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Lost in Tools: Warum sich Marktforscher mit echten Innovationen schwer tun

In Zeiten des gesellschaftlichen und technologischen Wandels sind Innovationen wichtiger als je zuvor. Umso kritischer sind die Ergebnisse der "Imagestudie Marktforschungsinstitute in Deutschland 2012" zu sehen: Nur jedes vierte Institut wird von den dafür befragten Branchenexperten mehrheitlich als innovativ angesehen. Umgekehrt werden vielen Anbietern sogar nur 'niedrige Standards' in dieser Dimension bescheinigt.
Wir wollten wissen, woran das genau liegt und haben im Rahmen von Expertengesprächen explizit bei betrieblichen Marktforschern großer Unternehmen kritisch nachgefragt. Das Ergebnis: Viel hilft nicht immer viel. Die Institute gelten zwar als sehr umtriebig in der Entwicklung neuer Instrumente – den Kollegen auf der Auftraggeberseite fällt es aber nach eigenen Angaben oft schwer, daraus effektiv Nutzen für ihr Unternehmen zu ziehen. Woran liegt das?
Können Marktforscher wirklich keine Innovation? Oder entwickeln sie Instrumente am Bedarf vorbei? Was heißt eigentlich 'innovativ' sein?
Fangen wir bei der letzten Frage an. Institute haben diese bereits für sich beantwortet: Kaum ein Anbieter, der nicht regelmäßig mit neuen 'Tools' aufwartet. Die inhaltlichen Fragestellungen sind dabei oft nicht neu, aber man begegnet ihnen mit methodisch weiterentwickelten Ansätzen. Mit dem Wachstum des Web 2.0 werden auch vermehrt neue Rekrutierungswege und Erhebungsquellen angezapft.
Evolution statt Innovation
Doch wie blicken die betrieblichen Marktforscher auf die Tool-Landschaft? Sehen sie hier ausreichend viele Ansätze, die die Branche inhaltlich und methodisch nach vorne bringen? Die von uns befragten Experten sind diesbezüglich überwiegend skeptisch. Sie nehmen viele der vermeintlichen Produktinnovationen eher als me too’s wahr, die methodisch nicht wirklich neue Wege ebnen. Hier wird aus Sicht der betrieblichen Marktforscher vielfach eher Evolution als Innovation betrieben, wie einige Statements aus den Expertengesprächen belegen:
"Vieles wird als Innovation verkauft, bei dem man bereits bekannten Methoden nur ein neues Label gibt. (…) Da wird dann ein neuer Anstrich gegeben, aber im Kern hat sich wenig verändert."
"Viele Innovationen in der Marktforschung sind nur vermeintlich innovativ, sondern eher me-too‘s. (…) Da springen Institute nur auf einen Trend auf."
Institute verlassen sich zu häufig auf eigene Tools
Standardinstrumente haben fraglos ihre Bedeutung, das sehen auch die Befragten so. Sie bieten Orientierung im Methodendschungel und die Möglichkeit, über Zeiträume, Zielgruppen und Dienstleister hinweg Daten zu vergleichen. Wenn es aber um besonders spezifi sche Fragestellungen geht, sind Tools aus der Sicht betrieblicher Marktforscher nicht immer der beste Weg. Das liegt vor allem an der Art und Weise, wie sie an die Auftraggeber herangetragen werden:
"Häufig fehlt Instituts-Marktforschern das Verständnis für die Bedürfnisse der Kunden. (…) Da werden präferiert eigene Tools eingesetzt bzw. verkauft, ohne dass man sich Zeit nimmt und über die eigentliche Fragestellung weiter nachdenkt."
"Die Innovationen der Institute gehen an meinen Bedürfnissen oft vorbei. (…) Die Methoden sollten jedoch den Fragestellungen folgen und nicht umgekehrt."
Das Problem an dieser Stelle wird also nicht in der Qualität der Instrumente gesehen, sondern vielmehr darin, dass sie mitunter auch dann empfohlen werden, wenn kundenindividuelle Ansätze vorteilhafter wären. Warum hören Institute manchmal nur das, was in ihre eigene Strategie hineinpasst? Warum verstehen sie es nicht immer, den eigentlichen Forschungsbedarf der Kunden zu erkennen und mit adäquaten Lösungsansätzen zu beantworten?
Effizienzdruck ist Innovationskiller Nr. 1
Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Als Hauptursache wird von den Befragten der wachsende Effizienzdruck ausgemacht. Das Problem wird dabei nach Ansicht der Experten von beiden Seiten verstärkt: Institute reiben sich im starken Wettbewerbsumfeld mit Preiskämpfen auf, betriebliche Marktforscher geben den wachsenden Kostendruck in ihren Unternehmen an die Agenturen weiter. Da bleibt nur noch wenig Raum für Sonderanfertigungen oder Experimente:
"Man merkt, dass der Preisdruck auf beiden Seiten zunimmt: Bei den Auftraggebern wächst die Preissensitivität, und auf Institutsseite ist ein Verteilungskampf entstanden, der auf die Preise drückt."
"Es gibt in der betrieblichen Marktforschung leider wenig Raum und Zeit für Experimente – da geht man dann im Zweifelsfall auf Nummer sicher. (…) Man kann höchstens 1-2 mal im Jahr methodisch experimentieren."
Nützliche Innovationen entstehen im Dialog mit Kunden
Die Interviews haben aber auch positive Beispiele aufgezeigt. Sie alle haben gemein, dass Institute und Auftraggeber mit offenem Visier in die Projekte gehen. So versuchen einige der befragten betrieblichen Marktforscher bewusst, dem Kosten- und Effi zienzdruck entgegenzuwirken. Sie treten in einen partnerschaftlichen Dialog mit ihren Dienstleistern und geben diesen Raum und Ressourcen, um eigenständige Lösungen zu entwickeln. Dazu gehören z.B. Workshops, in denen Fragestellungen und Forschungsdesigns gemeinsam erarbeitet werden. Von den Instituten verlangt das neben Kreativität und Flexibilität auch einen gewissen Mehraufwand, der sich aber im Ergebnis oft widerspiegelt. Vor allem kann auf diesem Nährboden für Kunden spürbare Innovation entstehen:
"Innovationen werden am besten gemeinsam zwischen Kunde und Institut erbracht. (…) Dazu müssten sich die Institute aber auch einmal von Verkaufsvorgaben freimachen."
Zur Umsetzung dieser best practice ist jedoch mehr notwendig als nur die Bereitschaft, Scheuklappen abzulegen und jenseits von Standards kundenindividuelle Lösungen zu suchen. Die Marktforschungsinstitute müssen sich aus Sicht der befragten Experten auch stärker Gedanken über das eigene Rollenverständnis machen. Der starke Fokus auf Tools und Instrumente wird als Ausdruck einer sehr akademischen Haltung gesehen, die in der Summe etwas zu methoden- bzw. verfahrens- und zu wenig lösungs- bzw. ergebnisorientiert ist.
Ergebnisberichte oft zu lang und unfokussiert
Dies drückt sich besonders stark in der Beratungsleistung aus. Viele Institute schreiben sich das Label 'Beratung' auf die Fahnen. Die betrieblichen Marktforscher nehmen das jedoch manchmal anders war. Auftraggeber merken das z.B. an Ergebnisberichten, die aus Sicht vieler Befragter häufig zu lang und unfokussiert sind. Nicht alle schaffen es, komplexe Informationen auf den Punkt zu bringen und in eine managementtaugliche Sprache zu übersetzen.
"Die Präsentationen der Marktforschungsinstitute sind in den wenigsten Fällen gremientauglich."
"Institute denken oft zu komplex und akademisch. Sie schaffen es dann nicht, ihre Ergebnisse in einfache Action Titles für das Management herunter zu brechen. Sie verlieren sich zu häufig in Detailfragen. (…) Manchmal finde ich meine eigentliche Forschungsfrage in Ergebnisberichten kaum beantwortet."
Man mag sich fragen, was das noch mit Innovation zu tun hat. Die Antwort lautet: Wenn man sich von den Methoden frei macht, gibt es auch in anderen Bereichen noch viel Potenzial für Innovation, so z.B. im Reporting und in der Umsetzungsberatung. Hier sind vor allem zwei Dinge gefragt: Mehr Erfindungsreichtum in der Vermittlung von Forschungsergebnissen und mehr Selbstbewusstsein in der Kommunikation von Handlungsempfehlungen:
"Es wird ein wichtiges Innovationsfeld werden, Ergebnisse anders als nur in Powerpoint zu präsentieren. (…) Hier wünschen wir uns mehr Kreativität."
"Was ich mir wünschen würde: mehr Kampf um die eigenen Konzepte und Marktforscher, die mitdenken."
"Ich erlebe Marktforschungsinstitute als 'politisch sehr korrekt'. Da würde ich mir etwas mehr Mut zu klaren Statements wünschen."
Zurückhaltung auf Auftraggeberseite trotz hoher Innovationskraft in der Web 2.0-Forschung
Wenden wir uns zum Schluss noch dem Innovations-Bereich schlechthin zu: Der Marktforschung in den neuen Medien und sozialen Netzwerken. Hier steht außer Frage, dass die Marktforschung Mittel und Wege finden muss, um sich auf
die neuen Bedingungen einzustellen. Und es gibt auch viele neue Anbieter und methodische Ansätze in diesem Feld. Von einem Mangel an Innovationen kann in der 'Marktforschung 2.0' keine Rede sein. Trotzdem zeigt sich ein Großteil der befragten betrieblichen Marktforscher noch recht zurückhaltend, wenn es darum geht, auf diesen Trend aufzuspringen. Hier ist noch eine gewisse Verunsicherung zu spüren. Umgekehrt sehen alle Experten die Notwendigkeit, sich dem Thema verstärkt zu öffnen, und die damit verbundenen Chancen.
Die skeptischen Stimmen unter den betrieblichen Marktforschern berufen sich vor allem auf methodische Fragen. Sie zeigen sich besorgt, dass zu viele etablierte Qualitätsstandards dem Pioniergeist der Marktforschung in neuen Medien zum Opfer fallen könnten. Sie wünschen sich im methodischen Neuland mehr Orientierung durch die Institute.
Hier besteht zweifelsohne das größte Potenzial, das Image der Marktforschungsinstitute im Bereich Innovationskraft wieder aufzupolieren. Ideen und Ansätze gibt es sicherlich genug. Zuerst sollte man aber zu den betrieblichen Marktforschern gehen und fragen, bei welchen Fragestellungen sie überhaupt neue Methoden brauchen.
Zum Beitrag:
Die Inhalte dieses Beitrages spiegeln die Wahrnehmung von Experten aus der betrieblichen Marktforschung wieder, die im Rückblick auf die "Imagestudie Marktforschungsinstitute in Deutschland 2012" zu den Ergebnissen befragt wurden.
Bei den Gesprächspartnern handelt es sich um 11 betriebliche Marktforscher in überwiegend leitenden Positionen aus international tätigen Konzernen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern.
Erstmals veröffentlicht wurde dieser Beitrag als Sonderausgabe der marktforschung.depesche auf der Marktforschungsmesse Research & Results 2012, die am 24. und 25.10.2012 in München stattfand.
Die Expertengespräche wurden realisiert von
MANUFACTS Research & Dialog
www.manufacts.de
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