Kolumne von Oliver Tabino Immer Trouble mit der Bubble!

Hendricks ist der Gründer und Leiter des CIBS (Centre for Information and Bubble Studies an der Universität von Kopenhagen). Gegen Ende seiner Keynote fasste Hendricks das Ergebnis seiner Studien mit dem folgenden Satz zusammen: "Who cares about the truth when the narrative is strong enough." Zuvor referierte Hendricks über das Entstehen, die Wirkung und somit auch die Macht von sogenannten "Bubbles", also Blasen, die vor allem in der digitalen Welt vorkommen, gedeihen und für weitreichende Folgen auch in der analogen Welt sorgen können. Systemisch gesehen, könnte man diese Bubbles auch als selbstreferentielle Systeme beschreiben.
Hendricks Fazit beinhaltet Implikationen für die Sozial-, Politik- und Marketingforschung und bringt einige Diskussionen und Beobachtungen auf den Punkt, die in den vergangenen Wochen und Monaten die politische Agenda und somit auch die Forschung immer wieder beeinflussen. Egal ob das postfaktische Zeitalter eingeläutet wurde oder aber Präsident Trump gefühlt in jedem zweiten Tweet von Fake News redet, letztendlich scheint die politische Kommunikation und die Demoskopie vor einer größeren Krise zu stehen, die man neutral betrachtet mit unterschiedlichen Wahrheitsebenen umschreiben kann.
Bubbles lauern überall
Hendricks beschreibt und definiert diese Bubbles folgendermaßen: "A bubble is an (often) irrational way of collectively aggregating beliefs, preferences or actions based on social proof in a bubble-hospitable environment."
Diese Art von Bubbles werden uns nicht technisch übergestülpt, sondern wir Menschen kreieren diese Bubbles selbst. Bei den Bubbles handelt es sich um sozial-psychologische Phänomene, die auf kollektiven Meinungen, Glaubenssätzen oder sogar Handlungen beruhen, die keiner objektiven Überprüfung unterworfen werden. Diese Bubbles haben in einem bestimmten Kontext oder unter besonderen Bedingungen die Möglichkeit der systemischen Aufschaukelung, was zu viralen Effekten führen kann und häufig verbunden mit dem Phänomen der Selfullfilling Prophecy zu einer Art selektiven Wahrnehmung der Wirklichkeit führt.
Beobachtet und untersucht man beispielsweise in den vergangenen Monaten politische Meinungsäußerungen und Verhalten in den sozialen Medien, wird deutlich, dass sich Menschen bewusst und unbewusst unterschiedliche Bubbles schaffen und sich innerhalb dieser bewegen. Überspitzt gesagt und auf das Zitat von Hendricks bezogen: Wenn sich eine Geschichte toll anhört und auf meine eigene Meinung einzahlt, dann interessiert es wenig, ob die Geschichte wahr ist oder nicht. Konkrete Beispiele sind Hoax-Meldungen über Flüchtlinge, die Ziegen aus dem Zoo stehlen oder Pferde von der Koppel, um diese zu töten und zu essen. Die Geschichte ist spektakulär, bestätigt das eigene Weltbild von kriminellen Flüchtlingen und man kann sich der Aufmerksamkeit der eigenen Bubble sicher sein, also wird die Geschichte ungeprüft weiterverbreitet. Oder, die eigene Bubble ist die Prüfinstanz.
Vielen Menschen geht es offenbar nicht mehr um die Richtigkeit von Informationen oder den Austausch von Meinungen und die Pluralität von Ansichten und Haltungen, sondern um die Bestätigung und Zementierung des eigenen Weltbildes. Bei der Untersuchung der AfD und von AfD-nahen Seiten oder Accounts lässt sich dieses Phänomen sehr gut analysieren. Die unbewusst oder bewusst geschaffene Informations-Bubble führt dazu, dass Menschen anderer Meinung oder Gesinnung ausgeblendet werden und somit letztendlich das eigene Weltbild immer wieder bestärkt wird, da die Bubble dafür sorgt, dass man selbst nur Menschen mit ähnlicher Gesinnung folgt oder Informationen konsumiert, die aus der selbstauferlegten Filter-Bubble kommen. Dieses System ist dann selbstreferentiell oder mit anderen Worten: Die Selfullfilling Prophecy wird dauerhaft angelegt und befeuert. Diese Verhaltensweisen gibt es ebenfalls bei AfD-Gegnern.
Bubbles vs. Wahrheit
Ein weiteres Phänomen entsteht: Die Bubbles konkurrieren um die Deutungshoheit oder noch weiter gefasst, um Wahrheit. Dieser Kampf führt jedoch nicht zum Erfolg, weil die inhärente Logik dieser Bubbles auf absolute Wahrheit zielt. Da eher nach Selbstbestätigung gesucht wird, kann keine Diskussion entstehen oder keine wirkliche Debatte im klassischen Sinn, sondern jedes Argument oder jede Meinung, die zu einem selbst passt, verstärkt das eigene System, jede andere Meinung wird als Unwahrheit, Lügenpresse, Unaufgeklärtheit etc. identifiziert und verstärkt auch nur das eigene (Welt-)Bild. Schon vor Jahren hat der Organisationspsychologe Prof. Peter Kruse auf diese sich aufschaukelnden Systeme hingewiesen und dies als ein Kernelement der sozialen Medien beschrieben.
Letztendlich bedeutet das, es gibt keine Wahrheit. Die Faktenlage wird in ein subjektives und der eigenen Bubble entsprechendes Wahrheitsempfinden eingebettet. Es entstehen subjektive Konstrukte von Wahrheiten, die parallel aufkommen und bestehen. Die Bubbles sind hervorragende Beispiele für einen funktionierenden Konstruktivismus, also die Tatsache, dass sich Menschen ihre soziale Umwelt selbst erschaffen.
Wahr ist, was wahr-genommen wird. Der Konstruktivismus verleugnet nicht die Wirklichkeit an sich. Er behauptet, dass die Aussagen über die Wirklichkeit dem eigenen Erleben, der eigenen Geschichte, der eigenen Entwicklung und den eigenen (beschränkten) physischen Möglichkeiten der Wahrnehmung entspringen. In einer Welt voller Bubbles werden die Möglichkeiten der Wahrnehmung durch technische Rahmenbedingungen (z.B. Algorithmus) oft unbewusst, aber in dem gerade beschriebenen Fall auch bewusst oder zumindest intuitiv beschränkt.
Wer Bubbles ignoriert, ignoriert Realitäten
Aufgabe der konstruktivistischen Theorie und der darauf beruhenden Forschung ist es deshalb zu zeigen, wie Wirklichkeitskonstruktionen gemacht werden und das ist natürlich ein spannendes Thema für Sozialwissenschaftler, Politik- und Marktforscher. Die Bubbles sind ein Teil der Realität. Sie stellen eine Herausforderung für die Forschung und Kommunikationsberatung dar, weil sie in den sozialen Medien sehr gut gedeihen. Aber, sie werden dadurch auch sichtbar und analysierbar.
Was nicht weiterhilft, ist, die Bubbles zu ignorieren oder sie moralisch zu überfrachten. Auch das passiert nur zu oft, vor allem in den politischen Diskussionen der letzten Wochen und Monaten. Nicht die Bubbles als solche werden betrachtet, sondern oft werden die Inhalte bewertet und zwar gefiltert durch eine eigene (auferlegte) Bubble.
Ich plädiere für eine strukturelle Analyse von Bubbles, für die Politik- oder Marketingforschung, je nach Fragestellung bestimmt werden sollten und danach eine Inhaltsanalyse der Kommunikationen und Konversationen (schriftlich aber auch visuelle Kommunikation), denn es geht darum die Bubbles zu verstehen.
Es ist unsere Aufgabe als Forscher und Kommunikationsberater Bubbles zu erkennen, zu verstehen und vielleicht dadurch zum Platzen zu bringen. Wenn wir nicht in der Lage sind ihre Binnenstrukturen zu analysieren, sind wir schlecht beraten und können schlecht beraten. Wir müssen diese unterschiedlichen und teilweise höchst subjektiven Wahrheiten mit kühlem Kopf zur Kenntnis nehmen, um daraus Ableitungen und Strategien zu entwickeln, was die Bubbles für die Politik oder das Marketing bedeuten. Sicherlich ist diese Haltung nicht neu, aber wenn man selbst und privat in den sozialen Medien aktiv ist, eine große Herausforderung, dass man nicht die Welt durch die eigene Bubble sieht.
Bubble-Logik
Wenn wir Bubbles als soziale Konstrukte verstehen, gilt es, diese Konstrukte zu erforschen, zu verstehen und daraus Strategien für die Kommunikation abzuleiten. Dies gilt für die politische Kommunikation genauso wie für die Markenkommunikation, denn wir können politische Bubbles, aber auch Marken-Bubbles beobachten.
Bubbles können mittlerweile nicht nur qualitativ verstehend, sondern auch quantitativ-vermessend untersucht werden, um beispielsweise die Größe einer solchen Bubble zu ermitteln oder die einflussreichsten Teilnehmer und Agenda Setter. Darüber hinaus lassen sich die Interaktionsmuster und Verlinkungen innerhalb dieser Bubbles analysieren. Dadurch können Verbreitungswege und Viralität nachgezeichnet werden.
Im nächsten Schritt lassen sich die Bubbles oder die Akteure und Stakeholder dieser Bubbles inhaltlich untersuchen. Die Bubble ist somit nicht nur kenntlich gemacht, sondern wir verstehen, wie die Bubbles in ihrer inneren Logik funktionieren. Welche Motive haben die Akteure? Welche Psycho-Logik steckt dahinter? Wie werden Impulse, zum Beispiel Argumente oder andere Beiträge verarbeitet? Was sind Trigger, die bestimmte Reaktionen hervorrufen?
Daraus lassen sich strategische, aber auch ganz konkrete und operative Ableitungen für die Kommunikation treffen. Das bessere Verständnis dieser Bubble-Logiken führt zu besseren Ergebnissen.
GOR 17 mit Schwerpunkt Politikforschung
Vom 15.3. bis 17.3. findet die GOR 17 in Berlin statt. Das Thema Demoskopie und Wahlforschung wird auch auf dieser internationalen Konferenz der DGOF eine große Rolle spielen. Es wird spannend sein, wie Online-Forscher, klassische Wahlforscher, aber auch Data-Science-Spezialisten die teilweise unerwarteten Ergebnisse (Brexit, US-Wahl) der vergangenen Monate erklären und welche Schlüsse die Forscher-Gemeinschaft für das spannende Wahljahr 2017 ziehen.
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