicht tun, werden es andere tun.
Insgesamt sollten wir beide KI-Ansätze, also die relativ neue generative KI und die vielen bekannten KI-Verfahren aus der Data Science als wertvolle Werkzeuge in der Marktforschung betrachten. Richtig angewendet können sie zu ungeahnten und hochrelevanten Informationen führen.
Ein häufiges Missverständnis in Bezug auf den Nutzen von KI
KI als Zeitersparnis? Ja, aber nicht nur. Es ist wahr, dass KI in der Lage ist, Zeit in verschiedenen Prozessen einzusparen. Doch der tatsächliche Mehrwert von KI geht weit über die reine Zeitersparnis hinaus. Es geht darum, wie wir unsere Arbeitsweisen grundlegend neugestalten, damit wir nicht nur schneller, sondern vor allem anders arbeiten. So anders, dass wir andere Ergebnisse erzielen. Generative, bildgebende KI bietet beispielsweise die Chance, Kreativprozesse auf eine neue Ebene zu heben. Marktforscher werden nicht durch KI ersetzt, sondern durch Marktforschende, die KI adäquat einsetzen. Und adäquat bedeutet gerade nicht: Ich lasse meinen Fragebogen von ChatGPT erstellen, sondern dadurch, dass ein proprietäres Sprachmodell adäquate Vorschläge macht, die mich als Forschenden schneller von A nach B bringen, damit ich mich anderen Aufgaben widmen kann, die aus Kundensicht echten Mehrwert generieren. Das ist der eigentliche Charme von generative KI – und die Riesenchance.
Fazit: Die Marktforschung ist im Wandel
Die Marktforschungsbranche durchläuft eine aufregende, eine an Chancen reiche Phase des Wandels, getrieben durch die rasanten Fortschritte in der generativen KI. Der Wind, der gerade durch die Institute und betrieblichen Marktforschungsabteilungen weht, gibt den „alten KI-Themen“, die wir seit Jahren aus dem Bereich Data Science kennen, zum Glück neuen Auftrieb. Die Möglichkeiten reichen dabei weit über die Automatisierung von Fragebögen und PowerPoint-Grafiken hinaus. Marktforschung in der KI auf generative Themen wie „erstelle mir einen Chart für diese Gabor-Granger-Ergebnisse“ zu reduzieren, wäre fahrlässig – zumal es derzeit noch überhaupt nicht gut funktioniert.
KI ermöglicht u. a. die Personalisierung von Vermarktung und Produktangeboten mit einer nicht gekannten Präzision und Granularität. Das ist ein typisches KI-Anwendungsfeld, das uns interessieren sollte und nicht, ob ich acht Minuten pro Fragebogen sparen kann, weil ChatGPT mir einen mehr oder weniger guten Fragebogenentwurf erstellen kann.
Die wirklich erfolgreiche Integration von KI erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen menschlichen Forschenden und den entsprechenden Systemen. Menschliche Expertise ist nach wie vor unverzichtbar, um KI-Modelle zu trainieren, zu validieren und die Ergebnisse zu interpretieren. Nur diese Kombination von menschlichem Wissen und maschinellem Lernen kann zu besseren, tieferen, nuancierteren Einblicken führen.
Marktforschung steht nun vor der großen Herausforderung, diese Möglichkeiten zu entwickeln und in den Markt zu tragen. Marktforschende, die die KI-Technologien adäquat einsetzen und menschliche Expertise geschickt mit KI kombinieren, werden in der Lage sein, neue Märkte zu erschließen und Wettbewerbsvorteile zu heben.
Über die Person
Olaf Hofmann hat an der Universität Bonn Psychologie studiert und zusammen mit Jörg Korff 1995 SKOPOS als Full Service Marktforschungsinstitut gegründet. Zusammen mit Thomas Starsetzki ist er Group-Geschäftsführer der SKOPOS GROUP, die als Holding die operativen Gesellschaften sowie die Shared Services der Group steuert. Olaf Hofmann ist innerhalb der Geschäftsführung der SKOPOS Group für die Units und Finance verantwortlich.
Weitere Informationen zum Unternehmen auf marktforschung.de:

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