Marktforschung 2.0 - Vom Fragebogen zur Real-Time Research durch Social Media Analyse

Sten Franke (ethority)

Von Sten Franke, CEO und Gründer von ethority

Der Markt

Im Allgemeinen ist mit dem Begriff Marktforschung 2.0 u.a. das Social Media Monitoring bzw. die Social Network Analyse gemeint. Im Unterschied zu den etablierten Ansätzen und Methoden geht es vor allem darum, dass jetzt nicht mehr nur gefragt, sondern vor allem auch zugehört wird, was im anglo-amerikanischen Kontext oft mit "Listening" bezeichnet wird. Hierbei geht um die Auswertung von Nutzermeinungen auf Social Media Plattformen.

Forrester sagte in seiner Studie "The Forrester Wave™: Brand Monitoring" schon 2006 den Vormarsch des Social Media Monitoring und die damit einhergehende Veränderung in der traditionellen Marktforschung voraus. Die Analysten hielten es für möglich, dass bereits 2012 50% der Marktforschungsbudgets in den USA für Analysen ausgegeben werden, deren Datengrundlage Social Media ist. Ob sich dieser Umstand tatsächlich realisiert, werden wir spätestens 2013 erfahren.


Was sich in dem US-Markt schon jetzt zeigt, ist die große Bandbreite an Anbietern, die sich auf dieses neue Marktsegment spezialisiert haben. Die meisten Anbieter sind Software-Provider, mit deren Tools es möglich ist, das Vorkommen von Marken- oder Produkterwähnungen in den Social Media zu tracken. Für eine tiefergehende Analyse sind die meisten Tools jedoch wenig geeignet. Diese Erfahrung mussten sicherlich schon einige Dienstleister machen. So tritt nach einer euphorischen Anfangsstimmung meist die Ernüchterung ein, da es mit dem Kauf oder der Registrierung eines Social Media Monitoring Tools nicht getan ist. Die Hauptarbeit kommt im zweiten Schritt und erfordert neben dem methodisch sauberen Vorgehen auch eine gehörige Portion Know-How im Bereich Suchtechnologie, Data Clustering und Kenntnis der gesamten Social Media Landschaft (siehe Social Media Prisma). Dieses Know-How lässt sich nicht im Handumdrehen aufbauen, zumal am Markt kaum Fachkräfte verfügbar sind.

Über die Hälfte der Deutschen sind social

Aufgrund des jüngsten Siegeszuges in der Nutzung von Social Media ist es wenig verwunderlich, dass 90% dieser Big Data in den letzten 24 Monaten generiert wurden und sich laut dem IDC alle 18 Monate verdoppeln werden. Anlässlich des Welt-Telekommunikationstages am 17. Mai 2012 hat sich das Statistische Bundesamt (Destatis) einmal die Social Network-Nutzung in Deutschland angesehen. Und es lohnt sich, die Ergebnisse dieser Arbeit noch einmal zu reflektieren, da hier auch Nutzungsgewohnheiten untersucht wurden:

  1. 53 Prozent aller einheimischen User nutzten im Jahr 2011 soziale Netzwerke für private Kommunikation.
  2. 29,6 Millionen Menschen (im Alter ab zehn Jahren) kommunizierten im letzten Jahr via Social Networks.
  3. Soziale Netzwerke sind insbesondere bei jungen Erwachsenen beliebt: 2011 waren 91 % der Personen im Alter von 16 bis 24 Jahren hier privat aktiv.
  4. Mit zunehmendem Alter nimmt die Nutzung von Facebook, Xing oder Google+ jedoch ab. "Bei den 25- bis 44- Jährigen lag der Anteil bei 57 %, bei den 45- bis 64-Jährigen bei 33 % und bei den Internetnutzern ab 65 Jahren lediglich bei 28%".
  5. In allen Altersgruppen gilt: Frauen kommunizierten häufiger als Männer privat über die Social Networks.
  6. Auch Business-Networks wie Xing, LinkedIn & Co. haben sich die Statistiker angesehen. Sie sprechen allerdings von sozialen Netzwerken für "berufsbezogene Kontakte". Mit 11 Prozent nutzten Männer diese häufiger als Frauen (7 %). "Insgesamt beteiligte sich lediglich knapp jeder zehnte Internetnutzer aus beruflichen Gründen in sozialen Netzwerken (9 % oder 5,3 Millionen Menschen)".
  7. Im Europavergleich liegt Deutschland mit diesen Ergebnissen im Durchschnitt. Der Spitzenreiter in der privaten Nutzung von sozialen Netzwerken im EU-Vergleich ist Lettland (79 %) vor Ungarn (76 %). Bei der Nutzung für berufliche Zwecke erreichte Deutschland mit zehn Prozent genau den EU-Durchschnitt. Knappe Nummer Eins ist hier die Niederlande (21 %) vor dem Zweitplatzierten Finnland (20 %).

Big Data ist Mega-Trend

Im Zeitalter des "Conversational" bzw. "Social Webs" revolutionieren die Konversationen der Nutzer in den Social Networks die Art, wie wir zukünftig Marktforschung betreiben müssen. Die Grundlage dafür sind weltweit mehr als eine Milliarde aktiver Social Web Nutzer, die eine riesige Masse an Daten produzieren. Nüchtern betrachtet sind die unzähligen Meinungsäußerungen, Kommentare, Likes und Interaktionen in den Social Media i.e. Facebook, Twitter, Foren, Blogs nur Milliarden digitaler Text-Schnipsel. Dazu kommen weitere Milliarden von Audio- und Videodaten sowie Daten aus GPS-Locations. Diese Ansammlungen von Informationen und Daten, bezeichnen wir mit "Big Data", welche zukünftig mehrheitlich die Datengrundlage für die Marktforschung bilden werden. Die "Big Data" Revolution wird durch die 3 V’s charakterisiert: Volume, Variety und Velocity of data. Da diese abstrakten Begriffe wenig mit der Analyse von Sympathie, Emotionen und Nutzervorlieben zu tun haben, stellen wir uns einfach mal vor, welche Daten typische Social Media Smartphone-Nutzer bei seinem Bummel durch die Läden am Hamburger Gänsemarkt generieren. Mit ihrem digitalen "Check In" auf Facebook, Foursquare oder anderen Networks teilen sie allen Freunden mit, dass sie jetzt im Ladengeschäft z.B. bei "Urban Outfitters" angekommen sind und nun die neuen Kollektionen durchstöbern. Als nächstes werden Fotos einzelner Kleidungstücke gemacht und auf die eigene Facebook-Wall oder der Marke hochgeladen. Diese werden dann mit Freunden diskutiert und bewertet. Die besten Fotos mit den interessantesten Outfits landen dann auf der eigenen Web-Pinwand bei Pinterest und können wiederum von anderen Nutzern bewertet oder selbst genutzt werden. Stellen wir uns nun vor, dass nur ein Prozent der Besucher des Ladenlokals diesen Vorgang wiederholt, welche Masse an Daten generiert wird. Wäre "Urban Outfitters" nicht interessiert zu wissen, welche Kollektionen besonders gut bei den Nutzern ankommen und wie die einzelnen Teile kombiniert werden oder welche Fashion-Trends besonders favorisiert werden?

In einer aktuellen Untersuchung kommt die Unternehmensberatung McKinsey zu dem Ergebnis, dass die meisten C-Level-Executives vor allem drei Schlüsseltrends im Digital-Business sehen:

  • Big Data und eine entsprechende Analyse der Daten
  • Digitales Marketing und die dazu gehörigen Social Media Tools
  • Die Nutzung der neuen Plattformen wie Cloud-Computing und andere Mobil-Angebote

Die Erwartungen an diese drei Mega-Trends sind sehr hoch. So glaubt ein Drittel der Befragten, dass sich über die genannten Trends die operativen Einnahmen innerhalb der nächsten drei Jahre um mehr als zehn Prozent steigern lassen. Die Manager von Unternehmen, die in privater Hand sind, sehen ein weitaus größeres Wachstumspotential, als ihre Kollegen bei Firmen oder Organisationen, die in öffentlicher Hand sind. 39 Prozent der "Privaten" rechnen mit einem Wachstum dank der drei oben definierten Trends von über zehn Prozent. Bei den öffentlichen Entscheidern liegt dieser Wert dagegen nur bei 24 Prozent.
 
Wie stark der Innovationsdruck bei den drei oben genannten Trends mittlerweile ist, zeigt der Fakt, dass mehr als die Hälfte aller Befragten angab, dass mindestens zwei der drei Trends zu den Top-Ten der strategischen Firmenziele in den nächsten Jahren gehören. Das Digital Marketing, genauso wie Big Data gehört bereits bei 25 Prozent aller Unternehmen zu den Top-3 Prioritäten.

Social Media Monitoring in Deutschland

Eine Untersuchung des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) ergab, dass Social Media Monitoring in Deutschland momentan überwiegend für die PR/Pressearbeit (73,6 Prozent) und für die Kundenbindung (59,5 Prozent) eingesetzt wird. Momentan nutzen noch 46 Prozent der Befragten die Daten auch für die Marktforschung.

Innovation vs. Reputation

Den Hauptgrund sehe ich darin, dass die meisten genutzten "Social Media Clipping"-Tools keine für die Marktforschung verwendbare Daten liefern. Die Motivation zur Nutzung dieser "Basic Listening" Tools liegen im frühzeitigen Aufspüren von Krisenszenarien oder Reputationsrisiken (Shitstorm). Dies ist eine reale, aber meist eher unwahrscheinliche Gefahr. Die Daten für eine profunde Marktforschung für die Produkte der jeweiligen Marken sind jedoch meist jedoch viel wertvoller. Ein Umstand, dessen sich noch nicht einmal die Hälfte aller Unternehmen bewusst ist. Dabei bietet ein professionelles Social Media Monitoring drei Vorteile, die das Herz von jedem Marktforscher höher schlagen lassen:

  1. Der Kostenaufwand ist im Verhältnis eher gering und genau kalkulierbar.
  2. Die Ergebnisse gibt es in real-time, also Echtzeit
  3. Die Resultate basieren – wenn  man es richtig macht – auf einer sehr breiten Datengrundlage, die im Idealfall annähernd 100% der thematisch relevanten Beiträge und Kommentare betragen.

Ein weiterer Faktor, den man nicht unterschätzen sollte, ist auch der Umstand, dass sich das Konsumenten- und Mediennutzungsverhalten verändert hat. Bei vielen Menschen hat in den vergangenen Jahren die Bereitschaft bei Telefon- oder Straßen-Interviews mitzumachen, stark abgenommen. Auch für dieses Problem hilft eine Marktforschung via Social Media Monitoring. Zudem kommt der Wahl der richtigen Netzwerke, mit deren Hilfe die Marktforschung durchgeführt werden sollte, eine entscheidende Bedeutung zu.
 
How-To?

Fast täglich erreichen uns Anfragen zum Thema Social Media Monitoring, Webmonitoring und Measurement in Social Media. Wen wundert’s – bildet doch das "Zuhören" oder "Hineinhören" in die betroffenen Zielgruppen die Grundlage für viele aktive Marketing- und CRM-Maßnahmen. Als wir vor über zehn Jahren mit den ersten Webmonitoring-Projekten begonnen haben, waren vor allem Newsgroups, Messageboards, Gästebücher und Webseiten im Fokus unserer Analysen. Mit dem rasanten Wachstum von User Generated Content und dessen Einfluss auf Markensympathie, Empfehlungsverhalten und Kaufentscheidungen der Verbraucher, aber auch auf Reputation von Produkten, Personen, Unternehmen und Organisationen, wächst der Bedarf für professionelle Studien. Besonders wichtig ist die Analyse von Social Media in Echtzeit und das 24/7-Monitoring, denn die Geschwindigkeit mit der Kommunikation heute abläuft, hat sich wie o.a. vervielfacht. Relevante Informationen werden in wenigen Sekunden verbreitet, kommentiert, hundertfach multipliziert und millionenfach "gehört".

So ergeben sich zahlreiche Herausforderungen aufgrund der Komplexität von Social Media und den mannigfaltigen Auswertungsdimensionen und Möglichkeiten. Dabei stellen sich oft folgende Fragen:

  1. Welche Social-Media-Plattformen sollten untersucht werden?
    >> Twitter und andere Microblogging-Dienste, Blogs, Social Networks, Online-Foren, Bewertungsportale, Video-Channels, News-und Nachrichten-Seiten, Aggregatoren etc.
  2. Welche Themen sollten untersucht werden?
    >> Marken, Produkte, Social Media Kanäle, Zielgruppen & Personas
  3. Welche Social Media Research Tools sind am Markt verfügbar?
    >> Websearch-Tools, Webclipping-Services, Monitoring-Dashboard-Tools wie z.B. gridmaster, Social Media Monitoring Technologie
  4. Wer wertet die Daten aus und wie werden diese interpretiert?

    >> Eigenes Know-How, Research-Team, Referenz-Systeme & Kennzahlen, Social Media Analysten
  5. Welche Erkenntnisse, ROI, Benefits und KPIs lassen sich ableiten?
    >> Werbewirkung, Consumer Insights, Kundenbindung und effektivere Kampagnenplanung

Bei der Social Media Marktforschung werden authentische Gespräche im Internet identifiziert, erhoben und ausgewertet. Damit grenzt sich die Social Media Marktforschung von klassischen Onlinebefragungen im Internet ab. Social Media Research steht in einem ergänzenden Verhältnis zur klassischen qualitativen Marktforschung. Ziel ist es, vom Gesagten auf das tatsächlich Gemeinte zu schließen – und das direkt anhand der relevanten Diskussionen der betroffenen Zielgruppe und nicht anhand einer Stichprobe.

Vielmehr ist es mittels der Social Media Marktforschung möglich herauszufinden, wo sich Kunden aufhalten, worüber sie sich unterhalten, was ihnen gefällt oder eben nicht. Im Internet setzen sich Millionen von Verbrauchern täglich mit Produkten und Marken auseinander. Dabei bleiben sie nicht stumm, sondern äußern laut ihre Erfahrungen. Das Web 2.0 bietet unzählige Plattformen, auf denen sich Nutzer in Gruppen und Gemeinschaften zusammenfinden, um sich über bestimmte Unternehmen, Marken oder Produkte auszutauschen. Sie sind betroffene Zielgruppen, da sie mit Produkten und Marken agieren.

Mit einem Social Media Monitoring ist es nun möglich, die Bedeutung der Gespräche zu analysieren. Einseitiges Monitoring reicht hier nicht aus, um adäquat die Bedingungen zu erfüllen, wichtig ist eine Betrachtung in Echtzeit. Die Nutzung isolierter Social Media Tools (nicht-vollerhebendes Monitoring und manuelle Recherche) können in ihrer Suche vieles nicht erfassen und schließen damit vieles aus.

Häufige Einsatzfelder sind Marken- und Markt-Analysen, Studien zum Verbraucherverhalten, Wettbewerber-Benchmarks, Trend-Analysen, Reputations-/ Kommunikationsanalysen, Innovationsforschungsprojekte und natürlich das kontinuierliche Tracken jeglicher Kampagnen, denn auch die traditionelle Media-Kampagne findet ihre Resonanz in den Social Media.
 
Die Zukunft: Ist der Data Scientist der neue Betriebsmarktforscher?

Die Geschwindigkeit, mit der Daten abgerufen und analysiert werden können, explodiert. Die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen der Big Data Analyse Herr zu werden sind enorm. Dies setzt jedoch auch voraus, dass umfangreiche Kenntnisse und Fähigkeiten erlangt werden, um große Datenmengen zähmen zu können. Zu den Kernqualifikationen eines Data Scientisten gehören eine ordentliche Portion statistischen Scharfsinns, aber auch die Fähigkeit, strukturierte mit unstrukturierten Daten zu verbinden, um daraus Erkenntnisse und strategische, taktische und operative Empfehlungen ableiten zu können. Vielleicht ein integrierter Ansatz der Computer Science mit Psychologie und Soziologie verbindet. Interessanterweise haben wir die Erfahrung gemacht, dass Forscher mit sehr guten qualitativen Fähigkeiten und einem hohen Maß an Verständnis für den geschäftlichen Kontext einen erstklassigen Output liefern.
 
Fazit: Big Data Analyse ist zukünftig fester Bestandteil der Marktforschung 

In der Marktforschung via Social Media steckt großes Potenzial, dessen sich allerdings noch nicht einmal die Hälfte aller Unternehmen bewusst sind. Für Anbieter von traditionellen Marktforschungsdienstleistungen ist dies jedoch eine große Chance für eine erfolgreiche Diversifizierung und den Aufbau neuer attraktiver Produkt- und Service-Angebote, deren Nachfrage auch in Deutschland bald zunehmen wird. Sobald ein Unternehmen jedoch bereit ist, diese neue Form der Marktforschung anzuwenden, liegt eine Erfolgsformel in dem richtigen Mix aus neuen und klassischen Methoden und der Wahl des richtigen und erfahrenen Partners oder des entsprechenden leistungsfähigen Social Media Research Tools.

 

Diskutieren Sie mit!     

  1. tp am 14.06.2012
    Big Data und Tools hin oder her. Was nicht funktioniert ist:

    - Eine gute Analyse zu machen, was gesammelte Datenmassen wirklich bedeuten und gleichzeitig Punkt 1 dessen zu realisieren, was laut Sten Franke "die Herzen der Marktforscher höher schlagen" lässt, dass "der Kostenaufwand im Verhältnis eher gering" ist. Gute Analysen erfordern auch bei Big Data und Social Media Zeit und Aufwand von guten Leuten und das kostet eben.

    - alles das auch noch in Echtzeit zu tun. Suchmaschinen spucken vielleicht fast in Echtzeit Datenmassen aus die automatisch in Grafiken umgesetzt werden. Aber was bedeutet das schon. Zum einen kann dahinter jede Menge irrelevanter Datenmüll liegen, zum anderen ist so inhaltlich noch nichts Substanzielles erkannt, verstanden und erklärt.

    Ich bin deshalb vorsichtig geworden und habe mir angewöhnt, genau nachzufragen. Man stellt dann leider oft fest, dass mit Blick auf den Umgang mit solchen Daten jede Menge Übertreibung kursiert. Und das ist ein Problem der derzeitigen Diskussion über Social Media Forschung. Das zu häufig so getan wird, als ob hier ginge, was sonst nicht geht: Alles schnell + gut + günstig zu bekommen. Funktioniert bei Big Data ebenso wenig wie bei Social Media Forschung oder klasischer Marktforschung.

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