Thomas Helm (Ketchum Pleon) im Interview "Ich habe sehr häufig von Abgeordneten den Satz gehört, dass Umfragen sie eigentlich nicht interessieren, dann aber doch festgestellt, dass alle wie gebannt draufstarren."

Thomas Helm ist Head of Governmental Affairs bei Ketchum Pleon und verantwortet den Bereich Public Affairs auf nationaler und internationaler Ebene. Zuvor war er 11 Jahre Referent und Büroleiter in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Thomas Helm (Ketchum Pleon)

marktforschung.dossier: Herr Helm, was sagen Sie zum aktuellen Wahlkampf?

Thomas Helm: Vordergründig erscheint der Wahlkampf sicherlich etwas einschläfernd. Das liegt aber vor allem daran, dass keine Wechselstimmung in Deutschland herrscht. Die bräuchte es aber, um einen Wahlkampf so richtig anzuheizen, denn dann wäre die Regierung in der Defensive und müsste sich aktiv verteidigen. Die Leute sind aber im Großen und Ganzen zufrieden, weshalb die Bemühungen der Opposition, Unzufriedenheit zu schüren, sogar schon zwanghaft wirken.

Und da es nicht die Aufgabe einer Regierungspartei ist, selbst das Thema zu setzen, mit dem sie dann "an der Wand lang gezogen wird", wird sich auch solange nichts am seichten Wahlkampf ändern, bis es der Opposition gelingt, zumindest ein Thema gegen die Regierung zu setzen. Im Hinblick auf das Ergebnis am Wahltag finde ich diese Wahl aber alles andere als langweilig. Das wird noch richtig knapp werden.

marktforschung.dossier: Ketchum Pleon hat zusammen mit YouGov eine Befragung zur Zufriedenheit mit dem demokratischen System in Deutschland durchgeführt. Gerade einmal eine knappe Mehrheit von 54 Prozent der mehr als 1.000 Befragten zeigt sich sehr oder eher zufrieden; 46 Prozent der Befragten äußern sich sehr oder eher unzufrieden. Wie schätzen Sie dieses Ergebnis ein?

Thomas Helm: Dies sind natürlich alarmierende Zahlen, vor allem dann, wenn man berücksichtigt, dass die Umfrage in einer Zeit beauftragt wurde, in der es den meisten Deutschen gut geht, die Arbeitslosigkeit niedrig ist und die Wirtschaft läuft. Man stelle sich die gleiche Umfrage in wirtschaftlich schweren Zeiten vor, wie wir sie in der Mitte des vergangenen Jahrzehntes hatten. Eine andere Umfrage hat kürzlich ergeben, dass wir die "Sorgenmeister" in Europa sind, obwohl es uns besser geht als den meisten anderen auf unserem Kontinent.

Wir Deutschen neigen zur Schwermut und Pessimismus und kaprizieren das auf das politische System. In der Folge setzen wir uns zu wenig mit den Abläufen und der Funktionsweise unseres Systems auseinander. Die mangelnden Kenntnisse führt dann wieder zu Unzufriedenheit, Ferne und Ablehnung.

marktforschung.dossier: Unser Thema ist Wahlforschung. Für wie wichtig halten Sie diese, beispielsweise bei der Entwicklung von Wahlkampfstrategien?

Thomas Helm: Wahlforschung in Form von Umfragen sind grundsätzlich hilfreiche Gradmesser, um eine Wahlkampfstrategie zu entwickeln, aber auch um frühzeitig Probleme einer Strategie erkennen zu können. Umfragen helfen darüber hinaus, die Relevanz von Themen für den Wahlkampf zu testen. Außerdem geben sie die Möglichkeit zu überprüfen, wie die Bevölkerung auf die eigenen Standpunkte reagiert. Hieraus lässt sich dann ein Programm entwickeln, dass politisch dem Parteiprofil entspricht und mit dem man erfolgsversprechend in die Wahl geht.

marktforschung.dossier: Was raten Sie einem Politiker, dessen Umfragewerte im Keller sind?

Thomas Helm: Auf jeden Fall rate ich ihm von hektischen Panikreaktionen und von Maßnahmen ab, die darauf ausgerichtet sind, ohne Rücksicht auf seine Persönlichkeit Beliebtheit zu generieren. Das gerät gerne schnell ins Peinliche.  Es kommt darauf an, ob es ein einzelnes Ereignis ist, dass einen ansonsten angesehenen Politiker bei den Umfragen hat abstürzen lassen oder ob eine Kette von Ereignissen oder Eigenschaften des Politikers  zu der Einschätzung bei der öffentlichen Meinung geführt haben: "der kann es nicht". Im ersten Fall rate ich: einfach solide weiterarbeiten. Im zweiten Fall ist über einen nachhaltigen Strategiewechsel nachzudenken.

marktforschung.dossier: Welche Rolle spielt die Wahlforschung Ihrer Meinung nach in den Medien? Ist sie quasi als "Hygienefaktor" zwingend erforderlich?

Thomas Helm: Die Wahlforschung ist zwischen den Wahlen ein wichtiger Indikator neben anderen, um ein Feedback für politische Vorhaben zu erhalten und bietet die Grundlage, auf einer Datenbasis Überlegungen anzustellen. Die Wahlforschung bildet dabei ein gewisses Korrektiv zur veröffentlichen Meinung in Form von Berichterstattungen und Kommentaren, die gerne mal sehr einseitig ausfallen.
 
marktforschung.dossier: In Ihrer Zeit als Referent und Büroleiter in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben Sie Wahlkämpfe auch aus einer anderen Perspektive mitgemacht. Was war Ihr Eindruck vom Einfluss von Meinungsumfragen auf die Politik?

Thomas Helm: Ich persönlich habe mir weniger einzelne Umfragen angesehen als Verläufe von Umfrageergebnissen verschiedener Institute in der Zeit. Dadurch kommt man weg von der Momentaufnahme und wird auf grundsätzliche Fehlentwicklungen aufmerksam gemacht.

Ich habe allerdings sehr häufig von Abgeordneten den Satz gehört, dass Umfragen sie eigentlich nicht interessieren, dann aber doch festgestellt, dass alle wie gebannt draufstarren.

marktforschung.dossier: Abschließende Frage: Was halten Sie von modernen Wahlprognose-Tools, die beispielsweise auf Suchanfragen bei Google oder Social Media Einträgen zurückgreift?

Thomas Helm:
Grundsätzlich finde ich gut, dass es diese Tools gibt und nutze sie auch. Dies schon deshalb, weil man damit auch Menschen und Gruppen erreicht, die einem sonst verloren gehen. Man muss sich allerdings auch der Schwäche der Instrumente bewusst sein, wenn man zu ermitteln versucht, wie repräsentativ eine Meinung oder wie relevant ein Thema ist.

Im Bereich der Sozialen Medien sind auch gut organisierte "Scheinriesen" unterwegs, die es schaffen, durch Mobilisierung einem Thema eine Relevanz zu verleihen, die es eigentlich nicht hat.

marktforschung.dossier: Herr Helm, ganz herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen und das interessante Gespräch!

 

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