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Anna Schneider Kreuz und Quer? Warum die Idee einer Interoperabilitätsverpflichtung für WhatsApp, Signal und Co. aus Verbrauchersicht wenig attraktiv sein dürfte.

Nur 27 Prozent der Deutschen verlassen sich nur auf einen Dienst zur Kommunikation. Fast die Hälfte nutzen hingegen parallel bereits mindestens drei Dienste zur Cbat-Kommunikation via Smartphone. (Bild: picture alliance / imageBROKER | Valentin Wolf)
Interoperabilität – ein Fachterminus, der unser aller Kommunikationsverhalten bald beeinflussen könnte. Aber was ist Interoperabilität eigentlich?
Holen wir ein wenig aus… In der „guten alten Zeit“ gab es für uns kommunikationswillige VerbraucherInnen neben dem Festnetztelefon auch bald Emails und SMS für den Austausch mittels Textnachrichten. Die 164 Zeichen der SMS haben uns wohl allen einiges abgefordert, oder? Ich selbst kann jedenfalls nicht zählen, wie oft und wie viele SMS durch ein hartes Lektorat mussten, bevor sie für einen „Schnäppchenpreis“ von 39 Pfennig pro Nachricht auf die Reise gegangen sind. Dabei spielte es keine Rolle, welches Endgerät (liebevoll Knochen) die Kommunikationspartner besessen haben. Auch der Telekommunikationsanbieter war einerlei. Ankam, was geschickt wurde. Nun, jedenfalls meistens, aber das ist eine eigene Geschichte voll von emotionsgeladenen Momenten, irren Wendungen und zwischenmenschlichen Dramen …
Wer schreibt und wenn ja, mit wie vielen?
Mit dem Aufkommen der ersten Messengerdienste wie WhatsApp, Telegram, Signal und Co. änderte sich einfach alles! Dank der Verfügbarkeit von W-Lan und großen mobilen Datenpaketen fielen die einstigen monetären Grenzen. Die Kommunikation als solche änderte sich deutlich. Anstelle wohlüberlegter Texte mit Zeichenbegrenzung, wurde plötzlich hemmungsarm getextet. Wir kennen das sicherlich alle, oder? Heute werden Einkaufslisten übermittelt, in 37 (!) einzelnen Nachrichten.
In der Bahn hat man das Gefühl, vor lauter „Benachrichtigungstönen“ um einen herum, die eigenen Gedanken nicht mehr zu hören.
Aber damit noch nicht genug. Neben Textnachrichten ist auch das Versenden von Bildern und Videos, Sprach- und Videotelefonie, Sprachnachrichten und Teilen von Storys, sowie Statusmeldungen völlig selbstverständlicher Alltag unser aller Kommunikation. So schön diese Vielfalt auch ist, fordert uns diese Vielfalt auch ganz schön heraus.
Allein die Frage „Was schreibe ich Ihr / Ihm denn nur?“ ist heute viel komplexer durch die Fragen „Schreibe ich, oder sende ich ein Bild, dass mehr als 1000 Worte sagt?“ und „Welchen Messenger nutze ich denn nun eigentlich?“. Was früher „Common Sense“ war (Anrufe beim Vermieter nur zwischen 9-12 und 14-18h), ist heute outdated, oder? Gibt es eigentlich Regeln und auch Grenzen in der interpersonellen Kommunikation, so wie wir sie heute kennen?
Schaut man sich an, welche Messengerdienste national besonders erfolgreich sind, sollte zumindest die Frage „Welchen Messenger nutze ich denn eigentlich?“ leicht zu beantworten sein: WhatsApp hat (je nach Studie), einem Nutzeranteil von 93% und steht unangefochten an Platz 1. Direkt danach folgen der Facebook-Messenger (39%) und Instagram (25%), alle drei übrigens aus der Meta-Familie…
Und warum soll hier reguliert werden?
Aus Sicht der Regulierung sind derartige Erfolgsmodelle insofern problematisch, als das VerbraucherInnen de facto an WhatsApp kaum vorbeikommen, möchten diese auf dem Laufenden und in Kontakt bleiben.
Wer Kinder in Kita und Schule hat, oder aber das Geburtstagsgeschenk für Tante Klara organisieren musste, hat vermutlich genau diese Erfahrung schon selbst gemacht: Ohne WhatsApp läuft gar nichts mehr.
Trotz Vorbehalten auf Seiten der NutzerInnen, zum Beispiel aus Datenschutzgründen, wurde und wird WhatsApp daher auch weiterhin installiert und genutzt. Grundsätzlich sind die Überlegungen zur Interoperabilität, die es Nutzern unterschiedlicher Messengerdienste möglich machen würden, übergreifend mit einander zu kommunizieren also durchaus löblich. Denn die geplante Einrichtung von technischen Schnittstellen, die zu einer übergreifenden Kommunikation zwischen den unterschiedlichen (großen) Diensten verpflichten würde, würde wiederum uns VerbraucherInnen davor bewahren, Dienste zu nutzen die wir gar nicht nutzen möchten. Allerdings ist diese – nicht neue – Überlegung aus einigen Gründen problematisch. An dieser Stelle seien die technischen und datenschutzbezogenen Argumente gegen die Verpflichtung zur Interoperabilität bewusst außen vorgelassen. Wir wenden uns nun ausschließlich der NutzerInnenseite zu.
Es ist nämlich mitnichten so, als würden deutsche KonsumentInnen nur einen Dienst nutzen, um Nachrichten auszutauschen. Vielmehr ist es so, dass sich unter den KonsumentInnen in Deutschland nur 27 Prozent nur auf einen Dienst zur Kommunikation verlassen. Fast die Hälfte nutzt hingegen parallel bereits mindestens drei Dienste zur Kommunikation. Das bedeutet, dass das sogenannte Multihoming in den meisten Fällen bereits Alltag für viele ist. Und auch auf meinem eigenen Gerät – so viel sei verraten – sind derzeit mindestens acht Apps vorhanden, die den Austausch privater Nachrichten mit anderen Kontakten erlauben.
VerbraucherInnen steuern genaustens aus, mit wem sie über welche Dienste kommunizieren
Bei Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, ist es vermutlich ähnlich und Sie nutzen mehr als nur eine App zur Kommunikation, oder?
Kommen wir auf die vorher bereits erwähnten Regel zur angemessenen Kommunikation zurück. Trotz der schier unendlichen Möglichkeiten, folgt auch die heutige Kommunikation interessanterweise ebenfalls bestimmten Regeln und Grundsätzen. Besonders auffällig wird dies, wenn sich das Gegenüber nicht an die ungeschriebenen Gesetze hält: Der Vermieter, der einem eine WhatsApp mit „lustigen“ Emojis sendet. Der Businesskontakt, der einen nicht per LinkedIn, oder Xing anschreibt, sondern plötzlich auf Instagram folgt... Wir kuratieren genaustens, welcher Kontakt über welchen Kanal mit welcher Form von Botschaft kontaktiert wird. Dabei ist es sehr bedeutsam, wie nahe wir dieser Person stehen. Der Flirt wird erst einmal mittels Tinder abgetastet, danach folgt man auf Instagram. Später schreibt man sich vielleicht auf WhatsApp, und wenn die Beziehung enger wird, dann kommt auch die Videotelefonie zum Einsatz. Nun stelle man sich aber vor, der Tinder-Flirt kann einen plötzlich per WhatsApp anschreiben, oder gar zum Skype-Video greifen? Keine schöne Vorstellung, denn private Schutzräume und bewusst gesetzte Grenzen der Kommunikation könnten in solchen Szenarien durchbrochen werden.
Dass die verschiedenen Kommunikationsdienste von VerbraucherInnen sehr bewusst ausgesteuert werden, wird von der Regulierung wohl eher nicht ausreichend berücksichtigt. Damit hat der Digital Markets Act, trotz des dahinterstehenden guten Willens, leider das Zeug dazu, Grenzen zu überschreiten. Offen ist bis jetzt, wie genau die Interoperabilitätsverpflichtung im Detail konkret aussehen wird. Zu empfehlen ist aber, dass vor der „Scharfschaltung“ dieser Verpflichtung, die Bedürfnisse der betroffenen NutzerInnen deutliches Gehör finden sollten. Zu diesem Zweck lassen sich die ein oder anderen bestimmt auch auf ein kurzes Videotelefonat ein…
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