Kolumne von Prof. Dr. Dirk Lippold LinkedIn: Beim Algorithmus scheiden sich die Geister

(Bild: picture alliance / ANP | Koen van Weel)
Für die einen ist LinkedIn nach wie vor die professionelle Austauschplattform, auf der aktuelle Neuigkeiten und Perspektiven zu Business-Themen mit großer Reichweite geteilt werden. Für die anderen driftet LinkedIn seitdem immer mehr in Richtung Facebook ab. Storytelling und Emotionen sind das Gebot der Stunde.
Für die erste Gruppe sind aber genau diese emotionalen Beiträge, die in aller Regel sehr flach sind, Grundlage ihres Business. Es geht schließlich um Reichweite und Likes, weil der Algorithmus diesen Content nunmehr bevorzugt. Ihr Geschäftsmodell ist das Ego des C-Level Managements, das sich zu ihrer Personenmarke beraten lässt. Protagonisten auf dem Gebiet des Personal Branding sind Céline Flores Willers und Moritz Neuhaus mit der Insight GmbH.
Am verbreiteten Content auf LinkedIn scheiden sich die Geister
Für die zweite Gruppe dagegen ist – wie Manuel Heckel auf t3n formuliert – „LinkedIn wie ein Gang durchs Büro: Nervige Kollegen und schlechte Witze. Berufliches trifft Belangloses, PR auf Privates, Stellensuche auf Schabernack“.
Jan Grossarth von der WELT geht sogar noch einen Schritt weiter:
„Das widerwärtigste aller Netzwerke ist LinkedIn. Hier verbindet sich das Banale (zeigen, wer man zu sein vorgibt) auf besondere Weise mit dem Finanziellen (Netzwerk). Anders als über alle anderen Netzwerke kann man sagen, LinkedIn bringt wirklich niemals etwas Gutes hervor. Der heillosen Konfrontation bei Twitter und der heillosen Banalität der Freizeit-Netzwerke steht hier die heillose Schleimerei entgegen. Man dankt nach oben und strahlt nach unten.“
Und Franziska Zimmerer, Ressortleiterin bei der WELT, sieht in der LinkedIn-Plattform den Ort, wo die „intellektuelle Kapitulation der Leistungsträger“ stattfindet. Emotionen seien wichtiger als Leistung. Likes von Fremden zählten mehr als Kritik von Kollegen.
Meine persönlichen Erfahrungen mit der Plattform
Ich selber bin auf Anraten meiner Studierenden zum Jahreswechsel 2015/16 etwas zögerlich zu LinkedIn gestoßen. Ich war mir bewusst, dass jeder, der im Internet unterwegs ist, jede Menge Datenspuren hinterlässt. Datenspuren, die mit den richtigen Auswertungsmethoden ziemlich genaue Rückschlüsse über das Konsum- und Freizeitverhalten, über Hobbies, Vorlieben und Gewohnheiten zulassen. Doch nicht nur das, die Datenspuren liefern den Algorithmen den Input darüber, wofür wir uns morgen interessieren und welche Güter wir kaufen werden. Solche Datenspuren sind wie Fuß- oder gar Fingerabdrücke, die in aller Regel bestehen bleiben.
Zu meiner freudigen Überraschung fand ich dann auf der Business Plattform größtenteils sehr gute Fachartikel vor – betriebswirtschaftliche Fachartikel, die man sonst nur in fachspezifischen A-, B- oder C-Journals findet. LinkedIn-Artikel waren bzw. sind – im Gegensatz zu den Artikeln in den A-, B- und C-Journals – aber stets aktuell.
Doch dann habe ich die Wucht des Algorithmus am eigenen Leibe erfahren. Dazu muss man wissen, dass die LinkedIn-Plattform zwischen Artikeln mit zitierfähigen Inhalten auf der einen Seite und einfachen Beiträgen mit banalen Inhalten auf der anderen Seite unterscheidet.
Wie ein Algorithmus-Wechsel die Zahl der Views beeinflusst
Am 31.12.2018 wurde ich dann Opfer eines Algorithmuswechsels, denn genau an diesem Tag änderte LinkedIn offensichtlich den Algorithmus. Und zwar zu Lasten der Originalartikel, die ich regelmäßig schrieb, und zu Gunsten der (simplen) Beiträge über tägliche Befindlichkeiten und banale Aktivitäten. Eine gründliche Analyse aller meiner LinkedIn-Artikel (nicht Beiträge!) bestärkte mich in dieser Vermutung:
Seit 2016 habe ich insgesamt 131 (Original-)Artikel für LinkedIn geschrieben. In den ersten drei Jahren – also 2016, 2017 und 2018 – hatten diese Artikel durchschnittlich über 2.000 Ansichten (Views). Mit Beginn des Jahres 2019 riss diese Serie und die durchschnittliche Anzahl der Views fiel von heute auf morgen auf wenige Hundert. Auch die monatlichen Höchstwerte fielen zu diesem Zeitpunkt dramatisch (siehe auch das Balkendiagramm):
2016 waren 5.850 Ansichten im Dezember der höchste Wert, 2017 der August mit 6.650 und 2018 der Mai mit 7.650 Views. 2019 dagegen betrug dieser Wert nicht einmal mehr 400 Ansichten (im Mai) und im Jahr 2020 weniger als 200 Views im Höchstmonat Februar.
Als ich endlich merkte, dass der Algorithmus meine Originalartikel bestrafte, anstatt sie zu unterstützen, stellte ich sukzessive meine wöchentlichen Artikel ein und ging auf simple Beiträge oder einfache Posts meiner Blogbeiträge über. Von einem beruflichen Netzwerk muss ich schließlich erwarten können, dass meine über 12.000 Follower die Chance haben, meine Artikel zu lesen. Sonst hätten sie ja nicht nach dem Beitritt zu meinem Netzwerk gefragt.
Marktforschung in eigener Sache
Stellt sich aber noch die Frage, wie ich darauf kam, dass genau der Jahreswechsel von 2018 auf 2019 der Tag der Umstellung sein musste. Hierzu machte ich Marktforschung in eigener Sache. Es ergab sich folgende lückenlose Abfolge meiner Originalartikel in diesem Zeitraum, an der man sofort den „Einbruch“ der Views zur Jahreswende erkennen kann:
Der Algorithmus steuert die Reichweite und Sichtbarkeit nach bestimmten Kriterien, die für uns nicht transparent sind. Solche Kriterien können das Thema, die Aktualität, die Länge, die Anzahl der Likes etc. sein. Dass der Algorithmus aber die Artikel, die eigens für die Leser von LinkedIn geschrieben werden, aussteuert und sie gegenüber den simplen Beiträgen mit Hashtags etc. zurücksetzt, das war mir neu. Dadurch verliert LinkedIn deutlich an Qualität und rutscht mit seinen Hashtag-Beiträgen immer mehr in Richtung Facebook.
Ich kann in diesem Zusammenhang nur den Influencer und Coach Kurt Brand zitieren:
„Die Designer und Programmierer der Algorithmen entscheiden, was „fliegt“ und was am Boden bleibt – und nicht das Interesse der potenziellen Leser, denn diese bekommen Inhalte, bei denen der Algorithmus den Daumen senkt, in ihrem Newsfeed gar nicht zu sehen. Überlegen Sie mal, welche Konsequenzen das hat.“
Wie gesagt, mich hat dieser augenscheinliche Algorithmuswechsel dazu veranlasst, Originalartikel nicht mehr auf LinkedIn zu veröffentlichen. Denn für den Papierkorb zu arbeiten, das macht auch keinen Spaß…
Fazit: Ein Algorithmus ist eine Handlungsvorschrift, wie ein bestimmtes Problem schrittweise zu lösen ist. In der Informatik entscheiden Algorithmen, was wir beispielsweise auf Social-Media-Plattformen sehen und was nicht. Der wesentliche Kern einer Plattform ist der Algorithmus. Er bestimmt die angezeigten Inhalte anhand von zuvor gesammelten Daten (Likes, Comments etc.). Es sind also nicht Menschen, die entscheiden, welche Inhalte künftig im eigenen Feed zu sehen sind. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Verantwortlichen hinter dem Algorithmus darüber keine Auskunft geben, wie Ihre Systeme wirklich ticken. Bei den Social Media-Plattformen stößt die Allmacht des Algorithmus auf die Ohnmacht der Nutzer. Profiteure des Algorithmus-Wechsels von LinkedIn sind seriöse und fachlich fundierte Portale wie consulting.de, marktforschung.de oder marconomy.de, die nunmehr mit aktuellen Fachbeiträgen exklusiv aufwarten können.
Über die Person
Prof. Dr. Dirk Lippold ist Dozent an verschiedenen Hochschulen. Seine Lehrtätigkeit umfasst die Gebiete Unternehmensführung, Marketing & Kommunikation, Personal & Organisation, Technologie- und Innovationsmanagement sowie Consulting & Change Management. Zuvor war er viele Jahre in der Software- und Beratungsbranche tätig – zuletzt als Geschäftsführer einer großen internationalen Unternehmensberatung. Auf seinem Blog www.dialog-lippold.de schreibt er über aktuelle betriebswirtschaftliche Themen.
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