Kundenwertorientiertes Beziehungsmanagement - Den Blick auf die wertvollsten Kunden schärfen

Von Dr. Stefan Tuschl, TNS Infratest Forschung

Für einen langfristigen Erfolg am Markt ist es für ein Unternehmen essentiell, die profitablen Kunden (hoher Kundenwert) von den weniger wichtigen Kunden zu differenzieren. Langfristige Beziehungen zu relevanten Kunden aufzubauen und zu unterhalten, ist das Schlüsselelement für eine erfolgreiche Unternehmensstrategie.

In jedem Kundenstamm gibt es eine Reihe von Kunden, für die mehr Geld für Beziehungspflege ausgegeben wird, als an ihnen verdient wird. Es ist also nie sinnvoll, alle Kunden mit Bindungsmaßnahmen gleichermaßen halten zu wollen oder Kundenzufriedenheit bzw. Kundenbegeisterung für alle Kunden "um jeden Preis" anzustreben.

Kundenwertanalysen dienen dazu, ertragreiche Kunden zu identifizieren. So lässt sich feststellen, ob es rentabel ist, eine Geschäftsbeziehung mit ihnen aufzubauen, zu pflegen und auch zukünftig in sie zu investieren. Die Ergebnisse der Kundenwertanalyse fließen direkt in das Kundenbeziehungsmanagement ein, das sich dann auf die wertorientierte Kundenansprache und - betreuung sowie auf Kundenbindungsmaßnahmen fokussiert.

Das Kundenwertmanagement schafft so die notwendigen Voraussetzungen, dass der Marketing-Mix eines Unternehmens individueller an den Kundenwerten bzw. an Kundenwertsegmenten ausgerichtet werden kann: Produkte, Services, Kommunikation und Preise werden bedarfsorientiert und wertorientiert gestaltet.

Was versteht man unter dem Customer Lifetime Value (CLV) genau?

Im Gegensatz zum "klassischen" Kundenwert (also z.B. dem aktuellen Umsatz oder Deckungsbeitrag bei einem Kunden bzw. dem am Vermögen oder Einkommen des Kunden ausgerichtete Bewertung bzw. darauf aufbauend den retrospektiven Kundenwertmethoden "ABC-Ansatz" oder "RFM-Methode") wird beim CLV-Ansatz nach einer Kapitalwertberechnung für die Perioden eines Kundenlebens die Profitabilität der Geschäftsbeziehung berechnet. Sämtliche über die gesamte Dauer der Kundenbeziehung erzielten Gewinne werden in den CLV einbezogen sowie gegebenenfalls zusätzlich Neugeschäfts- und Referenzpotential, Akquisitionskosten sowie Kundenbindung berücksichtigt. Mittels einer fundierten Kundenwertanalyse lassen sich so aktuell und künftig rentable Kundengruppen identifizieren.

Wofür wird der Kundenwert verwendet?

Für ein Unternehmen ist es ratsam, zu jedem bestehenden und potenziellen Abnehmer und Vertragspartner möglichst genau zu ermitteln, welche Ertragskraft er derzeit und voraussichtlich in Zukunft entfaltet. Denn nur auf Basis genauer Kundenwerte lässt sich bestimmen, ob einzelne Geschäftsbeziehungen oder deren Anbahnung tatsächlich profitabel sind. Und ebenso entscheidend ist das Wissen um die Faktoren und Zusammenhänge, die den Kundenwert heute und künftig beeinflussen. Vor der Herausforderung, den kompletten Wert eines Kunden für das Unternehmen zu erken-nen und zu managen, stehen insbesondere jene Branchen, in denen Kundenverträge von zentraler Bedeutung sind, wie z.B. Versicherungen, Banken, Telekommunikations-unternehmen oder Versandhändler.

Die strategischen Aspekte des Kundenwertmanagements umfassen vor allem eine stärkere Individualisierung von Marketing- und Vertriebsanstrengungen. Durch eine Segmentierung der Kunden nach Kundenwert kann deren Profitabilität sowie ihr Entwicklungspotential ermittelt werden. Dies ermöglicht es dem Unternehmen, seine Produkte und Dienstleistungen stärker auf individuelle Bedürfnisse und Kundenwert abzustimmen und seine Marketing-, Vertriebs- und Serviceressourcen zielgenauer und kosteneffizienter zuzuweisen und damit die Wirksamkeit seiner Aktivitäten zu erhöhen. Kostspielige Vertriebs- und Marketingmaßnahmen kommen somit nicht unüberlegt allen Kunden gleichermaßen zu, sondern besonders den potenziell profitablen, auch wenn diese gegenwärtig noch unrentabel sein mögen.

Welche Bestandteile fließen in den Kundenwert ein?

Basisbestandteil ist zunächst der Grundumsatz eines Kunden, also die Prognose des Deckungsbeitrags eines Kunden über seinen gesamten Lebenszyklus (Kapitalwert). Mit erweiterten Modellen kann auch noch das Entwicklungspotential des Kunden einbezo-gen werden. Hauptsächlich sind dabei die Abwanderungswahrscheinlichkeit (Loyalitätskomponente), die Intensivierungsquote (die zukünftig zu erwartende Ausweitung (bzw. Reduzierung) des Basisvolumens) sowie das Cross-Selling-Potenzial (Wahrscheinlichkeit, dem Kunden zusätzliche Leistungen zu verkaufen) und die daraus resultierende zukünftige Entwicklung des Kundenwertes von Interesse. Darüber hinaus kann im CLV auch das Referenzpotential sowie das Informationspotenzial mit berücksichtigt werden. Das Referenzpotential wird gemessen mit der Anzahl (attraktiver) möglicher Abnehmer, die ein schon vorhandener Kunde positiv oder negativ beeinflussen kann, also bspw. durch Weiterempfehlung. Zum Informationspotential eines Kunden gehören alle qualifizierten Meinungsäußerungen, die ein Unternehmen von diesem Kunden erhält und entsprechend nutzen kann. Dabei kann es sich zum Beispiel um positive Äußerungen, Beschwerden oder auch Innovationsvorschläge handeln. Beide Komponenten müssen für die CLV-Ermittlung in monetäre Größen überführt werden (können). Eine Herausforderung ist auf jeden Fall die Erhebung des Referenz- und Informationspotenzials, wofür in den meisten Fällen Marktforschungserhebungen durchgeführt werden dürften. #break# Speziell bei Versicherungen können in die Berechnungen auch noch die folgenden Bewertungskomponenten (Performance-Komponenten) des Kundenwertes einfließen:

  • Stornowahrscheinlichkeit (bzw. Ersetzen/Ergänzung der Kundenbindungswahr-scheinlichkeit durch Stornowahrscheinlichkeit)
  • Schadenquote
  • Zahlungsmoral

Optimierte Kundenwertsegmentierung durch "Enhanced" Data Mining

Ausgangspunkt der CLV-Berechnungen ist zunächst eine grundlegende Analyse der Kundendaten in den firmeineigenen Kundendatenbanken. Für diese Analysen werden klassischerweise Data Mining Methoden herangezogen, wie z.B. Assoziations- und Sequenzanalysen (also Warenkorbanalysen, Ermittlung von Kaufsequenzen/-mustern), Klassifikationsverfahren (z.B. Entscheidungsbäume) oder multivariate Verfahren (z. B. logistische Regression zur Kaufwahrscheinlichkeitsprognose). Mit diesen Methoden wird aus der Historie des Kunden bzw. der Historie anderer Kunden "gelernt". Daraus können z.B. "(Entscheidungs-)Regeln" abgeleitet werden, mit denen Kundenwertberechnungen abgebildet oder Cross-Selling-Potenziale identifiziert werden können.

Data Mining wird meistens in Bezug auf die Auswertung von intern im Unterneh¬men vorliegenden Datenquellen verstanden und praktiziert. Auf dieser Informationsbasis sind jeweils nur Analysen des Kundenverhaltens aus interner Sicht und begrenzt auf interne Vorgänge realisierbar. Darüber hinaus können Komponenten wie Kundenbindung, Stornowahrscheinlichkeit, Kundenzufriedenheitsindex etc. aus diesen Daten nicht gewonnen und somit nicht in die CLV-Berechnungen mit einbezogen werden.

Diese fehlende Informationsdimension können Daten, die aus Marktforschungserhebungen stammen, besonders gut ergänzen und die bestehende Lücke "über den Tellerrand hinaus" hin zum Nutzungsverhalten und Gesamtmarktüberblick schließen. Im Zuge dieses so genannten "Database Enrichments" können z.B. einstellungsbezogene Daten (wie etwa Zufriedenheiten, Interessen) oder auch Marktstrukturdaten (z.B. Geschäftsbeziehungen zur Konkurrenz) die bestehende Datenbasis des Kunden "bereichern". Die durch eine erfolgreiche "Fusion" von internen Datenquellen und Marktforschungsdaten zusammengeführten Informationsdimensionen fördern eine "ganzheitliche" Sicht von Marketing und Vertrieb auf die Kunden. CLV-Berechnungen und -analysen können auf den angereicherten Daten aufsetzen und zusätzliche Erkenntnisse liefern bzw. die Prognosequalität der eingesetzten Modelle verbessern.

Zusammenhang Kundenwert und Kundenzufriedenheit

Die konsequente Orientierung am Kunden und seinen Anforderungen ist eine notwendige Voraussetzung, um gegenüber den maßgeblichen Wettbewerbern zu bestehen. Zusätzlich sind aber auch die frühzeitige Berücksichtigung des Kundenwerts sowie die Ausrichtung von CRM-Aktivitäten an den wertvollen Kunden essentiell. Das wesentliche Ziel eines Unternehmens sollte deshalb dahin gehen, in die Zufriedenheit wertvoller Kunden mehr zu investieren. D.h. durch Berücksichtigung der wesentlichen Kundenanforderungen und durch eine individuelle Kundenansprache soll eine hohe Kundenzufriedenheit und eine Verlängerung und Verstärkung der Kundenbindung erreicht werden, mit dem Ziel den Kundenwert für das Unternehmen zu stabilisieren und zu vergrößern. Dabei kommt es darauf an, ertragreiche Kundenpotenziale mit hohem CLV zu erkennen, besonders profitable Kunden zu identifizieren und genau in diese Richtung den Kundenstamm zu festigen bzw. auch zu erweitern.

Ausblick

Die Ergebnisse von Kundenwertanalysen können besonders erfolgreich eingesetzt werden, wenn sie als Baustein des vernetzten Gesamtsystems der Unternehmung und ihrer Marktbeziehung gesehen werden. So besteht beispielsweise auch eine nachweisbare Beziehung zwischen Kundenloyalität und Mitarbeiterloyalität. Gleiche Überlegungen gelten für die Optimierung der Geschäftsprozesse.

(auf marktforschung.de veröffentlicht am 31.01.2011)

Über den Autor:

Dr. Stefan Tuschl ist Bereichsleiter Modelle und Methoden bei TNS Infratest Forschung

 

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