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Pascal de Buren, codit.co, Caplena GmbH Marktforscher brauchen eine neue Generation adaptiver Text-Analyse-Tools

Pascal de Buren, codit.co, Caplena GmbH
Von der Formulierung der Fragestellung über die Analyse der Antworten bis zur Generierung von Berichten, versuchen verschiedenste Firmen Software zu entwickeln, die diese Prozesse vereinfachen oder (vermeintlich) gar komplett automatisieren sollen. Dabei setzen die meisten dieser Tools auf Technologien, die unter dem Begriff der künstlichen Intelligenz (KI) zusammengefasst werden. Die größten Durchbrüche in der KI in den letzten Jahren (mit Ausnahme von Reinforcement-Learning, zum Beispiel Google’s AlphaGoZero) wurden anhand von riesigen Datensätzen erreicht. Moderne Bilderkennungs-Programme beispielsweise werden mit Millionen von Bildern gefüttert, jedes mit der Information versehen, ob es einen Hund oder eine Katze enthält. Pro Kategorie, die erkannt werden soll, sind circa 1000 Bilder in diesen Datensätzen. Wenn ich nun statt dem Oberbegriff "Katze", die Unterkategorie "Kurzhaar" von "Langhaar" unterscheiden will, muss ich als Entwickler hingehen und meine eigene KI "bauen" (für Bilder gibt es Dienstleistungen wie clarif.ai, die das vereinfachen). Dies erschwert die Integration solcher Methoden in Business-Applikationen, denn oftmals sind für Firmen spezifische Themen relevant, auf welche die "Standardmodelle" nicht passen.
Der Kontext ist entscheidend
In der Praxis braucht es flexiblere Tools, gerade für die Textanalyse, bei der einzelne Wörter oder ganze Passagen je nach Kontext ganz unterschiedliche Bedeutungen haben. Ein Beispiel von Kontextabhängigkeit: Auf die Frage "was gefällt ihnen nicht?" kann die Aussage "fällt mir nichts ein" ein stark positives Sentiment beinhalten, während es bei Standard Text-Analyse Tools wie der Google NLP API als "leicht negativ" klassifiziert wird. Diese Flexibilität ist nur über Adaption an die Domäne möglich, ein übergeordnetes "Gott-Modell" ist mit heutigem Stand der Technik nicht machbar, denn auch die modernsten KI-Modelle betreiben grundsätzlich nur Mustererkennung. Wie soll ein Modell verstehen, dass es bei einer Studie, in der es um Windeln geht, "bleibt trocken" ein positives Sentiment ausdrückt, wenn nicht einmal das Wort "Windeln" explizit vorkommt?
Der übermässige Hype, den einige Medien anfeuern mit Schlagzeilen wie "Künstliche Intelligenz liest jetzt besser als Menschen", ist da nicht förderlich, da so nicht erreichbare Erwartungen und Ängste geschürt werden. Im erwähnten Artikel geht es um das Beantworten von Fragen aufgrund von "gelesenen" Wikipedia-Artikeln. Lesen beinhaltet jedoch auch verstehen, was diese Programme definitiv nicht tun – sie streichen vielmehr in einem vorgegebenen Text mit dem Leuchtstift die Passage an, welche die Antwort wortwörtlich enthält (vgl. Sueddeutsche).
Modelle auf eine spezifische Aufgabe zu justieren, funktioniert jedoch schon recht gut. Eine Möglichkeit, die Domänen-Adaption vorzunehmen, ist über so genanntes "Transfer-Learning", bei der ein bestehendes Modell mit wenigen neuen Beispielen an eine andere Aufgabe angepasst wird. Voraussetzung, damit das klappt, ist, dass die Aufgaben genügend ähnlich sind. Beispielsweise könnte man so ein Sentiment-Modell, welches auf Filmkritiken trainiert wurde, auf Texte aus den Sozialen Medien anpassen. Einen Chatbot aus dem Sentiment-Modell zu basteln, geht so jedoch nicht. Andrew Ng, Pionier auf dem Gebiet "Deep Learning" - der Methode, die zum Durchbruch in den letzten Jahren geführt hat – meint dazu: "Transfer Learning führt zur Industrialisierung der KI".
Chancen für die Markforschung
Fokus der neuen Generation an Tools sollte sein, sich beispielsweise mittels solcher Techniken rasch und mit möglichst wenig Arbeit von Menschen an neue Domänen anpassen zu können, ohne sie dabei einzuschränken. In diesem Bereich sehe ich großes Potential für Neuentwicklungen in der Datenerhebung, der Auswertung von offenen Umfrage-Antworten wie bei unserer Analyse-Plattform codit.co sowie auch in der Analyse von Daten aus Sozialen Medien – allesamt Anwendungen, die technisch bereits umsetzbar sind. Dabei sollen die neuen Tools nicht nur Marktforschung schneller machen, sondern Projekte ermöglichen, die davor nicht durchführbar waren.
Ich sehe das als Gelegenheit, die Expertise und hohe Datenqualität der Marktforschung auf "Big Data"-Skala zu bringen und, ergänzt mit der qualitativen Forschung, bessere, individuellere und schnellere Erkenntnisse zu liefern. Laut einer kleinen Studie von Ipsos sehen 79 Prozent der Marktforschenden KI als Möglichkeit, die Forschung zu beschleunigen und 64 Prozent sind der Meinung, dass KI neue Arten von wertschöpfenden Analysen ermöglichen könnte. Hingegen sagen auch 74 Prozent der Befragten, dass sie noch nie KI eingesetzt haben. Ein klarer Hinweis darauf, dass noch keine zugänglichen Hilfsmittel für Marktforscher in diesem Bereich vorhanden sind.
Die KI als Werkzeug, der Mensch am Schalthebel
Bei aller Technologie, die in die neuen Tools reingepackt wird, ist immer entscheidend, dass die Kontrolle beim Mensch verbleibt und die Applikation transparent ist, in dem was sie tut. Beispielsweise soll es Marktforschenden zeigen, für welche Themen in einer Text-basierten Umfrage es noch mehr Inputs vom Menschen braucht. Ich hoffe, schon bald mehr solcher Applikationen zu sehen, die spezifische Aufgaben gut lösen, in dem sie sich schnell adaptieren können. Das bringt uns zumindest mittelfristig mehr, als inflationäres Gerede über die "besser-als-Mensch-KI".
Zum Autor
Pascal de Buren, MSc ETH: Mitgründer von der Caplena GmbH und codit.co, der Plattform zur Analyse von offenen Umfragen; Machine-Learning Ingenieur spezialisiert auf Bild- und Texterkennung. Vor seiner Zeit bei Caplena hat Pascal an Applikationen von Deep- und klassischem Machine-Learning für die Physik und Chemie geforscht.
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