Interview mit Edith Franczok (Harris Interactive)

Der Pharmamarkt befindet sich im Umbruch. Digitalisierung, verändertes Verschreibungsverhalten von Ärzten, gestiegene Mitbestimmungsansprüche der Patienten, neue Gesetze und Reformen. Harris Interactive hat seit fast einem halben Jahrhundert Erfahrung in dieser Branche. marktforschung.de sprach mit Edith Franczok, Associate Director Healthcare bei Harris Interactive in München, über Marktchancen, Trends und ein neues Ärztepanel.
marktforschung.dossier: Die Pharmabranche tickt anders als andere Branchen. Viele Marktforschungsansätze sind nicht übertragbar. Warum?
Edith Franczok: Die Zielgruppen sind kleiner und schwer zu erreichen. Ärzte sind zum Beispiel keine Zielgruppe im klassischen Sinne. Die Mediziner kaufen die Produkte nicht, sondern sind nur Vermittler. Wir unterscheiden hier zwischen zwei Märkten; dem sogenannten ethischen Bereich, also dem der verschreibungspflichtigen Medikamente und dem OTC-Bereich (Over-The-Counter), dem Apothekengeschäft.
marktforschung.dossier: Was bedeutet das für das Marketing?
Edith Franczok: Im ethischen Bereich gelten für das Marketing wesentlich strengere und kompliziertere Regeln. So haben wir hier die Problemstellung des Direktmarketings. Endverbraucher ist natürlich der Patient, aber das Produkt wird über den Arzt verschrieben. Somit muss das Pharmaunternehmen gezielt den Arzt ansprechen. Dies geschieht primär über den Außendienst.
marktforschung.dossier: Wo kann das Marketing am besten ansetzen?
Edith Franczok: Ein neues Produkt in den Markt einzuführen ist eine sehr langwierige Sache. Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten dauert es oft mehrere Jahre. Deswegen ist es bei den verschreibungspflichtigen Medikamenten besonders wichtig, einen Schwerpunkt auf die sogenannte "Prä-Launchphase" zu legen. Genau hier setzen wir von Harris Interactive mit unseren Studien an.
marktforschung.dossier: Können Sie das noch etwas ausführen?
Edith Franczok: Fehler in der Kommunikation und im Targeting neuer Medikamente sind folgenschwer, meist auch teuer und schwer wieder zu korrigieren. Wir versuchen über sogenannte U&A (usage & attitude) Studien, TPP Testing, Wettbewerbs- und Marktanalysen, den Kunden auf den neuen Markt vorzubereiten. Oft führen wir mehrstufige Studien durch, die den Markt, einzelne Verschreibungsprozesse, Arzt und Patienten beleuchten. Diese Informationen und Daten fügen wir zu einem Gesamtbild zusammen, um den Kunden für den Launch zu beraten und auch hilfreiche Informationen für die Zulassung zu geben. Denn hier spielen nicht nur die Wirkung des Medikaments eine Rolle, sondern auch dessen Zusatznutzen.
marktforschung.dossier: Welche Bedeutung haben das Internet und Social Media für die Pharma-Marktforschung?
Edith Franczok: Wir haben erst einmal untersucht, welche Rolle diese Kommunikationsmittel für Ärzte und Patienten spielen, wie sie von ihnen genutzt werden und sind zu interessanten Ergebnissen gekommen. Patienten tauschen sich mittlerweile sehr rege im Internet aus. Mitunter ist dieser vor dem Arztbesuch so "gut" informiert, dass er mit dem Arzt die Medikamentenwahl diskutieren kann. Dies hat zur Folge, dass das oben genannte Problem des Direktmarketings sich vergrößert zu einer nicht beeinflussbaren Informationsquelle innerhalb der digitalen Medien, wo Patienten teilweise falsche Informationen erhalten.
marktforschung.dossier: Das Image von Ärzten hat durch die jüngsten Korruptionsskandale gelitten. Sind derartige Ereignisse auch Gegenstand von Marktforschung?
Edith Franczok: Als Marktforschungsinstitut greifen wir auch immer wieder aktuelle Themen auf und führen eigene Marktbefragungen durch. So haben wir genau dazu im letzten Jahr eine Umfrage durchgeführt, in der es konkret um die Meinungen der Ärzte zu "Geschenken" seitens der Pharma-Unternehmen ging. Zwei von drei Ärzten begrüßen das Geschenke-Urteil des BGH – aber auch fast jeder dritte Arzt fürchtet den Vorwurf der Bestechlichkeit und ist für ein Verbot.
marktforschung.dossier: Hat sich die Pharma-Marktforschung innerhalb der letzten Jahre verändert?
Edith Franczok: Ganz eindeutig. Und der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Im Pharma- und Healthcarebereich wird die Online-Forschung weiter wachsen. Patienten nehmen einen immer größeren Einfluss auf ihre Behandlung. Nicht allein aufgrund der digitalen Medien, sondern weil das Bewusstsein für die Behandlung generell größer geworden ist. Alternative Marketingstrategien müssen entwickelt werden. Dazu ist eine moderne Marktforschung nötig, die das Verhalten der Marktteilnehmer akkurat abbildet.
So ist es wichtig, auch die Erfahrungen und Wünsche des Patienten zu sehen und zu verstehen. Mit unseren "Patient Journey Studien" können unsere Kunden den Patienten kostengünstig über unser Online-Patienten-Panel näher kommen. Die Studien benennen die Haupteinflussfaktoren, die bei der Verschreibung der Produkte eine Rolle spielen.
marktforschung.dossier: Letztendlich entscheidet doch der Arzt darüber, welches Medikament verschrieben wird, oder nicht?
Edith Franczok: Die zentrale Rolle spielt natürlich nach wie vor der Arzt: Er erstellt die Diagnose und entscheidet über die Therapie und das Medikament. Diese Entscheidung erfolgt aber nicht nur rein rational. Bei einer unserer jährlichen Syndicated-Studien "Ärztepuls" haben wir zum Beispiel untersucht, inwieweit Entscheidungen von Ärzten rational oder emotional geprägt sind. Diese und ähnliche Fragen wollen wir mit unserer Studie für verschiedene Indikationsbereiche beantworten.
marktforschung.dossier: Frau Franczok, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
Weitere Informationen zum Unternehmen auf marktforschung.de:

Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden