Interview mit Jens Lönneker, rheingold salon „Ich schätze Präsenzveranstaltungen mehr als früher – auch wenn es doch immer wieder Überwindung kostet, mich dorthin aufzumachen“

Der Herbst war vor der Corona-Pandemie traditionell eine Jahreszeit mit einer hohen Dichte an Messen, Kongressen und anderen Branchenevents. Heute stellen sich viele die Frage: Hingehen oder aufs nächste Online-Angebot warten? Jens Lönneker, Geschäftsführer von rheingold salon, verrät im Gespräch mit marktforschung.de, welche Vorteile virtuelle Formate für ihn haben und was ihn immer noch an den Vor-Ort-Veranstaltungen reizt.

Präsenzveranstaltungen wie die anstehende succeet22 in München haben gegenüber dem Wettbewerb durch Online-Angebote immer noch ihre ganz eigenen Vorteile für Vertrieb, Weiterbildung und Netzwerken. (Foto: succeet)

Endlich finden wieder Präsenzveranstaltungen mit echten Kontakten statt. Darauf mussten wir alle lange warten. Was hat sich im Vergleich zu den Veranstaltungen vor 2019 geändert?

Jens Lönneker: Präsenzveranstaltungen sind nicht mehr selbstverständlich. Besucher und Veranstalter von Präsenzveranstaltungen sind zwar echt froh, dass es wieder möglich ist, sich live zu treffen. Aber zu sehr vielen Events kommen einfach viel weniger Teilnehmer als vor Corona. Wir sehen vor allem zwei Gründe:

Erstens: Es ist schwieriger geworden, die Teilnahme an Präsenzveranstaltungen von Vorgesetzten genehmigt zu bekommen, wenn es auch entsprechende Online-Angebote gibt.

Zweitens: Viele Executives haben es in der Zwangspause durch Corona schätzen gelernt, weniger Reise- und Eventstress zu haben – dafür aber mehr Lebensqualität. Sie sind wählerischer geworden und gehen nur noch auf ausgesuchte Events.

Sie sagen, dass körperlich-sinnliche Situation vor Ort tiefere Erfahrungen und Kontakte hervorruft als der virtuelle Kontakt. Warum fällt das bei einem persönlichen Treffen erheblich leichter?

Jens Lönneker: Zum einen erfolgt ein erheblicher Teil unserer Kommunikation nonverbal. Unsere Körpersprache ist im Bild-Ausschnitt bei den Video-Calls nur in reduzierter Form und in einem sehr kleinen Format bei einer Videokonferenz mit mehreren Teilnehmern wahrnehmbar. Die Teilnehmer an einem Event können dagegen den Blick schweifen lassen und so auch scheinbar nebensächliche, hintergründige Phänomene beobachten:

  • Wer passt nicht auf oder redet mit dem Nachbarn?
  • Was passiert hinter den Kulissen?
  • Wie reagiert das Publikum auf die gerade gemachten Äußerungen?

Zum anderen erhält man „off-stage“ wichtige soziale Informationen über seine Business-Kontakte: Wer drängelt sich an der Kaffeemaschine vor? Wer flirtet mit wem? Welche Gruppen bilden sich etc.? Das schafft später mehr Berechenbarkeit und Vertrauen in der Geschäftsbeziehung.

Was können virtuelle Events von Präsenzveranstaltungen lernen und auch andersherum?

Jens Lönneker: Virtuelle Events könnten mehr informelle Elemente in die Veranstaltung einbinden, um der Reichhaltigkeit von nonverbaler Kommunikation mehr Raum zu geben. Naturgemäß wird dies an Grenzen stoßen oder aber noch extrem aufwändig sein, wenn man sich etwa Conferencing-Angebote mit VR-Technologie ansieht. Dennoch passiert auf diesem Feld ja Einiges.

Online-Events verlaufen in der Regel strukturierter und konzentrierter. Für Präsenzveranstaltungen wird diese stärkere Fokussierung zugleich Maßstab und Herausforderung werden. Für zweitägige Veranstaltungen wird es schwieriger werden.

„Präsenz muss sich deutlicher rechtfertigen“. Können Sie skizzieren, was sich bzgl. der Entscheidung zu einer Präsenzveranstaltung zu gehen oder nicht, mittlerweile bei den Businessentscheidern abspielt?

Jens Lönneker: Generell gelten die jährlichen Branchenevents als ein „Muss“. Hier sind die Besucherrückgänge – wenn überhaupt – meist vergleichsweise gering. Ansonsten muss der geschäftliche Mehrwert des Erscheinens vor Ort viel stärker rational verargumentiert werden. Die Business-Entscheider neigen dabei die Bedeutung des Knüpfens von Geschäftskontakten und die Socialising-Erfahrungen stark zu  unterschätzen.

In Zeiten von Klima- und Energiekrisen spielt Nachhaltigkeit vermehrt die Hauptrolle in der Entscheidung gegen Präsenzveranstaltungen. Was muss sich in der Organisation von Vorort-Veranstaltung ändern, damit sparsamer mit den Ressourcen umgegangen wird?

Jens Lönneker: Das Nachhaltigkeitsargument ist erst in letzter Zeit stärker in den Vordergrund gerückt. Ich halte es auch ein wenig für vorgeschoben. Die kritischere Haltung zu Präsenzevents bestand schon vorher. Präsenz lässt sich nicht ersetzen. So war etwa bei den Marketing for Future Awards 2022, die explizit klimapositives Marketing auszeichnen, die Präsenz aller Teilnehmer in Berlin explizit gewünscht.

Aber man kann auf klimafreundliches Reisen drängen und die Veranstaltung selbst entsprechend gestalten und für Kompensationen der verursachten Umwelteinträge sorgen.

Wie schätzen Sie die Entwicklung der Präsenzveranstaltungen in den kommenden Jahren ein?

Jens Lönneker: Wir rechnen mit einem deutlichen Rückgang sowohl der Teilnehmerzahlen und als auch der Veranstaltungen. Neben den Branchenevents werden die Präsenzveranstaltungen an Zulauf gewinnen, welche Möglichkeiten bieten, gute Kontakte zu knüpfen, zu lernen und zu partizipieren und den Teilnehmer auch ein Stück der Bühne überlassen.

Was hat sich bei Ihnen persönlich in Bezug auf Präsenzveranstaltungen verändert?

Jens Lönneker: Ich schätze Präsenzveranstaltungen mehr als früher – auch wenn es doch immer wieder Überwindung kostet, mich dorthin aufzumachen. Die Reichhaltigkeit der Begegnungen ist einfach unersetzlich.  

 

Über die Person

Jens Lönneker ist Gründer und Geschäftsführer von rheingold salon.  Als Tiefenpsychologe mit dem Schwerpunkt Markt-, Medien und Kulturforschung forscht und berät er national wie international in den Bereichen Grundlagenforschung, Produkt- und Markenentwicklung und Kommunikationsstrategien. Er hat u.a. Beiträge zu den Themenfeldern Ernährung, Medien, öffentliche Meinungsbildung, Sponsoring und Verfassungsmarketing veröffentlicht.

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