Jens Krüger und Richard Gehling: "In spätestens zwei Jahren werden wir nicht mehr über getrennte Ausrichtungen von quantitativer und qualitativer Forschung sprechen

Richard Gehling, Jens Krüger - TNS Infratest

Richard Gehling, Jens Krüger - TNS Infratest

Im Februar dieses Jahres haben TNS Infratest und Research International ihren Zusammenschluss bekannt gegeben. Zum Stand des Intergrationsprozesses und zur künftigen Ausrichtung des Unternehmens äußerten sich Jens Krüger, Managing Director und Leiter des Sektors Consumer & Retail bei TNS Infratest und Richard Gehling, Managing Director und Leiter der qualitativen Forschung bei TNS Infratest RI, im Interview mit marktforschung.de. Jens Krüger war vor dem Zusammenschluss Sales Director Consumer & Retail bei TNS Infratest, Richard Gehling war als Managing Director bei Research International tätig. Der Fusionsprozess beider Unternehmen, der Ende des Jahres abgeschlossen sein soll, ist auch ein Zusammenschluss von quantitativer und qualitativer Marktforschung.

marktforschung.de: Wie weit ist dieser Teil der Fusion denn fortgeschritten?

Jens Krüger: Die Integration der quantitativen und qualitativen Forschung als ein Teil der Fusion ist grundsätzlich kein einfaches Unterfangen. Nach dem Motto "Das Beste aus beiden Welten" haben wir immer die positiven Effekte des Zusammenschlusses in den Vordergrund gestellt. Dieser Prozess wurde von Beginn an mit einer äußerst offenen, konstruktiven Haltung geführt. Dafür mussten und müssen sich alle bewegen. Hinzu kommt, dass der Zeitpunkt für die Integration perfekt ist. Ein Institut wie TNS Infratest mit seinem quantitativen Schwerpunkt benötigt an dieser Stelle eine weiterführende Expertise. Man kann aus quantitativen Forschungsergebnissen zwar bestimmte Insights generieren. Aber es schließen sich dann in der Regel weitere Fragen an, die sich am besten mit qualitativen Methoden vertiefen und beantworten lassen. Insofern ist es nur logisch, dass wir der Integration der qualitativen Forschung im Steering Board die höchste Priorität eingeräumt haben.

Im Sektor Consumer & Retail, für den ich spreche, haben sich die Teams aus qualitativen und quantitativen Forschern bereits gefunden. Sie treten schon seit einigen Wochen gemeinsam bei verschiedenen Kunden im Rahmen von Jahresendgesprächen auf. Das ist in unseren Augen eine sehr positive Entwicklung.

marktforschung.de: Wie haben Ihre Kunden reagiert, die bisher mit Research International qualitativ geforscht haben, als sie hörten, dass RI jetzt Teil des großen Unternehmens TNS Infratest wird?

Richard Gehling: Sicher tauchte bei einigen, wenigen Kunden die Frage auf, ob diese besondere Expertise und die positiven Erfahrungen, die in den Jahren der Zusammenarbeit mit Research International aufgebaut wurden, in die neue Struktur einfließen. Diese Frage kann ich spätestens jetzt mit einem klaren Ja beantworten. Unsere neue ganzheitliche Struktur stellt einerseits sicher, dass das qualitative Kompetenzcenter weiter ausgebaut werden kann, andererseits aber durch eine stärkere Verzahnung mit der quantitativen Forschung von neuen Impulsen und Perspektiven profitiert. Das schafft nicht nur echten Mehrwert für unsere Kunden sondern auch eine motivierende Perspektive für unsere Mitarbeiter.

marktforschung.de: Wie passt eine qualitative Forschungsabteilung zu einem Marktforschungsinstitut, das in erster Linie quantitativ ausgerichtet ist? Wie schätzen Sie also die Entwicklungsmöglichkeiten der qualitativen Forschung bei TNS Infratest ein?

Richard Gehling: Entscheidend für die Integration der qualitativen Forschung war es, ein Modell zu finden, das es den einzelnen Forschern erlaubt, sich zu echten Experten in ihrer jeweiligen Disziplin zu entwickeln. Mit anderen Worten – qualitative und quantitative Forscher finden hier die Voraussetzungen, die Besten in ihrem Feld zu werden.

Aus diesen Überlegungen ist die Idee des qualitativen Kompetenzcenters entstanden. Es bietet einerseits das notwendige diskursive Umfeld für qualitative "state of the art"-Forschung und schafft gleichzeitig die notwendigen Schnittstellen zur quantitativen Forschung. Durch diese Art der Zusammenarbeit entstehen oft ganz überraschende Ideen und Erkenntnisse, von denen ja primär unsere Kunden profitieren sollen.

Vor diesem Hintergrund sind die Möglichkeiten der qualitativen Forschung bei TNS Infratest noch lange nicht ausgeschöpft. Ganz im Gegenteil - ich glaube, dass wir hier noch sehr viel Potential haben und durch die Integration zu den wenigen, großen Instituten gehören, die Kunden integrierte qualitative-quantitative Methodenexpertise aus einer Hand bieten können.

marktforschung.de: Noch einmal zurück zum Anfang: wie waren die ersten Begegnungen zwischen den "neuen" TNS und RI-Kollegen?

Jens Krüger: Die ersten Begegnungen der neuen Kollegen verliefen mit viel Respekt. Dazu muss man sagen, dass dies der X-te Merger für TNS ist, auch für mich persönlich. Die letzte Fusion haben wir mit TNS Emnid im Jahr 2005 erfahren.

Ich kann mich sehr lebhaft daran erinnern, wie vielversprechend unsere ersten Gespräche Anfang dieses Jahres verliefen. Mir wurde sehr schnell bewusst, hieraus kann man etwas Gemeinsames machen. Und das geht nur auf Augenhöhe. Deshalb war der Zusammenschluss zwischen TNS und RI auch nie eine Übernahme. Es stand und steht immer die gemeinsame Sache im Vordergrund. Und es geht nur in einem gemeinsamen Schritt, etwas neues Großes aufzubauen. Wir haben das Glück, dass wir schnell eine konstruktive Streitkultur entwickeln konnten. Schließlich treffen hier mindestens zwei unterschiedliche Unternehmenskulturen aufeinander. TNS und RI sind beides Unternehmen mit einer jahrzehntelangen Geschichte. Wir haben aber schnell die Erfahrung gemacht, dass unser Dialogmodell funktioniert. Und das schafft viel Vertrauen.

marktforschung.de: Man sagt, qualitative und quantitative Forscher hätten unterschiedliche Mentalitäten. Sind solche im Zuge der Fusion in Ihrem Haus aufeinander geprallt?

Jens Krüger: Das ist richtig, diese unterschiedlichen Grundcharaktere existieren. Aber genau in dieser Vielfalt sehe ich eine große Chance. Diese Varietät in allen Bereichen ist der Garant dafür, dass wir Dinge nicht als gesetzt hinnehmen. Wir werden uns auch gegenseitig hinterfragen. Ich bin davon überzeugt, dass es für unseren internen Innovationsprozess von Vorteil ist, wenn diese beiden Forschercharaktere von Zeit zu Zeit einmal aufeinander prallen. Perspektivenvielfalt ist keine Bedrohung, sie ist ein Privileg.

marktforschung.de: Integrierte Forschung ist mittlerweile ein geflügeltes Wort. Wie muss man sie sich ab jetzt bei TNS Infratest vorstellen?

Richard Gehling: Neben der Verzahnung von qualitativer und quantitativer Methodenexpertise legen wir in der neuen Struktur besonderen Wert auf eine stärkere Markt- und Kundenorientierung. Das klingt zunächst einmal einfach. Tatsächlich bedeutet es, dass wir die integrierte Methodenexpertise zusätzlich mit einer bestimmten Marktkompetenz koppeln. Konkret heißt das, dass die Methodenexperten auch über eine spezifische Markt- und Branchenkompetenz verfügen. Auf diese Weise wird eine wirklich ganzheitliche Betrachtungsweise möglich.

Das Ergebnis ist ein zunehmender Erkenntnisgewinn, ein Mehrwert, der mit der Formel 1+1=4 übersetzt werden könnte. Damit schaffen wir für unsere Kunden eine Wissensgrundlage für Wachstum. Und das bedeutet letztlich auch Wachstum für uns.

marktforschung.de: Research International hat unter anderem eine umfangreiche qualitative Forschungsexpertise in die Fusion eingebracht. Welche Vision haben Sie für die qualitative Forschung bei TNS Infratest und welche für die integrierte Forschung?

Richard Gehling: In spätestens zwei Jahren werden wir nicht mehr über getrennte Ausrichtungen von quantitativer und qualitativer Forschung sprechen. Diese künstliche Trennung ist dann hoffentlich aufgehoben. Insofern wird es keine getrennte Qual-/Quant-Vision geben. Im Moment wünsche ich mir vor allem, dass wir die neu entwickelte Struktur erfolgreich in die Praxis überführen. Geben Sie uns dafür noch etwas Zeit. Ich bin überzeugt, dass wir die richtigen Grundlagen gemeinsam entwickelt haben.

marktforschung.de: Gibt es neue Forschungsfelder oder Instrumente in Ihrem Haus, die durch die Integration der qualitativen Forschung für die Zukunft geplant sind?

Jens Krüger: Die größte Bewegung ist momentan in der digitalen Forschung zu beobachten. Auch hier nimmt die Bedeutung der Verknüpfung von qualitativer und quantitativer Forschung zu. Genau das spiegelt sich intern bei TNS wider in unserem New Interactive Center (NICe). Dort werden innovative Ansätze der Marktforschung entwickelt, die die TNS-Forschungseinheiten bei deren Umsetzung unterstützen. Hier werden beispielsweise Web 2.0 orientierte Verfahren mithilfe von Crowdsourcing und Co-Creation oder Online Communities eingesetzt.

Aber nicht nur in der digitalen Welt verzahnen wir quantitative und qualitative Forschung miteinander. In nahezu allen Forschungsfeldern, in denen wir uns bewegen, werden schon heute Methoden und Instrumente eingesetzt, die in sich integriert sind. Die Beispiele dafür sind vielfältig. Dabei gibt uns die neu gewonnene qualitative Expertise die Chance, die Fragestellungen unserer Kunden noch umfassender zu durchdringen.

Konkret trifft dies beispielsweise für den großen Bereich "Brand & Communications" zu. Wir werden diese Entwicklung weiter forcieren, um dem Markt von heute und von morgen gerecht zu werden. Besonders am Herzen liegt uns auch das Thema Media-Effizienz, das in den nächsten Jahren stark an Bedeutung gewinnen wird. Das Tracking-Geschäft, in dem RI in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich war, werden wir ebenfalls weiterführen. 

Auch im Shopper Research spielt die integrierte Forschung eine große Rolle. Schon bei der Generierung von Shopper Insights sind qualitative Methoden entscheidend, um die Bedürfnisse und Motivationen von Shoppern in der Tiefe zu explorieren. Analog zur Innovation Journey begleiten wir den Kreativprozess bei der Entwicklung von POS-Konzepten mithilfe des Tools Super GroupTM.

Die gesamte Innovationsforschung ist sicher der Bereich, in dem die Integration von qualitativen und quantitativen Forschungselementen am weitesten fortgeschritten ist. Die Innovation Journey ist ein plastisches Beispiel dafür. Von der Generierung erster Insights über die Ideenkreation für neue Produkte bis zum Monitoring nach Markteinführung ist jeder Phase ein passendes qualitatives oder quantitatives Instrument zugeordnet. Eine Besonderheit dieser Reise ist, dass sie die Perspektiven kreativer Konsumenten fest in den Prozess integriert. Denn diese Konsumenten wissen genau, was sie später gern kaufen würden.

Diese Liste der Expertisen ließe sich weiter fortsetzen. Wir nehmen das große Feld der integrierten Marktforschung sehr ernst. Lassen Sie uns bitte in einem Jahr darüber sprechen, was wir in die Tat umsetzen konnten, und was Sie an Neuem von uns erwarten können.

marktforschung.de: Herr Krüger, Herr Gehling, vielen Dank für das Gespräch!

 

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