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Jörg Höhner: "Die Naturgesetze der Branche werden sich tiefgreifend verändern."

Jörg Höhner (SPA Future Thinking)
Jörg Höhner verantwortet in der Position des Senior Vice President - Global Head of Automotive weltweit die Entwicklung und weitere Etablierung der Automobilforschung bei SPA Future Thinking. Im Interview mit marktforschung.de erläutert er die geplante internationale Expansion im Bereich Automotive.
marktforschung.de: Herr Höhner, nach Jahren beruflicher Tätigkeit bei international renommierten Marktforschungsinstituten haben Sie Anfang Februar die neu geschaffene Position des Senior Vice President – Global Head of Automotive beim noch jungen Unternehmen SPA Future Thinking übernommen. Wie kam es zu diesem Wechsel?
Jörg Höhner: Das Unternehmen war mir nicht unbekannt, sondern im Rahmen meiner vorherigen Tätigkeit als Wettbewerber ein Begriff. SPA Future Thinking bzw. eines der 2011 akquirierten Unternehmen - Maven Research - zählt in Großbritannien zu den führenden Anbietern von CEM (Customer Experience Management) für die Automobilindustrie mit langjährigen und erfolgreichen Kundenbeziehungen, einem exzellenten Team und innovativen Produkten.
Es gab schon vor längerer Zeit Kontakte zum Management des Unternehmens und ich habe dann Ende 2011 mit dem CEO und den Gesellschaftern intensiv die Möglichkeiten einer globalen Expansion des Bereiches Automobil besprochen. Dies war dann genau der entscheidende Reiz für mich: Mit einer starken Basis im Heimatmarkt Großbritannien das Geschäftsfeld international voranzutreiben. Dabei haben wir einen klaren Fokus auf Automobilkunden in Europa, Asien und Nordamerika und die Bereiche CEM, Innovation, Shopper Insights und Advanced Analytics.
Letztendlich ausschlaggebend für unsere Entscheidung war dann die Einschätzung, dass das Unternehmen hervorragend auf die zukünftigen Herausforderungen der Marktforschungsbranche und die Anforderungen der Automobilbranche vorbereitet - und auch entsprechend aufgestellt ist.
marktforschung.de: Worin werden in den nächsten Monaten Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen?
Jörg Höhner: In den ersten Wochen meiner Tätigkeit habe ich eine intensive Bestandsaufnahme vorgenommen, sowohl intern als auch extern. Ich habe mir sehr genau angeschaut, welche Lösungen wir unseren Kunden heute liefern und wo möglicherweise Verbesserungspotenziale bestehen. Ich war viel unterwegs, sowohl bei unseren aktuellen Kunden als auch bei potenziellen Neukunden vor Ort, und habe dabei umfassende Gespräche über deren Anforderungen in der Zukunft geführt. Insgesamt habe ich eine sehr positive Resonanz wahrgenommen und bin sehr zuversichtlich hinsichtlich der zukünftigen Geschäftsentwicklung.
Ich werde mich in der kommenden Zeit gezielt um die Ausarbeitung und Umsetzung der Vertriebs-, Kommunikations- und Produktstrategie kümmern. Ein Schwerpunkt liegt dabei darauf, die Bekanntheit des Unternehmens in der Automobilindustrie – vor allem außerhalb Großbritanniens und außerhalb Europas - zu erhöhen und das Profil unseres Angebotes für diesen Sektor zu schärfen. Wir haben bereits einige unternehmensweite Lösungen für den Automobilsektor adaptiert und erfolgreich eingeführt. Im Laufe des Jahres planen wir weitere Einführungen von neuen interessanten Tools. Zum Beispiel auf die Bedürfnisse der Autoindustrie, und hier haben wir insbesondere die Autohändler vor Ort im Fokus, zugeschnittene Ansätze im Bereich Customer Feedback. Dabei werden vor allem Aspekte wie Integration von unterschiedlichen Datenquellen, Textanalyse, Data Mining, Beschwerdemanagement und Social Media eine wichtige Rolle spielen.
marktforschung.de: Mit Ihrem Einstieg bei SPA Future Thinking hat das Unternehmen die erste deutsche Niederlassung eröffnet. Was hat SPA veranlasst, dies gerade zum jetzigen Zeitpunkt zu tun?
Jörg Höhner: Tatsächlich ist und war die Eröffnung einer Niederlassung in Deutschland mit entsprechenden operativen Kapazitäten nicht Bestandteil der Wachstumspläne von SPA Future Thinking. Wie bereits angesprochen, planen wir - basierend auf einer hervorragenden Ausgangslage in Großbritannien - die internationale Expansion des Bereiches Automotive. Das eigentliche Interesse des Unternehmens lag in meiner Expertise im Bereich der Automobilforschung und meinen Erfahrungen mit lokalen, regionalen und globalen Kunden in diesem Sektor. Und da mein Lebensmittelpunkt - neben dem Büro in Großbritannien - weiterhin in der schönsten Stadt der Welt bleiben sollte, lag es relativ nah, dass wir uns entschlossen haben, hier in Hamburg ein Büro quasi als Plattform für die weitere Expansion zu eröffnen.
Zudem spielte natürlich auch die geografische Nähe zu Kunden aus der Branche eine Rolle. Wir werden entsprechend den zukünftigen Kundenanforderungen in Deutschland und anderen kundennahen und branchenrelevanten Standorten Funktionen wie Account Management, Vertrieb und Kundenservice ansiedeln, aber es gibt keine Planungen, hier zum Beispiel Kapazitäten zur Datenerhebung oder Datenverarbeitung aufzubauen.
marktforschung.de: Der Markt ist – sowohl national als auch international – hart umkämpft. Worin sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen und wie wollen Sie diesen begegnen?
Jörg Höhner: Das Spannende im Moment ist, dass durch die technologischen Umwälzungen die Zeichen in unserer Branche auf grundlegender Veränderung stehen. Diese technologischen Veränderungen werden kurzfristig oftmals zu positiv gesehen, #break# langfristig werden die Folgen gerne unterschätzt. Die Marktforschung als bisher primärer Lieferant von Daten über das Konsumentenverhalten und Konsumenteneinstellungen wird ihren Platz in einer künftigen "Daten- und Informationswelt" finden müssen. Natürlich wird es weiterhin zum Beispiel Befragungen geben, aber die Naturgesetze der Branche werden sich tiefgreifend verändern.
Seien es das Übermaß an Konsumentendaten aus verschiedensten Quellen, der tiefgreifende Wandel der Kundenanforderungen hin zu vorausschauenden Erkenntnissen, die Konvergenz des Marktes durch den Eintritt neuer Wettbewerber aus anderen Bereichen, neuartige Verfahren und Applikationen zur Beobachtung des Verhaltens von Konsumenten, neue Wege der Verarbeitung von großen Datenmengen, die Beteiligung von Konsumenten bei der Produktentwicklung usw. – um nur einige Punkte zu nennen. Alle wesentlichen Trends werden zu einer Veränderung und möglicherweise Neuordnung des Marktes führen. Ich kann hier natürlich nicht für alle sprechen, aber jedes Unternehmen in unserer Branche muss sich daher kritisch mit der Frage nach der eigenen Rolle auseinandersetzen.
In der Automobilindustrie zum Beispiel werden sich die Datenmenge und die Informationen über Kunden explosionsartig erhöhen. Bisher waren die Hersteller bzw. die Händler unregelmäßig in Kontakt mit ihren Kunden, z.B. in der Kaufphase, bei Garantiefällen, bei Werkstattbesuchen, usw. Durch die Vernetzung des Autos, mobile Anwendungen, integrierte Kommunikation, Social Media, internetbasierte Mobilitätsdienstleistungen usw. stehen den Herstellern zukünftig eine Flut an Informationen über den Kunden zur Verfügung, die ein vollständig neues Verständnis des Kundenverhaltens und der Kundenbedürfnisse ermöglichen, wie auch gänzlich neuer Sichtweisen bedürfen.
Ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil wird darin liegen, die großen Mengen an strukturierten und unstrukturierten Daten aus zahlreichen Quellen zielgerichtet zu sammeln, zu verarbeiten, integriert zu analysieren, und entsprechend in strategische und operative Entscheidungen einfließen zu lassen. Und genau hier setzen wir an. So umfassen unsere Lösungen im Bereich Customer Experience Management beispielsweise die Integration von verschiedenen Datenquellen (z.B. CRM-Daten, Transaktionsdaten, strukturiertes und unstrukturiertes Feedback, operative Daten, Social Media usw.) neben den reinen Befragungsdaten sowie Verfahren des Data Mining und Data Modelling.
Auch die Themen mobiles Internet und Internet der Dinge werden meiner Meinung nach immer noch unterschätzt. Wir haben zum Beispiel mobile Applikationen entwickelt und eingeführt, mit denen das Verhalten von Konsumenten in Echtzeit, z.B. bei der Nutzung eines Autos oder in der Kaufphase, in Form von Videos, Fotos, Sprache, Textnachrichten, Geotagging, Internetnutzung, Scans, Blogs, usw. aufgezeichnet wird. Die Erkenntnisse, die wir daraus gewinnen können, bieten unseren Kunden einzigartige Einblicke in das Leben der Konsumenten und somit eine noch klarere Basis für ihre Unternehmensentscheidungen.
marktforschung.de: Die Automotive-Branche stand stets im Fokus Ihres beruflichen Werdeganges. Wie kam es zu dieser Spezialisierung?
Jörg Höhner: Ich war eigentlich kein Autofreak im technischen Sinne, vielmehr war das mehr oder weniger Zufall. In meiner allerersten Position nach dem Studium wurde ich mit dem Aufbau und der Leitung eines CATI-Studios beauftragt. Damals, vor fast 20 Jahren, noch eine sehr neuartige Methode der Datenerhebung. Einer der ersten Aufträge war dann eine Trackingstudie für einen Automobilhersteller, woraus sich der Bedarf für eine eigenständige Abteilung ergeben hat, die ich übernommen und erfolgreich aufgebaut habe. Vielleicht wäre ich heute für eine ganz andere Branche tätig, wenn damals der Kunde zum Beispiel eine Bank oder ein Telekommunikationsanbieter gewesen wäre. Da mich diese Branche mit ihren Strukturen und Besonderheiten jedoch von Anfang begeistert hat, bin ich ihr weitgehend mit einigen Ausnahmen bis heute treu geblieben. Heute bin ich in der Tat ganz und gar ein Autonarr im positiven Sinne.
marktforschung.de: Wie würden Sie die Besonderheiten der Automobil-Branche und der "Forschungstätigkeit" dafür beschreiben?
Jörg Höhner: Die Automobilindustrie muss sich nach dem Überwinden der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise in den kommenden Jahren einer Vielzahl von neuen Herausforderungen stellen. Überkapazitäten müssen an eine nur moderat wachsende Nachfrage in den Industrieländern angepasst werden, massive Investitionen in neue Antriebstechnologien müssen getätigt werden um der Schonung natürlicher Ressourcen gerecht zu werden, veränderten Kundenanforderungen muss durch neuartige Konzepte der integrierten Mobilität begegnet werden, die Verkehrsprobleme in immer schneller wachsenden Megacitys müssen gelöst werden, die Präsenz in Wachstumsmärkten muss durch lokal zugeschnittene Produkte und Services ausgebaut werden, der Vertrieb und Service von Fahrzeugen muss den veränderten Gegebenheiten angepasst werden, neue Kommunikations- und Informationstechnologien im Fahrzeug müssen integriert werden. Die Aufzählung könnte ich noch weiter fortführen.
Die Marktforschung muss diesen zum Teil fundamentalen Chancen und Risiken sowie den unterschiedlichen Anforderungen der einzelnen Marktteilnehmer - Hersteller, Zulieferer, Handel, Dienstleistungen, usw. - Rechnung tragen. Wir müssen also Antworten auf die kritischen Fragen unserer Kunden finden. Dabei stehen im Moment die Themen Innovation, Kundenbedürfnisse und Kundenbindung ganz oben auf der Agenda unserer Kunden. Was sind die Anforderungen an das Auto von morgen? Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus?
Mehr allgemein gesprochen unterscheidet sich die Forschungstätigkeit für die Automobilindustrie nicht gravierend von anderen Branchen. Es gibt vielleicht einige Kennzeichen, die eher typisch für diesen Sektor sind. Die Mehrheit der Projekte ist international, teilweise und zunehmend auch global. Die Budgets sind sehr fokussiert auf drei Bereiche: Kundenzufriedenheit, Neuproduktentwicklung und Marke/Kommunikation. Es gibt zahlreiche Syndikatsangebote am Markt. Es gibt eine Vielzahl an Sekundärdaten, die in Untersuchungsansätzen integriert werden.
marktforschung.de: SPA Future Thinking hat Büros in Großbritannien, Frankreich, Italien sowie jetzt auch in Deutschland und ist mit einem Umsatz von rund 25 Millionen Euro bereits einer der größten unabhängigen Marktforschungsdienstleister in Europa. Gibt es weitere Expansionspläne – sowohl international als auch am Standort Deutschland?
Jörg Höhner: Im Moment ist unsere Präsenz außerhalb Großbritanniens noch relativ gering. Die Eröffnung von Niederlassungen in Frankreich, in Italien und jetzt in Deutschland mit Vertriebs- und Kundenservicefunktionen folgte immer den Wünschen unserer Kunden bzw. den Anforderungen einer bestimmten Branche, wie jetzt im Fall der Automobilindustrie, und natürlich dem veränderten Einkaufsverhalten der Kunden. In der Gruppe liegt der Anteil des Umsatzes außerhalb des Heimatmarktes noch bei ca. 20 %, wir gehen jedoch davon aus, dass sich dieser Anteil in Zukunft signifikant erhöhen wird. Wie bereits gesagt, wir folgen unseren Hauptkunden in unseren Kernsektoren.
SPA Future Thinking ist zudem Mitglied von IRIS, dem größten Netzwerk von unabhängigen Marktforschungsinstituten weltweit mit Partnern in 31 Ländern in Europa, Asien-Pazifik, Nord- und Südamerika. Wir arbeiten sehr eng und hervorragend mit unseren Partnern in den einzelnen Märkten bei internationalen Projekten zusammen, so auch mit unserem Partner Vocatus in München. Zum Beispiel haben wir vor kurzem eine globale Untersuchung in 28 Ländern in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern von IRIS abgeschlossen.
marktforschung.de: Herr Höhner, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
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