Dr. Sophie Karmasin: Von der Marktforschung in die Politik "In Deutschland wirkt die Diskussionskultur faktenbasierter, umfassender und nicht nur politischen Interessen geschuldet"

Dr. Sophie Karmasin ©Karmasin
marktforschung.de: Frau Karmasin, Sie waren von Ende 2013 bis Ende 2017 Familien- und Jugendministerin für die regierende ÖVP. Warum haben Sie sich entschlossen, Ihre politische Karriere zu beenden und wieder als Meinungsforscherin und Beraterin zu arbeiten?
Sophie Karmasin: Als ich mich als Unternehmerin und Motiv- und Meinungsforscherin für die Politik entschieden habe, war es mein Anliegen, Österreich ein Stück familienfreundlicher zu machen. Aus meinen eigenen Erfahrungen war es mir wichtig, die Kinderbetreuung auszubauen, Familienfreundlichkeit in Unternehmen zu verstärken und das Aufbrechen traditioneller Familien- und Frauenbilder zu ermöglichen. Dafür habe ich mich eingesetzt und mit viel Freude und Engagement vier Jahre für Familien in Österreich einiges erreicht. Viele Ziele konnten wir umsetzen: Österreich ist in dieser Zeit im EU Vergleich vom drittletzten Platz im Bereich Familienfreundlichkeit auf den zweiten Platz gestiegen. Mir war aber immer klar, dass ich keine Berufspolitikerin werde. Ich habe von Anfang an – auch öffentlich - gesagt, dass ich nur für eine Periode in der Politik bleiben werde. Mir war es auch wichtig zu zeigen, dass man als Unternehmerin und Forscherin eine Zeit lang in der Politik tätig sein und dann wieder in die Wirtschaft zurückkehren kann. Ich denke, beide Seite profitieren von einer höheren Durchlässigkeit.
marktforschung.de: Welche Erkenntnisse haben Sie während Ihrer Zeit als Ministerin gewonnen, die Sie für Ihre Tätigkeit in der Wirtschaft verwenden können?
Sophie Karmasin: Es eröffnen sich viele Einblicke, wie politische Entscheidungen wirklich getroffen werden und vor allem welche Spielregeln es in der Politik gibt. Das politische System ist im Vergleich zur Wirtschaft noch komplexer und vielschichtiger und vor allem schwer prognostizierbar und von außen durchschaubar. Es gilt, immer mehrere Ebenen zu beachten und zu überzeugen, die oft widersprüchliche Interessen haben. Die Spielregeln sind ganz andere als in der Wirtschaft. Aber beide Seiten können sehr gut voneinander lernen. Für meine aktuelle Tätigkeit habe ich einen umfassenderen strategischen und systemischen Blick auf Fragestellungen und gesellschaftliche Herausforderungen gewonnen.
Als Anwenderin von Forschung in der Politik habe ich erfahren, was – neben den klassischen Qualitätskriterien von Umfragen – die richtige Fragestellung und strategische Ausrichtung einer Studie ausmacht.
Im speziellen habe ich aber erkannt, dass eine nach außen und innen übereinstimmende Identität langfristig nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft entscheidend ist.
marktforschung.de: Als Sie das Ministeramt antraten, haben Sie eine stärker evidenzbasierte Politik angestrebt. So sagten Sie in einem Interview gegenüber marktforschung.de: "Grundlage für den neuen Politikansatz der Familienministerin sind wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie und Psychologie." In welchem Maße lässt sich ein solches Vorhaben in der politischen Realität tatsächlich umsetzen?
Sophie Karmasin: Faktengeleite politische Entscheidungen sind für mich die Grundlage für eine verantwortungsvolle Politik. Die politischen Programme, die ich entwickelt habe, waren immer in Zusammenarbeit mit WissenschaftlerInnen und auf Basis von Bevölkerungsumfragen aufgesetzt. Dabei waren die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie und Psychologie für mich besonders wertvoll. Begleitend habe ich einen Beirat mit renommierten Verhaltensökonomen eingerichtet. Wir haben verschiedene Gesetze und Kommunikationsmaßnahmen auf Basis von wissenschaftlichen Grundlagen entwickelt. So war etwa die Einführung der e-Schulbücher in Österreich oder die Kindergeldreform stark von diesem Beirat beeinflusst. Das war sehr hilfreich und bereichernd. Um die Fortschritte jährlich zu messen, haben wir zudem gemeinsam mit der Universität Wien einen Familienfreundlichkeitsmonitor entwickelt, der mittels relevanten Kennzahlen die Entwicklung der Familienfreundlichkeit gemessen hat.
marktforschung.de: In einem Interview haben Sie die politische Diskussionskultur in Deutschland als sehr fundiert gelobt. Was genau ist hier anders als in Österreich?
Sophie Karmasin: In Deutschland wirkt die Diskussionskultur faktenbasierter, umfassender und meist nicht nur politischen Interessen geschuldet.
In Österreich werden in den Medien viel zu wenig fundierte und tiefgehende Diskussionen geführt, es überwiegt meiner Meinung nach der parteipolitische Diskurs.
Gesetze werden mehr tagesaktuell gestaltet und weniger auf Basis eines breiten wissenschaftlichen und danach politischen Prozesses. Die Wissenschaft mischt sich zu wenig ein oder wird zu wenig gehört.
marktforschung.de: Im österreichischen Fernsehen liefern Sie Umfragen zum politischen Geschehen und analysieren die Auftritte der Interviewgäste. Worauf achten Sie dabei?
Sophie Karmasin: Ich beobachte jetzt nach meiner aktiven politischen Zeit ganz anders als vorher. Symbole, Floskeln oder Formulierungen kann ich nun besser einordnen. Oft ist ja das, was nicht gesagt wird, spannender als das Gesagte. Mich interessiert auch der persönliche Umgang der PolitikerInnen mit stressigen TV-Situationen, denn ich weiß, was für die eigene politische Arbeit bei einem Fernsehinterview auf dem Spiel steht. Ebenso ist das Interpretieren und Einordnen von Umfragen zu politischen Themen jetzt ganz anders möglich.
marktforschung.de: Sie haben mit Karmasin Research & Identity ein neues Unternehmen gegründet. Was ist der Kern Ihres Angebotes?
Sophie Karmasin: Karmasin Research&Identity bietet spezifische Methoden an, um unternehmerische Herausforderungen evidenzbasiert zu beantworten und in der Identität eines Unternehmens zu verankern: Die überzeugende Identität eines Unternehmens ist meiner Meinung nach die neue Währung in der Unternehmenssteuerung. Ich bin sicher, dass es enormes Potential zu heben gibt, wenn Kommunikation, Produkt und Handlungsprinzipien nach innen und außen übereinstimmen. Darum haben wir den der "Identity Check" auf Basis von verhaltensökonomischen Prinzipien entwickelt: Eine spezifische Befragungsmethode, die die interne und externe Perspektive auf ein Unternehmen, eine Marke oder ein Thema in Form von Workshops abbildet. Aufbauend darauf werden in einem spezifisch entwickeltem Workshop "Identity Thinking" Maßnahmen erarbeitet, die die interne und externe Perspektive verbinden. Ein zweiter Arbeitsschwerpunkt beschäftigt sich mit Methoden- und Umsetzungsberatung von Markt-Meinungs-Motivforschung. Marktforschung wird in seiner strategischen Bedeutung oft unterschätzt. Gerade heute, wo Umfragen gerne "do it yourself“, schnell und oberflächlich im Internet durchgeführt werden. Dabei könnten aussagekräftige und wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu Kundenbedürfnissen, zur Verarbeitung von Kommunikation oder der Entscheidungsarchitektur menschlichen Verhaltens den entscheidenden Wettbewerbsfaktor liefern. Nur die richtige Fragestellung und Marktforschungsmethode kann die Antworten liefern, die am Markt erfolgreich sind. Oft fehlt aber das Wissen und der Überblick über die aktuellsten Methoden. Und es wird sinnlos Geld für oberflächliche Studien ausgegeben. Oft bleiben Chancen am Markt ungenutzt, weil die falsche Frage falsch gestellt wurde, denn: Gesagt ist nicht gedacht, gemacht, gekauft oder gewählt. Karmasin Research&Identity berät außerdem bei allen Markt- und Motivforschungsfragen strategisch, kommunikativ und methodisch.
marktforschung.de: Sehen Sie sich damit mehr als Forscherin oder als Unternehmensberaterin?
Sophie Karmasin: Das möchte ich nicht trennen, ich biete evidenzbasierte Unternehmens- und Kommunikationsberatung an
marktforschung.de: Vor Ihrem Ministeramt waren Sie bereits Geschäftsführerin des gemeinsam mit Ihren Eltern gegründeten Unternehmens Karmasin Motivforschung und zugleich von Gallup Österreich (das österreichische Gallup Institut Dr. Karmasin GmbH). Inwieweit sind die Unternehmen weiterhin verbunden, beziehungsweise wo liegt der zentrale Unterschied?
Sophie Karmasin: Meine früheren Unternehmensanteile wurden 2014 komplett verkauft und stehen in keiner Beziehung zu meiner neuen Firma Karmasin Research&Identity. Der Unterschied ist sehr klar: Heute berate ich evidenzbasiert strategisch und kommunikativ. Ich bin kein klassisches Marktforschungsinstitut wie die ehemaligen Institute, sondern gehe strategisch darüber hinaus, indem ich auch bei der Implementierung behilflich bin.
Zur Person: Sophie Karmasin hat Betriebswirtschaftslehre und Psychologie studiert. Später stieg sie in die Motivforschungsagentur ihrer Eltern ein, deren Führung sie 2006 übernahm. Von Dezember 2013 bis Dezember 2017 war Sophie Karmasin österreichische Familien- und Jugendministerin. Mit Karmasin Research & Identity, Wien, ist die Mutter zweier Söhne in die Wirtschaft zurückgekehrt.
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