Bernd Dworschak, Walter Ganz & Helmut Zaiser, Fraunhofer-Institut Kompetenzen und Kompetenzentwicklung in der Arbeitswelt der Zukunft

Die aktuelle Diskussion um die Anforderungen der Arbeitswelt der Zukunft wird häufig in Zusammenhang mit dem Schlagwort "Industrie 4.0" geführt. Doch wer den großen Sprung in die Industrie 4.0 schaffen will, muss bei den kleinen Details anfangen. Die vernetzte Fabrik kommt nicht über Nacht. Grundsätzlich ist bei "Industrie 4.0" statt von einer "Revolution" von einer jahrelangen Evolution von Produktionssystemen auszugehen. Schließlich geht es nicht nur darum, Objekte intelligent zu machen und untereinander zu vernetzen, sondern vor allem auch die Rolle des Menschen neu zu definieren. Hierzu sind Erfahrungen in der Forschung zu sammeln und konkrete Praxisbeispiele umzusetzen. Gleichzeitig gilt es, die Menschen für digitale Arbeitsweisen zu qualifizieren. Die technischen Kompetenzanforderungen dafür sind heute schon absehbar. Sie beziehen sich auf - übergreifende - Kompetenzen in den Bereichen Mechanik und Elektronik, Mikrosystemtechnik und Automatisierung sowie deren Integration, insbesondere im Zuge einer Konvergenz mit (Produktions-)IT. Der vernetzte Werker von morgen wird überwiegend steuernde Aufgaben übernehmen und anhand von Echtzeit-Daten Arbeitsaufträge erhalten, auf unvorhergesehen Ereignisse reagieren müssen und beispielsweise über Mixed oder Virtual-Reality-Anwendungen visuell assistiert arbeiten.
Voraussetzung der mit Industrie 4.0 anvisierten Flexibilität und Produktivität ist eine physisch-digitale Prozessbeherrschung. Physische Prozesse werden mit digitalen Daten und Modellen echtzeitnah synchronisiert. Dies erfordert ein Systemverständnis für die Wechselbeziehungen der physischen und digitalen Prozesse. Ein mehr oder weniger großer Teil der Belegschaften benötigt Kompetenzen für die tatsächliche, möglichst echtzeitnahe Synchronisierung der Prozesse.
Unter anderem ist für die Prozessbeherrschung mitentscheidend, ob die mit Industrie 4.0 verbundene Flut digitaler Daten so aufbereitet werden kann, dass sie als richtig ausgewählte, d. h. relevante Informationen möglichst echtzeitnah am richtigen Ort zur Verfügung stehen. Die Fähigkeit, die relevanten Daten auszuwählen, zu Informationen aufzubereiten und am Ende richtig zu interpretieren, stellt eine der wesentlichsten Industrie 4.0-Anforderungen dar.
Moderne Produktionsarbeit erfolgt in situativ veränderlichen Netzwerken aus spezialisierten Rollen, wie etwa Prozessingenieure, Produktionsplaner, Instandhalter, Maschinenbediener oder Produktions-IT-Spezialisten. Dies erfordert Kompetenzen zur Kommunikation, Kooperation und Organisation in interdisziplinären, wechselnden Teams. Charakteristisch für Industrie 4.0 ist nun, dass die Funktionen - wenn nicht spezialisierte Rollen - nicht alleine von Menschen, sondern ebenso von technischen Rollen- und Funktionsträgern - typischerweise über unterschiedliche Ebenen vernetzte, cyberphysische Systeme (CPS) - übernommen werden können.
Dies bedeutet eine Erweiterung der Anforderungen um Kompetenzen zur Mensch-Technik-Kommunikation und -Kooperation in ihrer systemischen Wechselwirkung mit der Mensch-Mensch-Kommunikation und -Kooperation
in Mensch-Technik-Rollennetzwerken.
Durch den Einsatz neuer Technologien verändert sich z.B. auch der Bereich der Instandhaltung in Unternehmen. Es findet ein Wandel von einer reparaturorientierten zu einer zustandsorientierten und vorrausschauenden Instandhaltung statt. Die Komplexität der Gesamtsysteme steigt und die technischen Hilfsmittel innerhalb der Instandhaltung entwickeln sich weiter: So vereinfacht sich z.B. die Datenabfrage durch neue Diagnosetools, die mobile Kommunikation erfolgt mittels Smartphone/Tablet oder eine Visualisierung der Gesamtprozesse per Datenbrille ist möglich. Das Instandhaltungspersonal steht damit vor höheren Anforderungen bei der Interpretation von Informationen (Datenanalyse). Hier sind vor allem Analysefähigkeiten und Methodenkompetenzen notwendig, um mit den abstrakten Informationen umgehen zu können und einen schnellen Überblick über den Produktionsprozess zu gewinnen. Gleichzeitig steigt der Anteil von Planungs- sowie Koordinierungsaufgaben mit anderen Abteilungen, Herstellern oder Kunden. Dazu werden immer mehr neue technische Hilfsmittel wie Tablets, Smartphone oder Datenbrillen eingesetzt.
Formate der Kompetenzentwicklung
Mit Blick auf die Frage, welche Kompetenzentwicklungsformate für die Schließung von Industrie 4.0-Lücken und Erschließung von Potenzialen jeweils geeignet sind, gibt es inzwischen neuere Formate, wie z. B. Industrie 4.0-Lernfabriken oder Digitale Lernspiele (Serious Games). Serious Games ermöglichen Kompetenzentwicklung für die Industrie 4.0-charakteristische Teamarbeit in Mensch-Technik-Rollennetzwerken, weil sie anders als frühere, technikzentrierte Spiele, soziale Interaktionen berücksichtigen und im Team die Arbeit mit digitalen Medien und technischen Rollenträgern in virtuellen Umgebungen (ein-)geübt werden kann. Industrie 4.0-Lernfabriken bestehen aus realen Anlagen und virtuellen Umgebungen. Mit ihren realen, greifbaren Elementen können sie dazu dienen, auch Mitarbeitende ohne (produktionsumfeldbezogene) Vorerfahrungen mit digitalen Medien und virtuellen Umgebungen an die digitale Industrie 4.0-Ebene heranzuführen. Weiterhin lassen sich u. a. Szenarien simulieren, mit denen z. B. Migrationsschritte gestaltet und daraus notwendig werdende Kompetenzen entwickelt werden können.
Die Lernwelt des Future Work Lab
Die "Lernwelt" des Future Work Lab - eines Innovationslabors für Arbeit, Mensch und Technik in Stuttgart - (www.futureworklab.de) versucht, das breite Spektrum an Kompetenzentwicklungsmöglichkeiten abzubilden und aufzuzeigen. Hierbei spielen verschiedene inhaltliche, methodische, zeitliche und organisatorische Elemente eine Rolle. Verstärktes Augenmerk wurde auf den Einsatz innovativer und interaktiver Lernformate gelegt. Didaktische Herausforderungen bestehen z.B. in der Vermittlung von Zusammenhängen der Industrie 4.0 wie Abstraktheit automatisierter Vorgänge, unsichtbare digitale Informationsflüsse oder teilautonome maschinenbasierte Entscheidungen. Um die Zusammenhänge zu vermitteln, dienen die Demonstratoren im Future Work Lab zu Lernzwecken. In der Lernwelt des Future Work Lab wurden verschiedene zielgruppenspezifische Lernformate entwickelt. Die Konzeption der Angebotsformate umfasst Führungen, die auf die Bedarfe der jeweiligen Zielgruppe situationsgerecht zugeschnitten oder angepasst werden. Darüber hinaus bietet die Lernwelt eine große Bandbreite an themenspezifischen Seminaren, adressatengerechten Workshops sowie interaktiven Beratungs- und Kompetenzentwicklungsangeboten. Zur Auswahl stehen dabei Orientierungs-, Bewertungs- und Gestaltungsangebote. Während die Orientierungsseminare dazu dienen, eine Einführung in das jeweilige Themengebiet zu gewährleisten, ermöglichen die Bewertungsangebote eine weitergehende Auseinandersetzung, wenn bereits die Entscheidung für eine tiefer gehende Beschäftigung mit einem Thema gefallen ist. Gestaltungsangebote richten sich an jene Interessenten, die bereits die Umsetzung eines konkreten Themas planen und hierfür nach Unterstützung suchen.
Neben diesen klassischen Lernformaten rücken in der Lernwelt des Future Work Labs verstärkt digitale Lernformate in den Fokus. Wer die Lernwelt des FWL nutzt, soll sich ein Bild über die Möglichkeiten digitalen Lernens machen und diese auch erleben können. Beispiele dafür reichen von der einfachen Roboterprogrammierung über E-Learning- oder Blended Learning-Angebote bis hin zu sehr kostengünstigen Möglichkeiten der Wissensvermittlung. Dazu zählen beispielsweise Learning Codes oder der Einsatz moderner Arbeitsmittel (und Lernmedien) wie die HoloLens.
In der Lernwelt des Future Work Lab haben Besuchergruppen die Möglichkeit, einen anderen Blick auf die Veränderungen von Arbeit zu werfen und Lernaspekte sowie Veränderungen von Kompetenzanforderungen in den Blick zu nehmen. Durch die physische Lernwelt in Form eines Forums bzw. Workshopareals haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit, von diesem Zentrum aus verschiedene Demonstratoren zu besuchen, um dort entsprechende Themen zu bearbeiten und dann immer wieder in den Workshopbereich zurückzukehren, um weitere thematische Inputs zu erhalten oder Diskussionen zu vertiefen.
Links:
Lernwelt im Future Work Lab
https://futureworklab.de/de/lernwelt.html
Arbeit und Kompetenzen in der Industrie 4.0
https://www.dlpm.iao.fraunhofer.de/de/themen/industrie40.html
Zu den Autoren:
- Walter Ganz, Institutsdirektor Fraunhofer IAO
- Bernd Dworschak, Leiter des Teams "Kompetenzmanagement" am Fraunhofer IAO
- Helmut Zaiser, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team "Kompetenzmanagement" am Fraunhofer IAO
Über Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO:
Wie arbeiten und leben Menschen in Zukunft? Zu dieser und ähnlichen Fragen wird am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO geforscht, Erkenntnisse werden dann ergebnisorientiert in die Anwendung gebracht. Das Institut unterstützt Unternehmen und Institutionen darin, Potenziale neuer Technologien zu erkennen, diese gewinnbringend einzusetzen und attraktive Zukunftsmärkte zu erschließen. Im Mittelpunkt der Forschungsaktivitäten und Praxisprojekte des Forschungsfelds Dienstleistungs- und Personalmanagement steht sowohl die Gestaltung innovativer, lernförderlicher und attraktiver Arbeit als auch die Entwicklung organisatorischer und personaler Kompetenzen.
Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden