Kolumne von Christoph Kwiatkowski und Thomas Schäfer KI & DIY – jetzt geht’s erst richtig los

Die Autoren der Kolumne sind der Ansicht das Mensch und KI ein hervorragendes Team sein könnten und sollten. (Bild: picture alliance / Zoonar | Robert Kneschke)
Künstliche Intelligenz (KI) ist wohl die revolutionärste technologische Entwicklung, vielleicht nicht nur unserer Zeit. Fasziniert beobachten wir, wie schnell sich diese Technologie entwickelt und in welchem Tempo neue Tools, Modelle und Anwendungsideen entstehen. Keine technologische Neuerung der letzten Jahrzehnte toppt unsere bisher einzigartigen Fähigkeiten, zu verstehen, zu denken und zu erschaffen. Große Sprachmodelle wie ChatGPT, Claude, BARD und andere helfen uns beim Denken, Formulieren und Ableiten. Ganz besonders zeigen aber Features wie die Advanced Data Analytics von ChatGPT Plus die fantastischen Möglichkeiten plus KI-Copiloten, die uns Nutzer an die Hand nehmen.
KI und Marktforschung
Selbstverständlich ist die Marktforschung und ihr gesamter Wertschöpfungsprozess auch betroffen und - wie bei jeder disruptiven Technologie - werden Ängste hervorgerufen.
Die Diskussion über die Deutungshoheit bringt uns derzeit nicht weiter und auch nicht die Frage, ob KI sich an unsere Regeln hält.
Das ist Mensch vs. Maschine-Denken und erinnert uns an die Zeit, als DIY und Automatisierungs-Lösungen den Markt betraten. Es geht vielmehr darum, diese neue Technologie so schnell wie möglich im eigenen Kontext und für den eigenen Prozess zu erkunden und dort zu integrieren, wo sie wertvolle Beiträge liefert.
Und am Ende steht noch immer eine Marktforscherin oder ein Marktforscher in der Verantwortung für valide, reliable und – nicht zuletzt – nützliche, nutzbare und Nutzen bringende Ergebnisse für Kunden. Unter Berücksichtigung aller Datenschutzauflagen und Vertraulichkeitszusagen, die wir unseren Kunden machen. Künstliche Intelligenz als eine natürliche und zu erwartende Fortsetzung der Automatisierungs- und DIY-Bewegung in der Branche.
Herbert Höckel schreibt: "Denn je neuer, komplexer oder sensibler ein Thema ist, desto eher brauchen wir menschliche Intelligenz.”
Wir glauben das Gegenteil: Je komplexer, desto unbrauchbarer ist menschliche Intelligenz schon immer gewesen.
Insbesondere vor dem Hintergrund unserer impliziten und expliziten Verzerrungen, Vereinfachungen und Vorurteilen. KI-Anwendungen können völlig frei davon sein und so helfen, das Gütekriterium der Objektivität zu erfüllen. Selbst ohne Verzerrungen fällt es uns enorm schwer, mit Komplexität umzugehen, KI nicht. Von Wettermodellen bis Google Maps, überall da, wo es komplex wird, wird der Mensch KI einsetzen oder tut es schon.
Einsatzmöglichkeiten entlang des Wertschöpfungsprozesses:
Viele Einsatzmöglichkeiten sind im Gespräch und teilweise bereits am Start. Wo können uns KI-Werkzeuge bereits heute unterstützen, was erwarten wir von der Zukunft?
1. Ein Großteil unserer Arbeit ist Vorarbeit
Fragestellungsentwicklung: Die Zeit von Wissensmanagementsystemen, die auf Labeln, Indizieren, Ablegen und Findbarmachen von Wissen basieren, ist vorbei. Die Fähigkeit von KI-Modellen, riesige Daten-, aber auch Text- und Bildmengen in kürzester Zeit zu erfassen, ermöglicht es Unternehmen, eigene Wissensbestände effizient nach konkreten Antworten zu durchsuchen. Unternehmen können heute bereits Modelle auf eigenen Datenbanken trainieren und Wissen so nicht nur suchbar, sondern dialogfähig machen. Und das Ganze bleibt unternehmensintern: der Markt der KI-Enterprise-Lösungen entwickelt sich mit derselben Geschwindigkeit wie alles andere in der KI-Welt.
Die Häufigkeit gestellter Forschungsfragen wird sich aus diesem Grund ändern:
Eigene Datenbestände können durch KI dynamisch und interaktiv auf neue Kontexte angewendet werden.
Know-what-you know in einer neuen Dimension, ein wichtiger Punkt in unserer Aufzählung. Wir sind jetzt in der Ära, in der es auf Zugang zu Daten und somit zu Trainingsmöglichkeiten für Modelle ankommt. Unternehmen können sich bereits heute großer Open Source-Sprachmodelle bedienen, zum Beispiel Llama 2 von Meta, Claude 2 von Anthropic, MPT-7B von der MosaicML Stiftung und sie mit eigenen Daten trainieren.
Recherche: Die klassische desk research wird zu einem neuen Erlebnis: mit dem Internet verbundene Modelle wie zum Beispiel BARD, perplexity.ai, Bing Chat und so weiter stellen schneller und präziser ganze Literaturlisten zusammen, auch direkt mit Bezug zu eigenem Kontext. Die Fähigkeit, Informationen miteinander in den Zusammenhang zu bringen, erzeugt ein völlig neues Rechercheerlebnis. Sucht man zum Beispiel nach Konkurrenzprodukten in einem bestimmten Segment, kann man mit KI diese Produkte auch direkt auf beliebig vielen Parametern mit dem eigenen Angebot vergleich lassen.
Allein die beiden Faktoren "Dialogfähigmachen von eigenen Daten" und "KI-Recherche" werden viele klassische Forschungsfragen obsolet machen.
Institute waren bisher die Sparringspartner ihrer Kunden. KI wird problemlos diese Aufgabe übernehmen als Sparringspartner – die Fachwelt spricht von Co-Piloten – bei der Formulierung präziser Forschungsfragen und Hypothesen dienen.
Eine bisher klassische Aufgabe für Marktforschungsdienstleister verschiebt sich in Richtung Unternehmen.
Erstellung von Fragebögen: Auf Basis eines guten, auch komplexen Briefings schlagen moderne KI-Tools Fragenkataloge vor und strukturieren sie. Sie können auf eigenen Fragebögen (‚Libraries‘) trainiert und dadurch immer besser werden. KI-Tools werden Fragebögen entwerfen, die weit in Richtung feldfertig reichen. Inklusive einer kleinen App – sozusagen als Nebenprodukt – für den mobilen Teil der Stichprobe.
2. Sampling und synthetische Daten
Die Möglichkeiten KI-gesteuerter Stichprobenziehung und auch der Erzeugung synthetischer Daten wird Realität. Der Einsatz synthetischer Daten in der Marktforschung steckt noch in den Kinderschuhen, aber es gibt bereits vielversprechende Ansätze. Firmen (aka Start-ups) entwickeln und optimieren Modelle speziell für Marktforschungsanwendungen. Sie könnten traditionelles Sampling revolutionieren und völlig neue Perspektiven eröffnen.
a) Eine besondere Rolle wird Datenauswertung spielen. Sie wird schneller, dabei tiefer gehen und ist zudem nicht auf vorstrukturierte Datensätze angewiesen: KI analysiert Daten in Echtzeit und erkennt darin Muster, die für menschliche Analysten schwer und/ oder mit hohem Zeitaufwand zu identifizieren wären.
Das betrifft auch und gerade Segmentierungen, welche wir hier als Beispiel anführen: tiefergehende Analysen durch KI-basierte Auswertung von Daten aus verschiedenen Quellen zur Erstellung eines sehr viel detaillierteren Profils, welches zudem dynamisch sein wird und sich verändernde Präferenzen einbaut, d.h. prognostiziert.
Es geht auch um Kaufverhalten, Online-Suchverhalten, Social-Media-Interaktionen und viele andere Datenpunkte in Segmenten und in Mikrosegmenten heute und in Zukunft mit einem Erkenntnisgewinn, der weit über traditionelle Auswertungen hinausgeht und sehr viel prognostischer sein wird und dabei wesentlich einfacher umzusetzen. ChatGPT Plus mit Advanced Data Analytics ist noch nicht ausgereift und derzeit nur sinnvoll einsetzbar für eine erste, schnelle explorative Analyse. Das Tool wird aber vielen Unternehmen, die keine Inhouse Daten Analysten haben, neue Möglichkeiten eröffnen.
b) Die KI-gestützte Textanalyse als solche ist relativ weit fortgeschritten. Es gibt sie und sie liefert schnelle und genaue Auswertungen sowohl quantitativer als auch qualitativer Daten / Verbatims. KI-Textanalyse kombiniert mit fortschrittlichen statistischen und Data-Mining-Methoden wird die nächste Stufe sein und noch weiter gehen als bisher. Unternehmen wie Caplena sind erfolgreich am Markt.
c) Qualitätssicherung: KI wird auch implausible Strukturen im (Roh-)Datenmaterial identifizieren. Straightliner, Doppler und andere Befragungsteilnehmer mit unbrauchbaren Antwortprofilen werden es in Zukunft sehr schwer haben, Datensätze und somit Ergebnisse zu beeinträchtigen. Neue Anbieter etablieren sich auch hier mit genau diesem Ziel .
d) Die klassische PowerPoint Präsentation wird uns sicher noch lange erhalten bleiben, besonders weil Microsoft eine milliardenschwere Partnerschaft mit openai eingegangen ist und GPT & Co in alle Produkte als KI-Copiloten integriert. Die Zeiten, in denen motivierte Junior-Forscher PowerPoint manuell mit Daten befüllen müssen, neigen sich dem Ende zu und Möglichkeiten der Visualisierung unserer Arbeit – ein Dauerthema in der Marktforschung – erfährt ebenfalls einen gewaltigen Schub.
Was bleibt dem Marktforscher?
Noch einmal Herbert Höckel, dessen Fazit wir gerne teilen:
KI macht uns eindeutig besser. Und zwar in allen Prozessen rund um unsere Produkte.
Keiner wird sich den Vorteilen verschließen können, keiner kann gegen bessere Fragebögen, tiefergehende, schnellere und auch kostengünstigere Auswertungen und gegen höhere Qualität argumentieren.
Marktforscherinnen und Marktforscher mit all ihren Kenntnissen werden dennoch gebraucht. Das Arbeitsfeld mag sich ändern:
- Training und Anpassung von KI-Tools als eine seiner wichtigsten Aufgaben in Zukunft. Anwendungen wissen erst einmal nichts. Die Qualität des Anlernens steuert die Qualität des Ergebnisses.
- Diese Tools sind dann zu führen: kein KI-Tool wird alleine laufen. Sie brauchen ihrerseits den Marktforscher als Sparringspartner.
- Die vornehmste Aufgabe wird die Prüfung und letztendliche Interpretation der gewonnenen Erkenntnisse sein und bleiben. Auch und gerade im Hinblick auf ihre sinnvolle Anwendbarkeit, bei der KI sicherlich ebenfalls und wiederum unterstützen kann.
Der Marktforscher wird Teil einer hybrid-digitaler Arbeitsweise sein und – wenn er seinen Job gut macht – bleibt er im Spiel. Wenn es gut läuft, wird Freiraum gewonnen, der anderweitig und gewinnbringend/er genutzt werden kann. Ob die Job-Description dann Research-Prompt-Architekt heißen wird, bliebe abzuwarten.
Fazit
Alle sind gut beraten, sich mit KI nicht nur theoretisch zu befassen, sondern sie ganz praktisch direkt einzusetzen. Idealerweise auf Basis einer gemeinsamen KI-Policy mit Commitment für KI, die gleichzeitig den Rahmen absteckt und auch definiert, wo KI nicht zum Einsatz kommen soll.
Tools zu erkunden und sie hinsichtlich ihres wertschöpfenden Beitrags zu prüfen als erster Schritt. Alles weitere wird sich ergeben.
Gerade für kleine Unternehmen sehen wir sehr große Chancen. nuggets hat sich früh als gesamtes Team dazu entschlossen. Als Sparringpartner nehmen wir KI-Anwendungen gerne an und freuen uns auf die Zukunft mit ihnen. Wir freuen uns auch darauf, dass unsere Branche neuen Schub bekommt und Menschen – tatkräftig durch KI unterstützt – größere Freiräume für weitere Aufgaben und weiteren Mehrwert zu gewinnen. Es geht los.
Über die Personen
Christoph Kwiatkowski war die ersten zehn Jahre seines Berufslebens in der Marktforschung tätig: Ipsos, Kantar und zuletzt als Head of Sales bei quantilope. Jetzt ist er Unternehmensberater, Coach und Trainer und hat vorderwelle.ai gegründet, eine KI-Beratungsagentur, die Menschen und Unternehmen dabei hilft, die besten KI-Werkzeuge zu testen und in die eigene Arbeit zu integrieren.
Thomas Schäfer, Geschäftsführer der nuggets – research & digital, ist seit über 30 Jahren als Marktforscher in zahlreichen Branchen tätig. Er befasst sich viel mit neuen, d. h. digitalen Ansätzen mit dem Ziel, diese dort anzuwenden, wo sie sich eignen. Darüber hinaus ist er Lehrbeauftragter an den Hochschulen Fresenius und Macromedia.
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