Martins Menetekel Impfen wird nicht ausreichen!

Wie gefährlich ist die Delta-Variante wirklich und wie drückt sich das in Zahlen aus? Was sollten wir vom Vereinigten Königreich lernen? In der heutigen Ausgabe seiner COVID-19-Kolumne gibt Martin Lindner einmal mehr den Mahner.

Martin Lindner: Impfen wird nicht ausreichen!

Das Vereinigte Königreich macht es uns vor: Obwohl über 60% der Bevölkerung zweimal geimpft ist, steigen die Inzidenzzahlen dramatisch an! Ursache ist die viel ansteckendere Variante Delta des Virus.

Ich will es ausführlich darlegen. Unter der Annahme, dass sämtliche Einschränkungen aufgehoben würden, hätte diese Variante einen Reproduktionsfaktor R, der etwa doppelt bis dreifach so hoch ist wie die des ursprünglichen Virus. Der war etwas über 3. Falls also R der Variante Delta bei 7 liegen sollte, müssten über 86% der Bevölkerung immun sein, damit das R kleiner als 1 wird. Aber kleiner als 1 reicht nicht aus, damit die Pandemie innerhalb endlicher Zeit verschwindet. Damit die Fallzahlenzuwächse sich wenigstens alle zwei Wochen halbieren, muss R unter 0,82 liegen.

7x = 0,82 führt zu x = 0,117 und damit müssen 88% der Bevölkerung immun sein.

Deutschland ist von diesen Zahlen weit entfernt, ca. 1/3 sind derzeit zweimal geimpft. Ohne Einschränkungen wäre bei uns das neue R bei 2/3 von 7, das heißt über 4,5 .

Da das Virus praktisch überall ist, wäre das eine Katastrophe. Falls das R der neuen Variante noch höher ist, wird die Herdenimmunität bei noch höherem Prozentsatz der Immunen erreicht. Das Virus kann immer noch gewinnen, wenn wir AHA und weitere Einschränkungen überall dort, wo sich Menschen drängeln, aufgeben würden.

Wie sieht R in Deutschland aus?

Wie sieht R in Deutschland aus?

Ich habe rot als ungeglätteten Reproduktionsfaktor mit dargestellt. Er hat die Marke 1 leicht überschritten, aber wohlgemerkt, das ist der Wert von vor vier Tagen.

Also allerhöchste Vorsicht!

Wir sind wieder im Dilemma des letzten Herbstes. Die Fallzahlenzuwächse sind noch klein und alle rufen nach Erleichterungen. Ich kann mich noch an eine Schlagzeile von damals erinnern: Wir können uns einen zweiten Lockdown nicht leisten. Aber es wurden zwei gewaltige neue Wellen mit sehr viel höheren Krankheits- und Todesfolgen und sogar strengeren Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen und Maskenpflicht in den Zentren der Großstädte.

Wie sehen die anderen Zeitreihen aus?

Ich nehme als erstes die Reihe der Infizierten:

Derzeit Infizierte in Deutschland

Die Erfolge bei der Bekämpfung der Pandemie im Mai sind klar zu sehen, eine Erfolgsgeschichte. Aber auch diese Zeitreihe scheint flacher zu werden.

Vergleichen wir sie mit der Änderung der Zuwächse (= 2. Ableitung):

Änderung der Zuwächse

Sie kann sich immer noch asymptotisch von unten der Zeitachse t anschmiegen, sicher ist es nicht.

Beruhigend ist das Verhalten der Fallzahlen selbst:

Verlauf der Fallzahlen

Da das Niveau der Zahlen so hoch ist, spielen die Verschlechterungen bei der Abnahme der Zuwächse geometrisch noch keine Rolle. Tatsächlich hatten wir in der vorletzten Woche eine Halbierung der Zuwächse innerhalb von 7 Tagen, das ist definitiv vorbei. Die Halbierung liegt jetzt bei 10 bis 12 Tagen.

In Zukunft sind die aussagekräftigen Zahlen aus den Zeitreihen für R, für die Zuwächse und für deren Änderungen zu gewinnen. Inzidenzen, Anzahl der Infizierten, Kranken mit Symptomen, Schwerkranken und die Todesrate korrelieren mit ihnen, aber oft mit beträchtlichem Zeitverzug. Den muss (!) man bei allen Maßnahmen sei es bei Lockerungen oder erneuten Einschränkungen berücksichtigen.

Fazit: AHA und weitere Einschränkungen müssen mit Augenmaß und ständiger Erfolgskontrolle beibehalten werden!

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Über den Autor:

Martin Lindner
 Martin Lindner ist promovierter und habilitierter Mathematikprofessor im Ruhestand und beschäftigt sich intensiv mit nachhaltiger Wirtschaft und der Zukunftsfähigkeit unserer heutigen Lebensformen. Zusätzlich hat er eine Ausbildung und auch Berufserfahrung in Wirtschaftsmediation.

/mf

 

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