Thomas Hoch & Jan Borcherding, Bonsai Research Markenführung ist kein Sprint, sondern ein Marathon

Marken zu steuern und zu messen ist vergleichbar mit einem Marathon und benötigt langfristiges Denken und Durchhaltevermögen. (Bild:picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Pool for Yomiuri)
Marken sind, gerade in unruhigen Zeiten, meist die wichtigste Konstante der Unternehmenskommunikation. Sie sollen die Marke aktuell halten, oft sollen sie Unternehmenswerte, wie Autorität, Richtlinienkompetenz oder „einfach“ nur Vertrauen transportieren. Gleichzeitig wächst das Misstrauen von Verbrauchern gegenüber globalen Konzernen und Marken. Ihr tatsächliches Handeln wird von Konsumierenden mehr denn je hinterfragt und ist mit wenigen Klicks überprüfbar.
Marken sind derzeit wirklich zu bedauern: Sie müssen kommunizieren, scheuen ein „Weiter-wie-bisher“ aber genauso wie den nächsten Shitstrom. Man kann es nicht allen recht machen, man kann nach Watzlawik nicht nicht kommunizieren und gleichzeitig muss man den Erfolg der Marke sicherstellen. Daraus ergibt sich die Frage: Wie messe ich denn nun den Erfolg meiner Marke? Und gleichzeitig: Wonach richte ich eine Marke eigentlich aus? Heute existiert gefühlt eine Myriade verfügbarer Größen, gleichzeitig wächst die Sehnsucht nach der einen Kenngröße, dem einen Key Performance Indicator (KPI), der Sicherheit bietet. Den hat aber niemand – auch wir nicht. Stattdessen ein Vorschlag für ein 5-Punkte-Programm.
1. Kenne deine Kategorie
Am Anfang steht – nicht nur in Krisenzeiten – eine komplette Kartierung aller Bedürfnisse, die eine Branche oder Produktkategorie bedienen. Auch wenn es weh tut, es braucht ein umfassendes Verständnis der Kategorie, kein bloßes Management Summary.
Neben der genauen Kenntnis der Kategorie-Bedürfnisse ergibt sich das nächste Problem: Lost in Data? Bei der Vielzahl verfügbarer Indizes, Brand Equity-Modellen und neuen Kanälen wie Social-Media-Analysen, muss zunächst einmal klarwerden, welche KPIs eigentlich in der jeweiligen Markenkategorie relevant sind. Im FMCG-Sektor sind es andere als im Finance-Bereich, wiederum andere sind entscheidend für die Markenstärke im Automobilsektor oder in der Energiewirtschaft.
Marken sind nur dann wirkungsvoll, wenn sie spezifisch auf Kunden und Anwendungsfälle ausgerichtet sind. Dies erfordert ein umfassendes Verständnis für die Bedürfnisse der Kategorie, die mit der Marke anvisiert wird. Hier fehlen heute oft der Überblick und der Wille zur Beschränkung!
2. Kenne deine Marke
Marken, die wissen wofür sie stehen und wie ihre Kategorie funktioniert, haben klare Vorteile: Sie sind meist stärker fokussiert als die Konkurrenz und differenzieren sich besser. Sie haben keine Angst, nicht für alle Konsumenten attraktiv zu erscheinen, weil sie wissen, dass ihre Fokussierung letztlich zu wirtschaftlichem Wachstum führt.
In einer Welt der inflationären Marken muss man für etwas stehen. Es ist eine bewusste Entscheidung, die man durchhalten muss. Das erfordert Mut.
Mut schon bei der Festlegung auf die Frage: Welche KPIs kann das Unternehmen überhaupt realistischerweise beeinflussen? Es ist ja nett, wenn die Information vorliegt, dass ein Öl-Unternehmen einen schlechten Ruf hat, was die CO2-Bilanzen angeht, aber diesen KPI wird das Unternehmen wohl kaum im Handumdrehen beeinflussen können. Wie sieht es aber mit sozialer Verantwortung der Marke aus? Wie sieht es aus mit Vertrauenswürdigkeit? Diese Themen kann auch das gewählte fiktive Öl-Unternehmen angehen.
Gerne übersehen wird ein heute immer entscheidenderer KPI: Die Messung der emotionalen Bedürfnisse der Konsumenten an eine Kategorie. Eine klare emotionale Markenausrichtungen führt gerade heute zu einem Mehrwert, einer messbaren Anziehungskraft, die über rational begründbare Kaufargumente hinausgeht. Alle emotional geführten Marken haben eine starkes, zur jeweiligen Bedürfnissituation des Verbrauchers passendes emotionales Angebot. Hinter dem Markenerfolg steckt meist das präzise Verständnis dafür, welche Emotionen für eine Marke eine Rolle spielen und wie man diese glaubwürdig bedient.
3. The Art of Benchmarks
Wenn klar ist was die eigene Marke und der Wettbewerb leisten und vor allem nicht leisten können, steht man vor der Herausforderung die richtigen KPIs und die dazugehörigen Benchmarks zu identifizieren, messbar zu machen.
Eine Marke darf nicht isoliert betrachtet werden, deshalb heißt es Benchmarks, Benchmarks, Benchmarks!
Relevant können – je nach Unternehmensart- und -größe – die Konkurrenz der Global Player oder die einer Nische sein. Benchmarks auszuwählen, ist eine Kunst und lässt sich nicht mit einfachen Allroundlösungen abdecken. Wer sich ansieht, wie überprüfbar und damit auch angreifbar Corporate Behaviour heute ist, sollte sich im Klaren darüber sein, wie eine Kommunikation oder ein Markenwert tatsächlich wahrgenommen werden.
4. Markenführung ist kein Sprint, sondern ein Marathon
Nach einer Befragung existieren KPIs, Benchmarks, Handlungsempfehlungen. Es wird an der Marke gearbeitet, vielleicht auch an der Kommunikation. Und nun? Alles gut? Alle Ziele erreicht? Marke erfolgreich? Meist wird nach einem halben Jahr oder Jahr eine Wiederholungsmessung vorgenommen. Oft zeigen sich Fortschritte im Schwankungsbreitenbereich, manchmal gegensätzliche Effekte, manchmal gar keine.
Hier muss dringend umgedacht werden. Es gelingt nur sehr wenigen Unternehmen, ein kollektives und langfristiges Bewusstsein für ihre Marke zu erzielen. Traditionsmarken stehen nach vielen Jahrzehnten konsequenter Markenpolitik für Solidität, Tradition, Vertrauen. Oder für aus der Zeit gefallene Werte. Ein Veränderung des Zeitgeistes, ein Anpassen an neue Gegebenheiten, ein Wertewandel gelingt nicht von heute auf morgen, sondern braucht Durchhaltevermögen, eine wohlüberlegte, faktenbasierte Strategie und eine kluge Auswahl der KPIs sowie eine klare Ausrichtung.
Nicht immer müssen Marken alle Trends und Strömungen aufnehmen. Und wenn Sie es tun, müssen sie wissen, was wirklich zur Marke passt, und dann den Kurs halten.
5. Wer sich nicht anpasst…
Eine Definition von Wahnsinn lautet: Jemand, der permanent die gleichen Dinge probiert, und andere Ergebnisse erwartet. Warum also halten wir in einer sich schnell ändernden Welt an stabilen Befragungs- und Berechnungsmodellen fest? Vertrauen oder Sicherheit kann heute etwas komplett anderes bedeuten als noch gestern und dadurch Marken vor völlig andere Herausforderungen stellen. Agile Messungen funktionieren aber nicht in einer beliebigen Self Sevice Buffet-Logik, in der alles über die gleichen KPIs läuft, sondern nur mit einer, systematischen und sinnvollen Herangehensweise.
Es gibt keine Patentlösungen: Wer Erfolgreich sein will, braucht maßgeschneiderte Ansätze.
Markenmessung bedeutet nicht nur die Messung hauseigener KPIs oder die Erfüllung der Träume des Marketings beziehungsweise des Vorstands in einer Befragung. Sie erfordert einen datenbasierten, aber wandelbaren holistischen Ansatz, der neben klassischen KPIs gleichzeitig die Beobachtung der Markenkategorie, des gesellschaftlichen Umfeldes und der zugrundeliegenden Werte und Emotionen beinhaltet.
Fazit:
Das Beharren auf „die eine“, alleserklärende Kennzahl geht an neuen Herausforderungen einfach vorbei. Ein agiler, ganzheitlicher Ansatz der Markenmessung ist keine Aufgabe für vollautomatische KI‘s, egal was die Werbung verspricht. Die Vermessung der Marke muss beweglicher und zugleich systematischer werden – klassische Ansätze müssen, genau wie neue kritisch auf ihre Tauglichkeit geprüft werden. Nur so bleiben Marken auf Dauer erfolgreich.

Thomas Hoch ist Head of Brand Strategy bei Bonsai Research. Sein Fokus liegt auf der Beratung von Unternehmen in Sachen emotionaler Markenführung. Er ist seit 25 Jahren in der Marktforschung und wechselte im April 2021 von Kantar zu Bonsai Research.

Jan Borcherding ist Head of CSR Strategy bei Bonsai. Er berät Unternehmen und NGOs bei Fragen zur gesellschaftlichen Wirkung und corporate Image und Behaviour. Er ist seit 23 Jahren in der Marktforschung und wechselte im Juni 2021 von Kantar zu Bonsai Research.
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