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Bernd Wachter, ADM e.V. "Korrekte Berichterstattung ist eine Pflicht gegenüber den Bürgern unseres Landes"

Bernd Wachter, ADM e.V.
marktforschung.de: Der ADM hat einen offenen Brief an Deutschlands Medien formuliert und darin auf eine korrektere Verwendung des Begriffes "Repräsentativität" gedrängt. Was hat den Verband zu diesem ja eher ungewöhnlichen Schritt bewogen?
Bernd Wachter: Die Qualitätsdebatte beschäftigt den ADM seit je her. Eine vergleichbare Vorgehensweise hat der ADM schon in den 1990er Jahren gewählt, als wir wegen den aufkommenden TED-Umfragen im Fernsehen einen ähnlichen Appell an Medienvertreter gerichtet haben. Korrekte Berichterstattung, insbesondere auch im Zusammenhang mit Umfrageergebnissen, ist eine Pflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes, die wir ernst nehmen müssen. Wenn wir hier Fehlentwicklungen erkennen, ist es unsere Pflicht, darauf hinzuweisen. Anscheinend reicht aber eine Diskussion innerhalb der Markt-, Meinungs- und Sozialforschungsbranche allein nicht aus. Deshalb sprechen wir in unserem offenen Brief die Medienvertreter*innen in Deutschland an, weil sie einerseits selbst Studien beauftragen und andererseits in ihrer Berichterstattung Studien zitieren. Wir rufen dazu auf, so zu verfahren, wie es auch sonst in journalistischen Recherchen üblich ist. Ergebnisse von Umfragen sollten hier keine Ausnahme bilden.
marktforschung.de: Vor zwei Monaten wurde intensiv über die Berichterstattung zur Sommerzeit-Konsultation der EU diskutiert: Mehr als vier Millionen Teilnehmer, aber keine Spur von Repräsentativität, was in den Medien oft unterging. Kurz darauf wurde von mehreren Instituten eine Beschwerde gegen den FOCUS eingelegt. Grund war die Verwendung von Umfragen des Institutes CIVEY. Ist die zeitliche Nähe Zufall oder eine unmittelbare Reaktion auf diese Vorgänge?
Bernd Wachter: Die Veröffentlichungen von Umfragen, die als repräsentativ für die Bevölkerung bezeichnet werden, es aber nicht sind, häufen sich zunehmend. Wir hatten uns ja in diesem Zusammenhang auch schon in einem Artikel geäußert. Wir gehen davon aus, dass sich Journalisten, Redakteure oder Intendanten in der Regel nicht in unseren Branchenmedien informieren. Mit dem nun veröffentlichten offenen Brief an Deutschlands Medienvertreter*innen wollen wir die Reichweite zu diesem Thema erhöhen und es einer breiteren Öffentlichkeit ins Bewusstsein rufen.
marktforschung.de: Sie verweisen in dem Schreiben auf das Zufallsprinzip als den einzig legitimen Weg zur Repräsentativität, obwohl es dazu ja aufgrund erschwerter Erreichbarkeit und zurückgegangener Teilnahmebereitschaft durchaus auch eine Diskussion gibt. Erteilt der Verband damit alternativen Verfahren, die zum Beispiel auf Matching oder Mikroquotierung beruhen, eine grundsätzliche Absage, oder sind diese Verfahren einfach noch nicht weit genug ausgereift, um als ähnlich repräsentativ gelten zu können?
Bernd Wachter: Der ADM hat sich immer aus Methodendiskussionen im Detail herausgehalten und neuen Entwicklungen gegenüber offen gezeigt. Natürlich gibt es die reine Lehre, und die ist eindeutig. Aber es gibt auch Entwicklungen im methodischen Bereich und dadurch auch die Notwendigkeit, methodische Kompromisse einzugehen. Das darf aber nicht zu einem "anything goes" führen. Stichproben können aus sich heraus nicht repräsentativ sein. Sie brauchen eine Grundgesamtheit, auf die sie sich beziehen. Zur Ziehung wird üblicherweise eine Auswahlgrundlage herangezogen. Je nachdem, für welche Zielgruppe man eine Aussage machen möchte, können Auswahlgrundlagen ganz unterschiedlich sein. Im Falle von Bevölkerungsstichproben sind das zum Beispiel Einwohnermeldeamtsdateien oder auch die ADM Stichproben. Dabei kann man sicher auch über Quotenstichproben als legitime Methode, repräsentative Stichproben zu ziehen diskutieren. Aber Auswahlgrundlagen, die von vornherein bestimmte Bevölkerungsgruppen ausschließen oder durch einen Aufruf in ausgewählten Medien nur bestimmte Menschen erreichen, können nicht die Meinung der Bevölkerung repräsentieren. Das ist ein Grundsatz der Statistik, den wir in der empirischen Forschung anwenden müssen. In unserem Aufruf geht es nicht darum, bestimmte Befragungsmodi auszuschließen. Es geht darum, den Begriff der Repräsentativität korrekt zu verwenden. Wenn ein Artikel oder ein Bericht mit der Aussage unterstützt wird "Eine repräsentative Befragung in Deutschland hat ergeben, dass…", müssen sich die Nutzer*innen des Inhalts darauf verlassen können, dass diese Aussage auch zutreffend ist und die getroffenen Annahmen und Einschränkungen kennen.
marktforschung.de: Im gleichen Zuge schließen Sie auch die Repräsentativität von Online-Erhebungen aus. In ihrem Brief heißt es dazu: "Wenn ganze Teile der Bevölkerung in der Stichprobe fehlen – etwa Personen ohne Internetzugang oder wenn gar nur Besucher*innen einzelner Websites befragt werden –, darf ein Ergebnis nicht für die Bevölkerung verallgemeinert und auch nicht als repräsentativ für die Bevölkerung bezeichnet werden". Haben Sie sich dazu mit den anderen Verbänden, zum Beispiel der DGOF, abgestimmt?
Bernd Wachter: Das kommt immer auf die Grundgesamtheit an. Wenn ich nur von Websites rekrutiere, kann ich die Bevölkerung nicht repräsentieren. Und auch im "sauber" rekrutierten Online-Panel wird es zum Beispiel ab einer bestimmten Altersgruppe schwierig, weil diese einfach nicht oder nicht hinreichend online ist. Es geht immer um den Bezug. Soll heißen: Auf welche Auswahlgrundlage bezieht sich die Studie und damit auch der Begriff der Repräsentativität? Ein Online-Forscher wird dies nicht grundsätzlich anders sehen.
marktforschung.de: Nun hat der ADM ja eine breite Mitgliedschaft, darunter auch viele Online-Forscher: Stehen alle Institute hinter dem Aufruf oder gibt es auch im Verband eine Diskussion, sei es, was die Erhebungsform oder auch was das Zufallsprinzip betrifft?
Bernd Wachter: Da es zu den Hauptaufgaben des Verbands gehört, die Qualität in der Markt-, Meinungs- und Sozialforschung zu fördern, steht dieser Aspekt immer auf unserer Agenda und wird permanent diskutiert. Im Verband setzen wir uns ständig mit neuen Befragungsmethoden auseinander. Jeder Befragungsmodus hat seine Berechtigung. Die Institute und Auftraggeber müssen sich aber damit auseinandersetzen, welche Methode für welche Aussage geeignet ist und wo die Grenzen der Aussagekraft einer Methode sind. Alle Methoden, egal ob telefonische Befragungen, Face-to-Face-Befragungen und Online-Befragungen, egal ob unter Nutzung von Panels oder Webseiten haben ein gemeinsames Problem. Die Bereitschaft, an Befragungen teilzunehmen oder bei Panels mitzumachen nimmt stetig ab. Wir sollten aufhören über einzelne Methoden zu diskutieren, sondern lieber Wege finden, wie wir das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen und damit die Teilnahmebereitschaft wieder erhöhen. Eine faire, transparente und korrekte Kommunikation – auch in den Medien – ist hierfür eine Grundvoraussetzung.
marktforschung.de: Muss die Branche Sorge haben, dass der Schuss nach hinten losgeht: Also dass der Aufruf - wenige Monate nach der Spiegel-Online-Affäre um gefälschte Interviews - das Vertrauen in die Institute generell schwächt, anstatt dass es zu einer differenzierteren Wahrnehmung nach Qualität der Ergebnisse kommt?
Bernd Wachter: Das sehen wir nicht so, ganz im Gegenteil. Ohne Transparenz kann kein Vertrauen entstehen. Dazu gehört auch, über Missstände aufzuklären und fehlende Qualitätsaspekte offen anzusprechen. Wie Sie wissen hat der ADM im Nachgang der Spiegel-Online-Affäre eine Transparenz-Initiative initiiert. Diese befindet sich aktuell in der Ausarbeitung. Die korrekte Bezeichnung von Umfragen und die Aufklärung der Aussagekraft der Ergebnisse der Befragung gehören dazu. Nur auf diese Weise sind wir als Branche glaubwürdig und verschaffen uns das notwendige Vertrauen.
marktforschung.de: Vielen Dank für Ihre Antworten, Herr Wachter.
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