Herberts Welt Künstliche Intelligenz: Job Killer oder Game Changer?

KI-Programme wie ChatGPT oder Google LaMDA sorgen auch in der Marktforschung für reichlich Diskussionsstoff. Erleichtern sie den Job von Marktforschenden oder bedrohen sie Qualität und Arbeitsplätze? Die Lösungen sind weder des Teufels noch ein Allheilmittel, findet unser Kolumnist Herbert Höckel, und zeigt Chancen und Risiken im Umgang mit Künstlicher Intelligenz auf.

Ed Harris in seiner Rolle als "Man in Black" in der HBO-Serie "Westworld". Diese basiert auf einem Roman von Michael Crichton und setzt sich unter anderem mit der Frage auseinander, ob Androiden am Ende vielleicht die besseren Menschen sind. (Bild: picture alliance / AP Photo | clessard|File|Filed|9/28/2016 7\22\57 PM, John P. Johnson)

Ich weiß, der Januar ist schon Geschichte aber trotzdem: Frohes neues Jahr allen zusammen!

Aber, Moment. Froh? War das Jahr bisher nicht eher ziemlich ambivalent? Damit meine ich an dieser Stelle ausnahmsweise weder das Kriegsgeschehen noch Inflation oder Energiekrise, sondern die gegenwärtigen Entwicklungen zur Künstlichen Intelligenz (KI). Passend dazu habe ich sowohl gute als auch schlechte Nachrichten - für Sie und mich gleichermaßen.

KI versus Mensch Teil 1: Die schlechten Nachrichten

Die schlechten zuerst. In Form von fünf Gründen, warum unsere Kunden dank neuester KI-Systeme in Zukunft absolut keine professionellen Marktforschenden mehr brauchen werden:

1. KI-Systeme können schon jetzt große Datenmengen präziser verarbeiten, analysieren und interpretieren als die besten menschlichen Forscher. Mit schnelleren und zuverlässigeren Prognosen.
2. KI-Systeme können Markttrends 24/7, das heißt dauerhaft ohne Unterbrechung überwachen beziehungsweise analysieren und so Echtzeitdaten liefern - als stets aktuelle Grundlagen für Geschäftsentscheidungen.
3. KI-Systeme erkennen sämtliche komplexen Zusammenhänge, die menschlichen Forschern entweder entgehen oder wofür sie erheblich länger brauchen würden.
4. KI-Systeme bekommen keinen Lohn und brauchen keine Pausen, minimieren aber trotzdem alle menschlichen Verzerrungen und Fehler und liefern damit bessere Ergebnisse.
5. KI-Systeme lassen sich problemlos skalieren, zum Beispiel für Forschungsprojekte auf mehreren Märkten oder Regionen. Das ermöglicht jederzeitige Daten, sogar aus einer globalen Perspektive!

Und, ist die Stimmung schon im Keller?

KI versus Mensch Teil 2: Die guten Nachrichten

Dann schnell der Wechsel zum Positiven, also zu fünf Gründen, warum gerade durch neue KI-Systeme professionelle Marktforschende unersetzlich werden:

1. KI-Systeme können den kulturellen und gesellschaftlichen Kontext eines Forschungsprojektes nicht vollständig verstehen. Für die Bewertung der Resultate ist das aber entscheidend.
2. KI-Systeme bewahren und verstärken gesellschaftliche Vorurteile, wenn sie nicht permanent geschult und überwacht werden. Ethisch versierte Marktforscher können solche Zusammenhänge identifizieren und lösen.
3. KI-Systeme verarbeiten zwar unendliche Datenmengen, es fehlt ihnen aber die ur-menschliche Fähigkeit zur Intuition und Kreativität, um daraus neue Ideen zu entwickeln.
4. KI-Systeme sind schlechter als versierte Marktforschende, aus diesen Datenmassen auch die stets sinnvollen Schlüsse für einen Kunden zu ziehen.
5. Erfahrene Marktforschende sind in der Lage, Ergebnisse auch einem nicht-technischen Publikum klar und überzeugend zu präsentieren. Bei KI-Systemen ist das (noch!) eher fraglich.

Nun?! Sie sind wieder ein Stück entspannter?

Oder wirkt das letzte "noch!" gerade nach? Aber direkt zur Auflösung: Denn beide Aufzählungen stammen vom "Rosa Elefanten" selbst, der rhetorischen Figur, die seit der ersten Zeile gemeinsam mit uns im Raum steht.

Was ich damit sagen will? Es sind nicht meine, sondern im Wesentlichen die Antworten von chatGPT, jenes Chatbots, der seit Ende letzten Jahres weltweit für Furore sorgt. Weil nun jeder Internetnutzer sich mit diesem Bot nun erstmals "ganz normal" austauschen kann. Auf jede Frage oder Bitte um (textbasierte) Unterstützung spuckt dieses Produkt aus dem Hause OpenAI unmittelbar hochwertige, orthografisch perfekte und in der Regel auch inhaltlich korrekte Antworten aus. Und das sogar in jeder erwünschten Form: Ob auf Deutsch oder Englisch, als Aufzählung, tabellarisch oder als Fließtext in exakten 850 Wörtern. Oder 715. Ganz egal.

Das Programm ist zwar beileibe nicht fehlerlos aber doch schon so gut, dass weltweit Schulen und Universitäten panisch aufgeschreckt werden und nun in aller Eile über ganz neue Betrugs- und Plagiats-Möglichkeiten ihrer Schüler und Studenten diskutieren müssen. Na, viel Spaß dabei!

chatGPT, LaMDA & Co.

Neben chatGPT stehen derzeit auch Programme anderer Anbieter kurz vor der Veröffentlichung, nicht zuletzt LaMDA von google - mutmaßlich noch leistungsfähiger und zuverlässiger. Es stellt sich also die Frage: Welche Berufsgruppe ist vor dieser Revolution eigentlich noch sicher? Ist nicht tatsächlich ein wenig Panik angesagt? Werden wir jetzt alle arbeitslos, weil eine omnipräsente KI uns ganze Professionen ab- und wegnimmt?

Nein. Die zehn Antworten, die chatGPT zu Beginn dieses Textes übrigens selbst gegeben hat, stehen ja wie ein Beleg dafür: Dass künstliche Intelligenzen weder des Teufels sind noch ein Allheilmittel, sondern vielmehr den wunderbar menschlichen Ausdruck spiegeln "Es kommt darauf an"!

Nicht nur Schüler und Studenten, nicht nur Kreative, Redakteure, Anwälte oder Ärzte, sondern auch wir Marktforschenden können jede technische Innovation gut gebrauchen.

Aber natürlich nicht, um unsere Kompetenzen und Persönlichkeiten zu ersetzen, sondern um die Leistungen für unsere Kunden noch besser zu machen und den Nutzen noch weiter zu steigern. Und zwar mit einem sinnvollen und cleveren Einsatz aller KI-Systeme, die in Zukunft mit Sicherheit noch auf uns zukommen werden.

Ja, Künstliche Intelligenz ist ein Game Changer!

Dabei geht es nie um blindes Vertrauen in Technik (sagte ich bereits in Herberts Welt vom 23.08.2023). "KI an - Hirn aus" wäre die wohl dümmste aller Entscheidungen. Wie immer beim Match zwischen Mensch und Technik geht es um ein kritisches aber intelligentes Miteinander, d.h. die Verknüpfung von humaner Erfahrung und Intuition mit der Leistungsfähigkeit einer Maschine, die nun mal keine Pause braucht und zudem immer aufnahmefähig bleibt.

Ja, ich glaube fest daran, dass durch Künstliche Intelligenz die Guten besser und die Schlechten ersetzt werden!

Geht die Marktforschung offen und vernünftig damit um, werden die besagten Programme zum echten Game Changer - ganz sicher in Bezug auf Effektivität, Fehlervermeidung und Zeitersparnis. Und mit der Übernahme von kraftraubenden Routinen ermöglicht sie uns Experten gedankliche Freiheiten für neue Inspirationen und kreative Räume. Somit springen wir geradezu von der "Knowledge Economy" in eine Welt, in der es auf Expertise, Anpassung und dem klugen Umgang mit neuen Erkenntnissen ankommt.

Im Laufe der Geschichte war es doch schon immer so, technische Neuerungen besser als Chance zu begreifen. Denn sind sie einmal da, werden sie garantiert nicht mehr verschwinden. Daraus kann aber nur folgen: Immer auf Augenhöhe bleiben! Denn nur so können wir bei Innovationen mitsprechen, um das Beste aus zwei Welten (künstlich/ menschlich) zu formen.

Worin der Mensch überlegen bleibt

Übrigens: Wissen Sie eigentlich wieso Künstliche Intelligenz der menschlichen Erfahrung und Intuition immer unterlegen sein wird? Na weil …

… der gesunde Menschenverstand fehlt: Keine KI verfügt über das "Welt-Verständnis" von Menschen. Kein Algorithmus kann also Entscheidungen treffen und Probleme auf dieselbe Weise lösen wie Menschen.

… die Lernfähigkeit begrenzt ist: KI's lassen sich zwar für bestimmte Aufgaben trainieren, sind aber nur begrenzt in der Lage, sich so gut auf neue Situationen einzustellen wie Menschen.

… die Einordnung eines Kontextes immer zu Problemen führt. Jeder KI fällt es schwer, den Bezugsrahmen, in denen Informationen präsentiert werden, zu verstehen. Das kann zu Fehlinterpretationen oder falschen Schlussfolgerungen führen.

… die Kreativität begrenzt ist: Einer KI fehlt die Fähigkeit neue Ideen "out-of-the-box" zu entwickeln, also der Schlüsselaspekt der menschlichen Intelligenz.

… die emotionale Intelligenz fehlt: Gefühle erkennen und dechiffrieren sowie angemessen darauf zu reagieren, ist nun mal ein grundlegender Aspekt der menschlichen Erfahrung und Intuition.

Moment! Bevor Sie mir nun die Kombination aus Befangenheit und Naivität vorhalten: AUCH diese Antworten stammen aus der "Cursor-Feder" von chatGPT. Ich habe lediglich hier und da ergänzt oder leicht umformuliert. Herbert-Ehrenwort!

Wie geht’s denn nun weiter?

Zumindest für uns Marktforschende darf ich wohl reklamieren, dass wir per se technikoffene Geister sind. Mir erscheint es sicher, dass wir an der Schwelle zur nächsten technischen Revolution stehen - und damit vor einer absolut aufregenden Phase!

Diese Zeit sollten wir nutzen, um eine wirklich neue Welt für unsere Branche zu ermöglichen und vor allem brauchbar zu machen. Ganz im Sinne der Customer Centricity für eine noch intelligentere und effektivere Forschung, Beratung sowie Begleitung unserer Kunden.

Oder um den Bogen noch etwas größer zu spannen: Nach Radio, Telefon, Fernsehen, Internet und Smartphone begrüßen wir als unseren neuen Gast: Die Künstliche Intelligenz! Und sie wird kommen, um zu bleiben. Garantiert!

Sagt und freut sich,
Ihr Herbert Höckel

 

Über die Person

Herbert Höckel begann seine Karriere 1994 bei AMR in Düsseldorf. Nach zehn Jahren, zuletzt in leitender Position, machte er sich 2004 mit moweb research selbstständig, einem bis heute führenden Institut für digitale Marktforschung. Seit 2021 bekleidet er zudem auch die Rolle des Managing Directors von AMR Advanced Market Research. Herbert Höckel ist Autor des Buches "Customer Centricity Mindset" sowie gefragter Coach und Speaker für Marketing- und Marktforschungsthemen im DACH-Raum. Seit einigen... mehr

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