Johannes Mirus zur "Akte Marktforschung" "Kostendruck rechtfertigt keinen Betrug"

Im Zuge der Recherchen zur "Akte Marktforschung" sprach der SPIEGEL auch mit dem langjährigen Marktforscher Johannes Mirus. Im Interview erzählt er über einseitige Berichterstattung und die Probleme der Branche.

Johannes Mirus (Bild: Nicole Wahl)

Johannes Mirus (Bild: Nicole Wahl)

marktforschung.de: Herr Mirus, Sie schreiben in Ihrem Artikel "Tendenziöse Berichterstattung", dass Sie während des Interviews mit einem SPIEGEL Redakteur immer das Gefühl hatten, dass der "Grundtenor des zu erstellenden Artikels schon vorher feststand". Können Sie das bitte näher erläutern, was meinen Sie konkret?

Johannes Mirus: Im Gespräch wurde mir recht schnell offenbart, dass es einen Informanten gebe, der zu regelmäßigem Betrug in der Marktforschung Belege habe. Obwohl ich fortwährend die Seriosität der Institute betonte, von meinen eigenen Erfahrungen berichten konnte, in denen es keine Betrügereien gab, und von Kontrollmöglichkeiten erzählte, versuchte der Redakteur immer wieder, mich dazu zu bringen, zu bestätigen, dass wenigstens kleinere "Korrekturen" Usus in der Marktforschung seien. Es ist okay, es ist sein Job, Missstände aufzudecken und immer wieder nachzubohren, das mache ich ihm nicht zum Vorwurf. Ich finde es nur schade, dass der letztendliche Artikel dann doch so einseitig wurde.

marktforschung.de: Sie sagen, dass Sie in fünfzehn Jahren Berufserfahrung in der Marktforschung keine "ernsthafte Manipulation" von Ergebnissen erlebt haben, sprechen aber zeitgleich die Branchenprobleme (Kostendruck, Erwartungen der Kunden, Akzeptanz) an.  Wie darf man das Wort "ernsthaft" vor diesem Hintergrund interpretieren und wie sind Sie mit diesen Branchenproblemen umgegangen?

Johannes Mirus: Zwischen diesen beiden Punkten besteht kein Zusammenhang. Ja, der Kostendruck in der Branche ist enorm. Ja, Kunden haben die Erwartung, eine Fragestellung schon eine Stunde später vollumfänglich beantwortet zu bekommen - ich übertreibe nur leicht. Ja, Menschen für Umfragen zu begeistern war auch schon mal leichter. Aber das alles ist keine Begründung für Betrug und Manipulation und ich habe nichts davon jemals mitbekommen. Man darf auch als Dienstleister mal "Nein" sagen. Wenn ich schreibe, ich hätte keine "ernsthafte Manipulation" erlebt, dann gilt das eher der Interpretation. Man kann durchaus sagen, 50 Prozent der Befragten lehnen ein Produkt ab, man kann aber auch mit Fug und Recht behaupten, 50 Prozent finden es gut. Das ist eine Art der Manipulation, aber es ist kein Betrug, keine Datenfälschung, wie man sie der Branche aktuell vorwirft.

marktforschung.de: Können Sie die im SPIEGEL Online erhobenen Vorwürfe nachvollziehen?

Johannes Mirus: Nachvollziehen kann ich sie und ich unterstelle dem SPIEGEL nicht schlechte Recherche, auch wenn mancher Kommentar mich so interpretiert. Es ist durchaus vorstellbar, dass es (Feld-)Institute gibt, die "Kostenoptimierung" betreiben. Ich habe auch nie mit dem Institut des Informanten zusammengearbeitet, kann also gut sein, dass dort regelmäßig betrogen wurde. Ich finde es nur schwierig, wie das auf eine gesamte Branche projiziert wird, obschon es ja offenbar auch Stimmen gab, nicht zuletzt meine, die dem widersprochen haben.

marktforschung.de: Wie sollte die Branche – Ihrer Meinung nach –  nun reagieren?

Johannes Mirus: Ich bin seit bald drei Jahren nicht mehr in der Marktforschung tätig. Es wäre bescheuert, wenn ich jetzt als Outsider anfangen würde, der Branche Ratschläge zu geben. Wenn der SPIEGEL-Artikel eine gute Sache bewirkt haben sollte, dann hoffentlich, dass eine Menge Alarmglocken angegangen sind, dass auch Auftraggebern klar wird, was passiert, wenn man den Preis immer weiter drückt. Ich kann den Instituten nur raten, noch stärker auf die Qualität zu achten und vor allem noch bessere Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Seid ansprechbar, stellt die Vorteile eurer Arbeit besser dar, engagiert euch in Social Media – das lege ich euch nicht nur aus eigenem Interesse nahe.

 

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  1. Johannes Mirus am 07.02.2018
    Lustig, wie ich mir im letzten Absatz selbst widerspreche, wenn ich erst behaupte, keine Ratschläge geben zu wollen und dann Ratschläge erteile.

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