Kundenbeziehungsmanagement bei Versicherern im Digitalisierungszeitalter – Revolution oder Stagnation?

Torben Tietz, Frank Esselmann (MSR Consulting)

Von Torben Tietz und Dr. Frank Esselmann, Partner bei MSR Consulting

Zur Einordung 

Die folgenden Aussagen und Einschätzungen beruhen auf verschiedenen Quellen aus der 25 jährigen Tätigkeit von MSR Consulting im Kundenmanagement speziell von Versicherern: 

  • Umfassende Kundenbefragungen zu Bedürfnissen und Serviceerwartungen
  • Zielsegment-Studien wie „Generation Y“
  • Vertriebspartnerbefragungen AO und Makler, Sonderstudie zur Digitalisierung
  • Benchmarks zur Leistungsfähigkeit der Vertriebe
  • Einer dreistelligen Zahl von Projekten zur strategischen Ausrichtung und / oder Implementierung von Kundenmanagementprozessen

Eine Branche im Umbruch?

Die Versicherungswirtschaft gilt nicht gerade als die innovativste Branche. 

Das ist auch zu recht so, also zu einem erheblichen Teil im Geschäftsmodell begründet: Versicherungsverträge sind in der Regel extrem lang laufende Vertragsbeziehungen zwischen Unternehmen und Versicherungsnehmer, deren ganzer Sinn – etwas verkürzt dargestellt - in der Beständigkeit und Rechtssicherheit über die Zeit besteht. Das hat ganz praktische Konsequenzen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Einführungen neuer IT Lösungen müssen immer noch Verträge abbilden können, die vor 20, 30 oder mehr Jahren abgeschlossen wurden. In der Konsequenz existieren häufig parallele Rechner und Programm-Generationen. Jeder neue Prozess wird damit zu einer Herausforderung. 

Auf der anderen Seite erzeugt aber eine andere Besonderheit des Versicherungsgeschäfts einen erheblichen Innovationsdruck: Ein „funktionierender“ Vertrag bildet die zukünftige Lebenswirklichkeit des Versicherungsnehmers ab. Was gestern der Einschluss eines Fahrrades in die Hausratversicherung war, ist heute die Versicherung gegen Phishing-Schäden beim Online-Banking oder gegen Datenverlust. Und morgen…?

Nicht zuletzt lebt eine Kunden- und Vertragsbeziehung immer von der Kommunikation. Und gerade hier ändert sich das Verhalten der Menschen fundamental mit der Digitalisierung. 

In der Summe: Selten, wenn überhaupt, war die Branche seit der Deregulierung in den 90er Jahren so im Umbruch. Das Spannungsfeld zwischen Modernisierung und Bewahrung eines einmaligen Geschäftsmodells durchzieht heute die Unternehmen. 

Die Perspektive der Kunden: Omnikanal, Einfachheit, Transparenz und Vertrauen 

Die grundsätzlichen Werte, für die Versicherer in den Augen der Kunden stehen, haben auch in der d!conomy nach wie vor ihre Gültigkeit. Auch junge Versicherte erwarten Sicherheit und Solidität von den Anbietern. Und der Versicherungsberater hat nach wie vor eine wichtige Funktion für die Kunden. 

Die Kunden akzeptieren jedoch die Informationsasymetrie in der Kundenbeziehung immer weniger. Stattdessen wird die Forderung nach Transparenz und Verständlichkeit laut. Beratung soll auf Augenhöhe erfolgen. Die Ausgangslage hierfür ist herausfordernd, denn das Finanzwissen der Kunden ist nach wie vor gering. Zwar ist ein Preisvergleich nur einen Klick entfernt, aber die richtige Einordnung der gesammelten Informationen, um eine Entscheidung treffen zu können, fehlt häufig. Für den Berater ergibt sich die Herausforderung, das Vorwissen des Kunden wertschätzend in die Beratung einzubeziehen und seine Vorschläge einfach nachvollziehbar und gleichzeitig kompakt darzustellen. Denn die Bereitschaft, sich Zeit für ein mehrstündiges Beratungsgespräch zu nehmen, ist nicht mehr vorhanden. Stattdessen ist es für den Kunden in der digitalen Welt gut vorstellbar, vorab Informationen online bereitzustellen, um dann ein effizientes Beratungsgespräch auf den Punkt zu führen.


Hinzu kommen gestiegene Erwartungen an den Kundenservice. Wer regelmäßig den Service von Amazon & Co. erlebt, erwartet solche Leistungen auch von seinem Versicherer. Geschwindigkeit, Einfachheit, Verfügbarkeit und Transparenz sind wesentliche Anforderung der Kunden, insbesondere bei digitalen Interaktionen, bei denen kein Betreuer als „Übersetzer“ zwischen Unternehmensprozessen und Kundenanforderungen vorhanden ist. Dabei bedeutet Verfügbarkeit, dass der Kunde sich den Interaktionskanal auswählt, der für ihn situativ passend ist. Die Herausforderung für den Versicherer ist die Sicherstellung einer „seamless Customer Experience“, mit einheitlich markenkonformem Auftritt an allen Touchpoints.

Die Kenntnis der Kundenpräferenzen ist nach wie vor ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, denn nur so kann die Kundenerwartung nach Personalisierung von Kommunikation und Angeboten erfüllt werden. Um Kunden zur Bereitstellung von Informationen zu bewegen, ist Vertrauen eine entscheidende Grundlage. Social Media kann ein mächtiges Tool für den Vertrieb sein. Man sieht, dass Kunden sich immer stärker mit ihrem Berater über Social Media vernetzen. Bei den Finanzvertrieben ist der Anteil Vernetzung zwischen Kunden und Beratern von 8% in 2012 auf 12% in 2014 gestiegen – einzelne Vertriebsgesellschaften erreichen bereits 16%. 

Last but not least steigen die Erwartungen der Kunden auch im Hinblick auf die Individualisierung von Produkten. Kurzzeitpolicen, die in der jeweiligen Gefahrensituation abgeschlossen werden, sind bereits am Markt zu finden. Produkte, die das kundenindividuelle Gefährdungspotenzial noch stärker berücksichtigen, sind für attraktive Kundensegmente bereits gut vorstellbar. 

Die Perspektive der Vertriebspartner: Zwischen Hoffen und Bangen? 

Vertrieb von Versicherungen ist keine einfache Art des Broterwerbs. Wer eine erfolgreiche Agentur aufgebaut hat, hat in aller Regel über viele Jahre hinweg kontinuierlich Beziehungen aufgebaut und gepflegt. Die Veränderung im Geschäft durch eine „digitale Generation“ ist schon spürbar, in seinen Auswirkungen häufig aber noch nicht dramatisch. Dem entsprechend teilt sich die Vermittlerschaft in ihren Reaktionen auf: Es gibt den Teil, der eher passiv auf die Veränderungen reagiert. „Wer bei Vergleichsplattformen unterwegs ist, ist eh nicht der richtige Kunde für mich“, „im Kern bleibt doch alles beim Alten. Im Schadenfall ruft der Kunde mich an und ist dankbar für die Hilfe“, teilweise auch mit dem Argument des eigenen Alters. Ein anderer Teil versucht sehr aktiv die Entwicklung für sich zu nutzen, z.B. durch ein professionelles Auftreten in Facebook oder auch einfach durch die systematische Nutzung von Vermittler-Homepages. 


Allen gemeinsam ist aber eine zentrale Herausforderung: Das Rollenverständnis des Vertriebs in einer digitalisierten Welt muss überarbeitet und teilweise neu definiert werden. Zum einen ist hier die Abgrenzung zu preisaggressiven Angeboten z.B. über Vergleichsportale relevant. Die Vermittlerberatung und der Service müssen „mit Preisschild“ verkauft werden. Das ist neu und nicht einfach! Zum anderen definiert sich heute noch mancher Vermittler über die Intervention für den Kunden. Beschleunigen, Korrigieren, Kulanzen aushandeln, etc. „Ich rufe da mal an“. Dieses Rollenverständnis wird in einer digitalisierten und automatisierten Welt zunehmend schwer umzusetzen sein. 

Folgerungen für das CRM

Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten der Kundenkommunikation und im Kundenservice. Diese sind heute schon gut geeignet Prozesskosten zu senken (z.B. Erläuterungen von Krankenversicherungsabrechnungen mit individuellem Erklärvideo – Central Krankenversicherung), den Ressourceneinsatz zu optimieren (z.B. über analytisch optimierte Kampagnensteuerung), neue Kontaktpunkte und Transaktionen herzustellen (z.B. Präventionsshop – Gebäudeversicherung Bern) und auch Risiken besser zu managen (z.B. durch Schadenscoring und Betrugserkennung). 

Diese Maßnahmen haben in aller Regel sehr positive Effekte auf das Kundenmanagement und auch solide Business Cases. Sie sind alleine aber noch nicht geeignet, die Zukunftsfähigkeit eines Versicherers herzustellen. Direktversicherer ausgenommen liegt der entscheidende Hebel für die mehr als 200 in Deutschland aktiven Versicherer in einer optimierten Zusammenarbeit von Vertrieb, Innendienst und dem Geschäftsprozessmanagement in den Unternehmen. 

Assistiertes Beraten und Betreuen“, die „Mensch-Maschine-Kombination“ mit sehr menschlichem Antlitz ist die Managementherausforderung für Versicherer auf dem Weg in die Digitale Zukunft. Unbedingte Grundlage dafür ist eine kundenzentrierte Ausrichtung der Organisationen und eine Überwindung des Silodenkens. Der technische Umbau ist eine Voraussetzung, aber er ist keine Lösung.  

 

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