Klaus M. Janowitz: "Das Internet 2012 wird mobil - es wandert vom Schreibtisch in die Hände"

Klaus M. Janowitz
Klaus M. Janowitz ist gelernter Sozialwissenschaftler und befasst sich vielen Jahren vorrangig mit Online-Forschung mit einem besonderen Interesse an Netnographie und Social Media. Im September 2010 veranstaltete er gemeinsam mit zwei Kollegen das erste Barcamp zum Thema Netnographie und Social Media Forschung. Im Interview mit marktforschung.de äußert er sich zu Social Media Monitoring und Marktforschung und zur Rolle der Netnographie.
marktforschung.de: Herr Janowitz, wie würden sie das Verhältnis von Marktforschung und Social Media beschreiben?
Klaus M. Janowitz: Der Hype um Social Media bestimmte zahllose Diskussionen der vergangenen Jahre. Social Media fasst ganz unterschiedliche Formate zusammen: öffentliche Beiträge in Sozialen Netzwerken und Foren, Blogs, Microblogs wie Twitter, Produktbewertungen, News-Seiten etc. - entscheidend ist der nutzergenerierte Inhalt.
Während in Branchen wie PR und Marketing Umgang und Nutzung von Social Media früh zum Alltag gehörten, gingen die Reaktionen in der Marktforschung in beide Richtungen: mancherorts Begeisterung über die neuen Möglichkeiten, ansonsten war für lange Zeit eine skeptische Beobachterposition vorherrschend. Social Media sind nicht repräsentativ, die Teilnahme ist selbstselektiv, ein großer Teil der in sozialen Medien erstellten Inhalte stammt von einem relativ schmalen Personenkreis.
marktforschung.de: Dennoch entwickelte sich ein ganzer Forschungszweig der sich ausschließlich sozialen Medien widmet, wie kam es dazu?
Klaus M. Janowitz: "Social Media Research" hat sich im wesentlichen abseits der klassischen Marktforschung entwickelt. Eine Voraussetzung war die Verbreitung von Monitoring-Software. Neue Anbieter traten auf den Markt: Agenturen, Softwareanbieter, Berater. Social Media Monitoring entstammt dem Kommunikationsmanagement, speziell der Medienresonanzanalyse. Dabei geht es meist um die Evaluation der Kommunikationsziele und ein auf möglichst breiter Basis erstelltes Meinungsprofil.
Viele Monitoring Tools enthalten eine automatisierte Sentiment Analysis - automatische Zuordnung von Einschätzungen - , gelegentlich durchaus nützlich, aber mit erheblichen Fehleinschätzungsrisiken. Das verheißt Ergebnisse auf Knopfdruck, die eine Repräsentativität vortäuschen.
marktforschung.de: Ihr Fachgebiet ist aber eher die Netnographie – worin liegt der Unterschied zu Social Media Monitoring und wie würden Sie Netnographie allgemein charakterisieren?
Klaus M. Janowitz: Der bereits seit den 90er Jahren entwickelte Ansatz Netnographie geriet im Hype um Social Media ein wenig ins Hintertreffen. Netnographie ist ein sehr breit angelegter, holistischer Ansatz, der unterschiedliche qualitative und quantitative Methoden einschließt und verschiedene Operationalisierungen zulässt. Ursprung waren Studien zu damals neuartigen Online-Fan-Communities, wie etwa zu StarTrek, Soaps und auch Kaffee, orientiert an ethnographischen Modellen der Cultural Studies. Netnographie ist eng mit der Person des kanadischen Kulturanthropologen und Marketers Robert Kozinets verbunden, der den Ansatz seit den 90er Jahren entwickelt und dazu 2009 den methodologischen Primer "Netnography. Doing Ethnographic Research Online" veröffentlicht hat.
Die Frage nach dem Unterschied zu Social Media Monitoring taucht immer wieder auf: Es sind keine Methoden und Konzepte, die in Konkurrenz zueinander stehen. Social Media Monitoring bedeutet Beobachtung, in der Praxis ist es die meist automatisierte Datenerhebung im Social Web, Netnographie berücksichtigt das soziale und kulturelle Umfeld.
marktforschung.de: Wie stehen "klassische" Marktforschung und Online-Research Ihrer Meinung nach zueinander?
Klaus M. Janowitz: Forschung im Netz macht andere Methoden nicht überflüssig. "Klassische" Online-Befragungen haben sich wegen des Rationalisierungsgewinns gegenüber Paper & Pencil durchgesetzt - innovativ war der Weg der Übermittlung. Online-Panels erweiterten die Möglichkeiten der Teilnehmerrekrutierung für Umfragen und Forschungs-Communities. Forschung im Netz interessiert sich für Meinungen, Vergemeinschaftungen und Verbindungen, die sich im Netz abspielen bzw. spiegeln - keineswegs, wie gelegentlich so gesehen, zu verwechseln mit einer Sekundäranalyse bereits bestehender Daten.
marktforschung.de: Was meinen Sie in diesem Fall mit Vergemeinschaftungen?
Klaus M. Janowitz: Weinfreunde, Fairtrade-Aktivisten, Fans elektronischer Musik, Kaffee-Enthusiasten etc. - all diese Special-Interest Gruppen bilden Netzwerke und Communities, die sich im Netz öffentlich austauschen. Stichproben sind jeweils auch über wohlsortierte Panels zu erreichen und damit gibt es Möglichkeiten der Kombination.
marktforschung.de: Wie geht es weiter mit der Forschung im Netz?
Klaus M. Janowitz: Das Internet 2012 wird mobil - es wandert vom Schreibtisch in die Hände. Online-Interaktion in den verschiedensten Formen wird zu einer ganz normalen Dialogebene, die sich eingliedert in den Strom der Kommunikation. Das Internet ist nun endgültig keine vom wahren Leben geschiedene parallele Welt mehr. Methoden entwickeln und verändern sich auch mit dem Forschungsfeld - und nichts hat sich in den letzten Jahren so rasant entwickelt wie das Social Web.
marktforschung.de: Sie haben 2010 das erste Netnocamp in Deutschland durchgeführt, was genau kann man darunter verstehen und wie sind die weiteren Pläne diesbezüglich?
Klaus M. Janowitz: Im September 2010 hatten wir erstmals unter dem Namen Netnocamp in Köln ein Barcamp zum Thema Netnographie und Social Media Monitoring veranstaltet, u.a. mit Beteiligung von Robert Kozinets. Im Herbst 2011 war eine Weiterführung unter dem Motto "Perspektiven der Social Media Research" geplant. Trotz guter Resonanz wurde eine ausreichende Teilnehmerzahl leider verfehlt. Barcamps entstammen der Kultur des Social Web – sehr schön ist das Bild von der "Offline-Version des Social Web", es ist ein basisdemokratisches Format.
Neben sehr breit angelegten Barcamps, die beinahe jedes Thema zulassen, haben sich themen- und branchenzentrierte Barcamps entwickelt, so z.B. in der Tourismus-Branche. Mit dem Netnocamp sollten Interessenten angesprochen werden, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit Forschung im Netz befassen - es geht um ein spannendes Thema, bei dem noch vieles offen ist. Wenn sich weiteres nachhaltiges Interesse zeigt, kann man in näherer Zukunft eine ähnliche Veranstaltung ansetzen.
marktforschung.de: Herr Janowitz, vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen!
Blog von Klaus M. Janowitz: www.klaus-janowitz.de/wordpress/
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