Interkulturelle Kommunikation in der Marktforschung

Susanne Kilian sammelte Erfahrung als UN-Dolmetscherin auf internationalem Parkett und ist heute als Kommunikationscoach tätig. (Bild: Kilian)

Susanne Kilian ist heute als Kommunikationscoach tätig. (Bild: Susanne Kilian)

Kommunikation ist anscheinend Glückssache – das gilt schon für viele Alltagssituationen. Noch mehr Glück muss wohl bei interkultureller Kommunikation vorhanden sein. marktforschung.de sprach mit Susanne Kilian, die als UN-Dolmetscherin Erfahrung auf internationalem Parkett sammelte, über die Herausforderungen dieser interkulturellen Kommunikation für die Marktforschung, ihre Lebensstationen im Rheinland, bei der UNO in New York und ihre heutige Tätigkeit als Kommunikationscoach.

Alles nahm seinen Anfang, als einer der Schullehrer von Susanne Kilian mit Vehemenz die Schuld der Deutschen im 3. Reich thematisierte, sodass sie bereits mit 14 Jahren den Entschluss fasste, später bei der UNO zu arbeiten. Wie sie selbst gegenüber marktforschung.de sagt, verband sie die Arbeit bei der UNO mit der aus heutiger Sicht etwas naiven Vorstellung von Völkerverständigung und Friedensarbeit. Mit großer Hartnäckigkeit verfolgte sie ihren Weg vom Rheinland nach New York und war schließlich tatsächlich 15 Jahre als UN-Dolmetscherin tätig.

Doch ihr fiel auf, dass das Dolmetschen bei der interkulturellen Kommunikation schnell an seine Grenzen stößt. So kann zum Beispiel ein Satz, der wortwörtlich in verschiedene Sprachen übertragen wird, inhaltlich völlig unterschiedlich ankommen, auch wenn er technisch korrekt übersetzt ist. "Esten, Finnen, Israelis und Deutsche kommunizieren völlig anders als zum Beispiel Engländer, Amerikaner oder Italiener", so Kilian. Der größte Unterschied sei, dass die Menschen aus erstgenannten Ländern sehr direkt und ohne große Umschweife auf den Punkt kämen, auch spielten in ihrer Kommunikation Emotionen keine große Rolle.  Während ihrer Tätigkeit bei der UNO bemerkte Susanne Kilian außerdem, dass Deutsche, die eine Rede vor der UNO-Vollversammlung auf Englisch hielten, nicht die gewünschte Resonanz bekamen. Ihre Reden waren zwar korrekt auf Englisch übersetzt worden, aber offensichtlich erreichten sie die  Anwesenden überhaupt nicht auf emotionaler Ebene. Susanne Kilian machte es sich schließlich zur Aufgabe, diese interkulturellen Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und entwickelte ein eigenes Sprachtraining "The English Code". Heute berät sie sowohl Politiker als auch Verantwortliche aus der Industrie, die ihre interkulturelle Kommunikation verbessern möchten.

Missverständnisse in der Marktforschung

Als Dolmetscherin von Fokusgruppen sammelte Susanne Kilian im Laufe ihres Lebens auch Erfahrungen in der Marktforschung. Instituten müsse von vornherein klar sein, dass zum Beispiel amerikanische Auftraggeber ganz anders kommunizieren würden als deutsche, betont sie gegenüber marktforschung.de. So erlebte sie, dass ein Amerikaner am Boden zerstört war, weil deutsche Marktforschungsteilnehmer ein Produkt als "gut" bewerteten. Sagt ein Amerikaner "good", so kommt dies einer kritischen Bewertung eines Produktes gleich. Denn gefällt einem Amerikaner etwas, wird er dies mit Worten wie "marvelous, fantastic, extraordinary" beschreiben – eine Art, die wiederum bei Deutschen als übertrieben überschwänglich ankommt.

In dem Zusammenhang sei wichtig zu wissen, dass Menschen mit einer Erwartungshaltung kommunizieren würden, erklärt sie weiter. "Diese Erwartungshaltung wird uns anerzogen, sie entspricht den kulturellen Normen des Landes, in dem wir aufwachsen. Wenn nun diese Erwartungshaltung nicht bedient wird, sind Menschen meist gar nicht mehr in der Lage rational die wirklich wichtigen Informationen aus dem Gesagten herauszufiltern. Sie reagieren einfach emotional auf das, was sie hören. Die Reaktion ist vergleichbar mit einer heftigen Auseinandersetzung, in der wir Dinge sagen, die wir eigentlich gar nicht sagen möchten – unser Gehirn sozusagen auf Stand-by läuft." Auf das Beispiel des Amerikaners bezogen, würde das bedeuten: Hätte man ihn vorgewarnt, dass seine Erwartungshaltung nicht erfüllt wird, hätte er die vermeintlich schlechten Beurteilungen von vornherein anders einordnen können. Die Situation im Nachhinein zu klären, sei allerdings wesentlich komplizierter und der schlechte Eindruck lasse sich wohl nicht mehr gänzlich aus der Welt schaffen.

There is no reason

Ein weiterer wichtiger Unterschied in der Kommunikation hat mit dem Grund zu tun: Gerade in Deutschland ist es Susanne Kilian zufolge üblich, dass man eine Entscheidung begründen muss. Schon in der Erziehung würden Kinder dazu aufgefordert, zu sagen, warum sie etwas haben oder nicht haben möchten, warum ihnen etwas gefällt oder nicht. Diese Art des Denkens spiele in anderen Ländern überhaupt keine Rolle. Susanne Kilian gibt ein Beispiel hierfür: "Ich begleitete einen Kunden für eine Marktforschung nach Japan. Nachdem ein Japaner während einer Befragung sagte, dass er für seine Entscheidung auf seinen Bauch gehört hätte, hakte der deutsche Interviewer nach und erkundigte sich noch einmal nach dem Grund. Für den Japaner war das Hinterfragen seiner Entscheidung eine wirkliche Beleidigung und ich bin in dem Moment richtiggehend erschrocken. Denn in Japan wird nun einmal aus dem Bauch heraus entschieden." Für Susanne Kilian ist dies ein gutes Beispiel dafür, dass sich Institute unbedingt mit den Gepflogenheiten vor Ort vertraut machen und ihre Mitarbeiter dementsprechend briefen müssen. Eine kleine Anmerkung macht sie hierzu noch am Rande:  Interessanterweise war die bisher erfolgreichste Werbekampagne in Japan ausgerechnet die Coca-Cola-Reklame mit dem Titel "No reason". Keine Begründung für eine Entscheidung braucht man aber wohl auch in Indien: Ein indischer Freund der Sprachenexpertin habe ihr einmal gesagt: "Ihr habt nur eine große Religion, den Grund."

Die Worte sorgsam wählen

Aber auch in der alltäglichen Kommunikation lasse sich rasch das Konfliktpotenzial interkultureller Kommunikation erkennen: Wer als Deutscher einen Anruf eines englischsprachigen Kunden entgegennimmt, der einfach nur wissen möchte, ob Kollege xy im Büro ist, dem liegt schnell der einfache Satz auf der Zunge: "Nein, er ist nicht da, Sie können ihn erst morgen wieder erreichen." Im Englischen wäre es aber sehr wichtig, nicht einfach nur nein zu sagen, sondern sich auf jeden Fall dafür zu entschuldigen, dass der Kollege nicht erreichbar ist und dass der Anruf ganz umsonst war.

Für Marktforschung heißt das aus Susanne Kilians Sicht, es müsse bei internationalen Projekten nicht nur überlegt werden, wie die Umgangsformen in dem jeweiligen Land sind, sondern essenziell sei die Überlegung, wie Fragen für das jeweilige Land passend formuliert werden könnten und welche Ergebnisse man bei Studien erreichen möchte. So könnten etwa Fragen, die Deutschen vielleicht etwas merkwürdig vorkämen, etwa in der Art: "Wie fühlten Sie sich, als Sie den Klebestreifen abrollten?", in anderen Ländern durchaus Sinn machen.

Im Übrigen werde selbst in Österreich und der Schweiz anders kommuniziert, obwohl man ja vermeintlich dieselbe Sprache spreche. In der Schweiz sei man zum Beispiel sehr auf Konsens bedacht. Dass Susanne Kilian mit ihrem Thema interkulturelle Kommunikation auf offene Ohren in der Marktforschungsbranche stößt, konnte die Dolmetscherin im September auf dem 1. MAFO-Card Forum erleben. Dort stellte sie ihren Vortrag unter das Motto "Interkulturelle Fallstricke bei internationalen Projekten" – und erhielt nicht nur die ungeteilte Aufmerksamkeit der Zuhörer, sondern auch zahlreiche Nachfragen im Anschluss an ihren Vortrag. So hat Susanne Kilian auf ihrem Weg vom Rheinland über New York und Asien ihre endgültige Bestimmung gefunden – damit Kommunikation eben nicht nur reine Glückssache bleibt.

dr

 

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