WDR-Fernsehdirektor und Wahlexperte Jörg Schönenborn "International werden die deutschen Institute bewundert für die Präzision ihrer Prognosen"

Noch geht WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn davon aus, dass er erst im Herbst 2018 wieder Prognosen und Hochrechnungen im Fernsehen präsentieren wird. Der Wahl-Experte der ARD ist aber jederzeit bereit, sollten die Jamaika-Verhandlungen ins Leere laufen oder ein Bundesland überraschend Neuwahlen verkünden. Wir haben uns mit ihm über seine Leidenschaft für die Meinungsforschung und über spannende Wahlabende unterhalten.

ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn (Bild: ARD Mediathek)
ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn (Bild: ARD Mediathek)

marktforschung.de: Herr Schönenborn, Sie haben es beim WDR zum Fernsehdirektor geschafft, aber die breite Öffentlichkeit kennt Sie vor allem als leidenschaftlichen Wahlmoderator. Bedauern Sie inzwischen, nicht in die Marktforschung gegangen zu sein?

Schönenborn: Nein, Journalismus ist etwas Großartiges. Mich hat immer die Frage beschäftigt, wie unser Land tickt und was die Gesellschaft zusammenhält. Wir als Öffentlich-Rechtliche haben da eine große Aufgabe. Und zum Glück den Freiraum, den man für gute Recherche und Berichterstattung braucht. Ich habe aber aus der Beschäftigung mit Wahl- und Meinungsforschung unendlich viel gelernt. Mit der richtigen Methodik kommt man zu Erkenntnissen, die der Journalismus allein nicht so schnell ans Licht bringt. Daraus sind über die Jahre viele Programmideen entstanden.

marktforschung.de: Wie werden Sie damit fertig, dass es das jetzt erst einmal mal war mit Wahlen und damit auch spannenden Auftritten im Wahlstudio. Denn die nächsten Landtagswahlen finden erst wieder im Herbst 2018 statt.

Schönenborn: Wir hatten fünf Wahlwochenenden in diesem Jahr. Das ist eine gute Dosis, davon kann sich das ganze Team jetzt erholen. Politisch gesehen tut eine Pause nach den jüngsten Ergebnissen gut. Denn die Parteien müssen ja erst mal verstehen und verdauen, was die Wählerinnen und Wähler mit ihnen gemacht haben. Politik wird sich verändern, durch Jamaika, durch die veränderte Rolle der SPD und durch die AfD im Bundestag. Das braucht Zeit, deshalb ist es gut, dass der Wahlkalender jetzt eine längere Lücke vorsieht. Aber wer weiß, Neuwahlen in irgendeinem Land kommen manchmal schneller als man denkt...

marktforschung.de: Hand aufs Herz: Wenn die Kollegen beim ZDF eine Hochrechnung bringen, die näher an der späteren Realität liegt – ärgert Sie das? Bekommen Sie das überhaupt mit?

Schönenborn: Ja, in meinem Tisch im Studio läuft immer ein Monitor mit mehreren Programmen. Und wenn ich um 18 Uhr die Prognose verkünde, vergleiche ich immer sofort mit dem ZDF. Das ist ein sportlicher Wettbewerb für unsere Statistiker und Sozialwissenschaftler, der übrigens am Ende zu mehr Qualität führt. International werden die deutschen Institute bewundert für die Präzision ihrer Prognosen. Mein persönlicher Ehrgeiz am Wahlabend liegt aber woanders: Ich möchte vor allem das Warum erklären, die Motive der Wählerinnen und Wähler. Politiker sind – vorsichtig gesprochen – nicht immer überzeugend darin, ihre Siege und Niederlagen selbst zu erklären. Deshalb liegt genau darin die journalistische Herausforderung.

marktforschung.de: Vielen Dank!

 

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