Marktforschung im Tourismus – mehr als nur Gästebefragungen

Karsten Palme, geschäftsführender Gesellschafter der COMPASS GmbH (Bild: COMPASS GmbH)

Karsten Palme, geschäftsführender Gesellschafter der COMPASS GmbH (Bild: COMPASS GmbH)

Von Karsten Palme, geschäftsführender Gesellschafter der COMPASS GmbH

Wenn touristische Destinationen oder große Besucherattraktionen Daten für ihre strategische Entwicklung, ihre Investitionsplanung, Qualitätsverbesserungen oder andere Vorhaben benötigen, greifen die jeweiligen Verantwortlichen meist zu dem altbekannten und bewährten Mittel der klassischen Gästebefragung. "Was gefällt Ihnen hier besonders gut?", "Bitte bewerten Sie die Qualität in X auf einer Skala von 1-5", "Möchten Sie nächstes Jahr wiederkommen?". So lauten die meisten Fragen, die sich häufig sehr ähnlich sind und wiederholen. Im Ergebnis entstehen Durchschnittswerte und Ergebnislisten, deren Wert für die weitere Planung von bedingtem Nutzen sind. Zwar kann man sich freuen, wenn die Qualität im Vergleich zum Vorjahr von 2,4 auf 2,2 gestiegen ist, es stellt sich nur die Frage – ist das wirklich relevant? Auch ist es erfreulich zu wissen, dass die Gäste zu 57% wegen der schönen Landschaft wiederkommen würden – nur, was bedeutet das für die touristische Produktentwicklung? Zudem sind klassische Fragen wie "Gehen Sie im Urlaub gerne shoppen?", der die Gäste in allen Befragungen mit 89% zustimmen, von eher begrenztem Aussagewert.

Ergänzt werden die Umfragen meist mit sozio-demographischen Angaben. Wir wissen dann also, dass überdurchschnittlich gut verdienende 50jährige kulturaffiner sind als 20 jährige Gruppenreisende. Nur, rechtfertigt dies die entsprechenden Ausgaben für eine umfangreiche Gästebefragung?    

Die Problematik wird dann besonders interessant, wenn die Verantwortlichen eine repräsentative Umfrage wünschen, was bei den meist begrenzten Budgets und der vorgegebenen Methodik freilich unrealistisch ist.

Sicher gibt es Daten, die nur mittels quantitativer Erhebungen ermittelt werden können – nur wird bei der Methodenwahl gerade in touristischen Projekten die Vielfalt der Erhebungsmethoden häufig nicht dem Informationsbedarf entsprechend genutzt. 

Qualitative Daten sind oft der Schlüssel zum Verständnis von Touristen

Während der Wunsch von Tourismusplanern nach einer soliden Datengrundlage für ihre weiteren Planungen natürlich absolut nachvollziehbar ist, ist der Hang zur Durchführung von quantitativen Gästebefragungen nur teilweise verständlich. Denn, was ist heute im Tourismus - einer sehr komplexen Branche mit hoch ambivalenten Kundenwünschen -  eigentlich gefragt? Meist geht es doch darum, die Hintergründe von Besuchsentscheidungen zu erfahren. Wie wird innerhalb einer Familie diskutiert, bevor eine Entscheidung gefällt wird? Wie wird Qualität in einer Destination tatsächlich wahrgenommen? Warum genau sind manche nicht klassifizierten Hotels beliebter als 4-Sterne Häuser? Was fehlt in der Fußgängerzone, um dort die Aufenthaltsqualität zu erhöhen? Welche vermeintlich unbedeutenden Begegnungen bleiben eigentlich nach dem Aufenthalt haften? Welche Ideen zur Destinationsentwicklung haben die Gäste? Antworten auf solcherlei Fragen werden wir bei der Gästebefragung mit standardisierten, meist geschlossenen Fragen nicht erhalten.    

Fragestellungen sind oft unklar

Die Problematik beginnt meist mit der Fragestellung. Reiseveranstalter, Museumsbetreiber oder Destinationsmanager haben oftmals lediglich eine erste Idee, was sie von ihren Gästen wissen möchten – eine klare Vorstellung von tatsächlich fehlenden Informationen und Daten für die jeweilige Region oder Einrichtung besteht hingegen nicht. So lassen sich in den meisten Fällen bereits wichtige Daten aus frei verfügbaren Quellen, wie den statistischen Ämtern oder bundesweiten Umfragen zum Urlaubs- und Freizeitverhalten ziehen und interpretieren. Urlaubspräferenzen im Allgemeinen oder das Ausgabeverhalten im Urlaub sind bereits bestens erforscht und müssen nicht in jeder Region wiederholt werden. Werden sie aber dennoch und damit wird regelmäßig viel Geld für wenig nutzbare Daten ausgegeben.

Was hingegen in quantitativen Erhebungen oft fehlt, ja methodenbedingt fehlen muss, sind Informationen zu den eigentlichen Motiven und individuellen Hintergründen für bestimmte Urlaubspräferenzen, die eventuell unbewussten Wünsche und die Vorstellungen von Gästen, die sich erst im Gespräch mit anderen ergeben.

Also alles Informationen, die sich besonders gut durch qualitative Methoden ermitteln lassen. Dennoch sind die Nachfragen nach Fokusgruppendiskussionen oder teilnehmenden Beobachtungen äußerst selten, während die klassische quantitative Gästebefragung noch immer der Standard ist.

Methodenvielfalt wird nicht genutzt

Dabei bietet die Marktforschung doch eine Vielzahl von Methoden, die hochvalide Ergebnisse liefern und gerade für die komplexen Gästewahrnehmungen im Tourismus und der Freizeitwirtschaft bestens geeignet sind.

So können Reiseentscheidungsprozesse oder Besuchsabsichten in ihrer vollen Komplexität in Fokusgruppendiskussionen nachvollzogen werden. Auch die Hintergründe für Gästezufriedenheit oder innovative Ideen für die weitere Entwicklung einer Besucherattraktion oder Region lassen sich so umfassend ermitteln. Häufig sind es nämlich nicht die großen Attraktionen, die einen Urlaub besonders machen, sondern die vermeintlich kleinen Dinge oder zufällige Begegnungen. Oft sind dies Erlebnisse, die den Gästen zunächst gar nicht bewusst sind und erst im Gespräch ermittelt werden können. Dies kann jeder schnell nachprüfen - denken Sie bitte an ihren letzten Urlaub: was war ihr schönstes Erlebnis? Nun, höchstwahrscheinlich bedarf es einer längeren Erläuterung, ein Kreuz in der Kategorie "Gastfreundschaft und Menschen" wird dem nicht gerecht werden. In einer Fokusgruppe hingegen, in der 8-12 Teilnehmer von einem Moderator zielführend durch das Thema gelenkt werden, ergibt sich eine Fülle von qualitativ hochwertigen Informationen und belastbaren Ergebnissen.

Neben Fokusgruppendiskussionen bieten sich auch Beobachtungen an. Wie verhalten sich die Gäste am Urlaubsort oder in einem Science Center eigentlich? Wo halten sie sich lange auf? Was wird links liegen gelassen? Trennen sich Familien oder bleiben sie zusammen? Qualitativ orientierten Beobachtungsstudien liegen dabei keinerlei inhaltliche Beobachtungsschemata zugrunde, sondern nur die jeweils im Vorfeld gemeinsam identifizierten Leitfragen. Wahrnehmung, Aufzeichnung und Auswertung sind von den Beobachtern offen gestaltbar.

Das bedeutet: Es werden nicht – wie bei einer quantitativen Erhebung - die zuvor erstellten Hypothesen überprüft, sondern entwickelt. Die Hypothesen stehen also nicht am Anfang der Beobachtung, sondern können während und am Ende der Beobachtung auf der Basis der durch die Beobachtung gewonnenen Informationen erstellt werden. Dies macht diese Methode zu einem hervorragenden "Partner" für die Anwendung ergänzender Methoden. Für Fokusgruppen-Befragungen können die Ergebnisse von Beobachtungen zum Beispiel die entscheidenden Leitfragen liefern. Dagegen kann eine nachgeschaltete standardisierte Befragung der beobachteten Personen die Informationslücken über Motive und Hintergründe füllen und ein aussagekräftiges Gesamtbild von Gästewünschen entstehen lassen.

Um die Wahrnehmung einer Region zu erforschen, gibt es zudem die aus der Wahrnehmungspsychologie entlehnte  Methode der kognitiven Kartierung. Wie sieht die innere Karte, die "mental map" eines Urlaubsortes eigentlich aus? Hierfür werden Gäste gebeten, eine Karte des Ortes mit den für sie relevanten Attraktionen, Störfaktoren oder Besonderheiten zu zeichnen. Hier wird schnell erkenntlich, was den Gästen tatsächlich wichtig ist, welche Einrichtungen wahrgenommen werden, welche Wege genutzt werden. Der Nutzen solcher Erhebungen ist vielfältig, sowohl für das Marketing, die Information vor Ort, die Entwicklung von Produkten etc.

Zudem stellt sich die Frage, weshalb immer die Gäste selbst befragt werden sollen? Oftmals wissen deren Gastgeber, Mitarbeiter in Tourist-Informationen, Reiseführer oder Inhaber von Souvenirläden am besten, was die Gäste wünschen. Schließlich führen sie täglich Gespräche und sind am dichtesten an ihren Kunden dran. Es liegt als nahe, diesen Personenkreis als Experten anzusehen und Expertengespräche zu führen. Expertengespräche stellen eine besondere Form des qualitativen Interviews dar. Ziel ist die systematische und lückenlose Informationsgewinnung zu einem bestimmten Thema. Der Experte dient dabei nicht als "Ratgeber", sondern als jemand, der über öffentlich nicht zugängliches Fachwissen verfügt. Zur Durchführung von Experteninterviews ist ein relativ ausdifferenzierter Leitfaden notwendig. Eine Standardisierung bzw. thematische Vergleichbarkeit der Daten ist möglich, wenn der gleiche Leitfaden auf Gespräche mit mehreren Experten zum gleichen Thema angewendet wird. Auch Expertenrunden können durchgeführt werden.

Differenzierte Ergebnisse bringen größten Kundennutzen

Im Auftrag von verschiedenen Science Centern oder Großausstellungen haben wir mehrere Fokusgruppendiskussionen zu der gleichen Frage durchgeführt. Nämlich: wünschen die Besucher eine beschilderte, geführte Route durch die Ausstellung oder bewegen sie sich lieber frei? Derartige Fragestellungen könnten dazu verleiten, vor allem, wenn die Ausstellungen in ähnlichen Größenordnungen liegen, die Ergebnisse einer Befragung zu verallgemeinern. Doch die Diskussionen lieferten sehr differenzierte Aussagen, die von den Ausstellungsmachern dann auch entsprechend realisiert wurden. So hatten Familien eher den Wunsch, gemeinsam geleitet zu werden (was auch die Eltern aus der einen oder anderen Erklärungsnot befreien kann), während Einzelbesucher lieber den freien Zugang wählten. Zudem hatten die Komplexität des Themas, das Ambiente der Ausstellungsräume, die gesamte Aufenthaltsdauer, die Ruhemöglichkeiten und viele andere Faktoren großen Einfluss auf die Gestaltung des Besuchermanagements. Für die Ausstellungsplaner und Projektentwickler sind solche differenzierten Ergebnisse natürlich eine große Herausforderung, im Sinne der Gästezufriedenheit und somit auch des wirtschaftlichen Erfolgs, lohnt die Mühe jedoch.     

Natürlich sind qualitative Erhebungen angreifbarer als quantitative Befragungen. Denn das Argument "1.000 Gäste haben gesagt, dass…" kann als starkes Argument bestens genutzt werden. Der Sache dient es hingegen nur selten. Neue Methoden auszuprobieren, erfordert aufseiten der Tourismusplaner ein wenig Mut und Innovationskraft. Genau das macht dann aber auch den Unterschied zwischen einer durchschnittlich geführten und einer professionell gemanagten Region/ Attraktion aus.

Wenn dann noch die qualitativ erhobenen Erkenntnisse quantitativ überprüft werden, entsteht eine tatsächlich sehr belastbare Entscheidungsgrundlage. Da aufgrund der qualitativen Ergebnisse sehr gezielt gefragt werden kann, können quantitative Gästebefragungen die letzte Sicherheit bringen. Bei weitreichenden Entscheidungen ist dies sicher der zielführendste Weg zu einer sicheren Datengrundlage bei gleichzeitig effizientem Budgeteinsatz.          

Zur Person:

Karsten Palme ist geschäftsführender Gesellschafter der COMPASS GmbH, einem auf die Tourismus-, Freizeit- und Mobilitätsbranche spezialisierten Beratungs- und Marktforschungsunternehmen. Als Innovationstrainer ist es ihm wichtig, neben dem klassischen Beratungsansatz neue Wege zu gehen und seinen Kunden zu neuen Impulsen zu verhelfen.

 

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