Frauen in der Marktforschung "Letztlich gibt es nur eine Life-Balance"

Tanja Höllger, ©HEUTE UND MORGEN
marktforschung.de: Sie haben Soziologie und Psychologie studiert. Wann haben Sie beschlossen, in die Marktforschung zu gehen?
Tanja Höllger: Schon sehr früh, mit 11 oder 12 Jahren. Damals habe ich eine Talkshow mit Elisabeth Noelle-Neumann gesehen und war fasziniert von dem, was sie darüber erzählte, wie Deutsche denken und wie viel Prozent von ihnen zum Beispiel an Engel glauben. Ich wollte unbedingt wissen, wie man zu solchen Zahlen kommt. Und da ich auch in der Schule eher eine Leidenschaft für Mathematik als für Sprache hatte, hat sich das relativ schnell manifestiert. Bereits als Schülerin habe ich Praktika in der Marktforschung gemacht, und mir später das Studium gezielt danach ausgesucht, wo ein Schwerpunkt auf empirischer Sozialforschung lag.
marktforschung.de: Was hat Sie an der Branche so sehr gereizt?
Tanja Höllger: Ich liebe es einfach, Dingen auf den Grund zu gehen und Menschen zu interviewen. Ich arbeite sowohl qualitativ als auch quantitativ und mag diesen Methodenmix. Nur vor Zahlenwerken zu sitzen, würde mich auf Dauer nicht befriedigen. Aber nach der zehnten Gruppendiskussion im Monat freue ich mich auch mal wieder, wenn ich am Rechner arbeite und aus Daten wichtige Erkenntnisse extrahieren kann.
marktforschung.de: Wie haben Sie den Einstieg damals geschafft?
Tanja Höllger: An der Hochschule war ich Tutorin für Statistik bei den Psychologen und bei den Soziologen, und hatte mit dem Gedanken gespielt, zu promovieren. Es lagen schon drei Angebote von Universitäten vor, aber ich beschloss, auch drei Bewerbungen an Marktforschungsinstitute zu schreiben. Entweder würde es dann ein Job oder ich würde promovieren. Tja, und nach drei Zusagen habe ich mich dann für Köln und Psychonomics entschieden und das war auf jeden Fall die richtige Wahl.
marktforschung.de: Sie haben dort einige Jahre gearbeitet und sich dann gemeinsam mit Kollegen selbständig gemacht. Wie kam es dazu?
Tanja Höllger: Ich bin leidenschaftlich gerne Forscherin. Zugleich habe ich immer schon unternehmerisch gedacht. Als Teamleiterin bei Psychonomics gab es dafür ein sehr gutes und vielfältiges Entwicklungsumfeld. Auf reiferem Niveau fehlten später die Perspektiven, im Zuge des Verkaufs kam es zudem zu Politikwechseln, die nicht mehr meinen Vorstellungen entsprachen. So ist der Wunsch entstanden, zusammen mit Kollegen ein eigenes Marktforschungsinstitut zu gründen und zu gestalten. Und ich denke mit großem Erfolg. Durch die Verteilung managerialer Aufgaben auf mehrere Schultern bleibt mir zudem ausreichend Zeit für eigene Forschertätigkeit, die ich niemals missen möchte.
marktforschung.de: War es Ihr Ziel, etwas zu anders machen, als Sie es in anderen Instituten kennengelernt haben?
Tanja Höllger: Wir wollten auf jeden Fall das weiterführen, was wir damals so sehr an Psychonomics geschätzt hatten: Keine Marktforschung von der Stange, sich individuell auf den Kunden einlassen, maßgeschneiderte Lösungen anbieten. Und wir wollten nicht diese Taylorisierung, wie sie bei vielen Instituten der Fall ist: die einen machen Auswertung, die anderen Akquise und wieder andere Projektmanagement – da geht doch die Freude am Forschen verloren. Viele Institute haben zudem 80 Prozent Junioren und nach oben läuft die Pyramide spitz zu. Unser Institut ist auch in der Breite durch hohe Seniorität geprägt, was von den Kunden auch sehr geschätzt wird. Damit gelingt auch eine intensivere Förderung des Nachwuchses.
marktforschung.de: Ermuntern Sie andere Frauen dazu, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen?
Tanja Höllger: Ja, durchaus. Weiblicher Unternehmergeist ist gefragt. Man muss, um das machen zu können, aber auch der Typ dafür sein. Ich kann gut verstehen, wenn sich jemand in der Arbeitnehmerrolle wohler fühlt. Letztlich ist das eine Bauchentscheidung, da muss jede in sich hineinhorchen, ob sie Freude an der Selbständigkeit hat. Wenn man am Anfang nicht dieses gewisse Prickeln verspürt – in das sich ruhig auch etwas Angst hinein mischen darf – dann ist es glaube ich nicht das Richtige. Und dann würde ich das auch niemandem empfehlen – egal ob Frau oder Mann.
marktforschung.de: Gab es auf Ihrem Werdegang Mentoren, die Sie gefördert haben?
Tanja Höllger: Ich habe nie nach einem Mentor gesucht, es gehört zu meinem Selbstverständnis, meinen Weg selbst zu gehen. Wenn mich Menschen gefördert haben, dann waren es meine Kunden. Sie haben mir ermöglicht zu lernen, meine Stärken und Potenziale zu erkennen und mich beruflich sehr schnell in die Selbständigkeit hinein zu entwickeln. Dafür bin ich ihnen dankbar.
marktforschung.de: Wie schaffen Sie es denn, im Arbeitsalltag Ihr fachliches Wissen auf dem neuesten Stand zu halten?
Tanja Höllger: Gemeinsam mit meinen Partnern nehme ich mir regelmäßig neue und strategische Themen vor. In den letzten Monaten haben wir uns bspw. viel mit Motivtypen und Emotionsmessung beschäftigt und unterschiedliche Tools ausprobiert. Es ist wichtig, neugierig zu bleiben, was Trends angeht. Auch mit den Themen Social Media und Influencer Marketing beschäftigen wir uns seit längerem intensiv; nicht nur rein forscherisch, sondern auch durch eigene Anwendung.
marktforschung.de: Viele Mitarbeiter wollen sich heute ihre Arbeitszeit flexibel einteilen, um auch Zeit für die Familie zu haben. Gibt es da bei HEUTE UND MORGEN entsprechende Möglichkeiten?
Tanja Höllger: Ja. Flexible Arbeitszeiten, Home-Office, Teilzeitangebote oder auch mal spontane Lösungen. Zugleich muss dies mit Kundenprojekten und entsprechenden Anforderungen und Deadlines vereinbar sein. In puncto Qualität und Kundenservice Spitze zu sein, braucht engagierte Mitarbeiter. Wer stärker karriereambitioniert ist, sollte in der Marktforschung möglichst Vollzeit arbeiten. Letztlich sind dies aber Entscheidungen, die jeder für sich trifft. Als Unternehmen gilt es, hier eine gute Mischung zu finden.
marktforschung.de: Wie steht es denn mit Ihrer eigenen Work-Life-Balance? Wie bringen Sie Privates und Berufliches unter einen Hut?
Tanja Höllger: Für mich sind das keine strikt getrennten Bereiche. Wenn ich am Wochenende ein spannendes Fachbuch lese, ist das dann Work oder Life? Letztlich gibt es nur eine Life-Balance. Zugleich ist es ein Privileg, nicht in solchen Kategorien denken zu müssen, da mich mein Beruf ebenso erfüllt wie das Private und wichtiger Teil meines Lebens ist.
Zur Person:
Tanja Höllger ist seit 2009 Geschäftsführerin der HEUTE UND MORGEN GmbH in Köln. Zuvor arbeitete die Soziologin neun Jahre lang bei der Psychonomics AG in Köln als Teamleiterin und Senior Projektmanagerin im Bereich Finanzdienstleistungsmarktforschung mit Verantwortung des Bereichs B2B-Marktforschung.
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