BVM Regionalabend Köln "Ich bin ein wenig überrascht, wie ruhig die Reaktion der Marktforscher derzeit ausfällt"

Unter dem Motto “Design Thinking erobert die DAX Unternehmen. Wie viel Markt bleibt für die Marktforschung übrig?“ fand gestern in Köln der Regionalabend des BVM statt. marktforschung.de sprach mit Referent Dr. Guido Beier, Senior Manager Digital Innovation bei der Telekom, über Vorteile und Risiken von Design Thinking.

Dr. Guido Beier, Telekom (Bild: Telekom)

Dr. Guido Beier, Telekom (Bild: Telekom)

marktforschung.de: Die Veranstaltung steht unter dem Motto: Design Thinking erobert die DAX Unternehmen. Was bedeutet das eigentlich für die Marktforschungsbranche?

Dr. Guido Beier: Eine ganze Menge. Ich habe sieben Jahre im Innovationsbereich der Telekom gearbeitet und betrachte das Thema aus Sicht des Erbringers und des Nachfragers zugleich. In den letzten zwei, drei Jahren hat sich die Art, wie und wann wir Marktforschungsdaten nutzen, stark verändert. Früher hat die Marktforschung die gesamten Erkenntnisse über den Markt und die Kunden bereitgestellt. Heute geben wir das Wissen über Interview- und Beobachtungstechniken, Stichprobengewinnung und Datenaufzeichnung an die Teams weiter und begleiten sie, wenn sie selber Kundenforschung betreiben. Das Wissen der Teams und aller Insightgeber wird dann kollektiv zu Schlussfolgerungen verarbeitet. Das ist die Folge des Einsatzes von Design Thinking als Methode und Kultur.

marktforschung.de: Was verstehen Sie denn unter der “Demokratisierung der Kundenforschung“ und warum wird das Thema Design Thinking immer wichtiger?

Dr. Guido Beier: Der durch Design Thinking angestoßene Prozess – jeder betreibt Kundenforschung – hat Vorteile und Risiken, genau wie jede umfassende Beteiligung. Auf der einen Seite steigt die Kundenorientierung enorm, was nur gut sein kann. Auf der anderen Seite erfordert die aktive Teilhabe am Prozess auch ein Mindestmaß an Ausbildung. Schließlich führt das Selberforschen auch dazu, dass man nicht mehr alles unreflektiert schluckt, was die Autoritäten, in unserem Fall die traditionellen Kundenversteher, vorgeben. In der Telekom haben wir ein umfassendes Design Thinking Ausbildungsprogramm etabliert, zu dem auch Kundenforschungsmethoden gehören. Damit laufen die Teams jetzt los. Design Thinking ist Teil einer Unternehmenskultur, die man heute braucht, um im globalen Wettbewerb erfolgreich zu sein. Und das ist gut so.

marktforschung.de: Design Thinking vs. Data Analytics – wie wird sich dieser Bereich auf die Zukunft der Marktforschung auswirken?

Dr. Guido Beier: Im Research Prozess des Design Thinkings werden vor allem qualitative Methoden benutzt um das Erleben und die Bedürfnisse der Kunden zu verstehen. Data Analytics liefert ungeheure Datenmengen, die aggregiert oder bis hinunter zum Einzelfall ausgewertet werden können. Beide Ansätze besetzen klassische Aktivitäten der Marktforschung. Hier besteht Handlungsbedarf, sonst brechen der Marktforschung Kompetenzfelder weg. Ich bin ein wenig überrascht, wie ruhig die Reaktion der Marktforscher derzeit ausfällt. Das durch die neuen Methoden gestiegene Gesamtinteresse an der Kundenforschung beschert der Marktforschung derzeit genügend Arbeit, aber verlassen würde ich mich darauf für die Zukunft nicht. 

marktforschung.de: Was glauben Sie, welche Fähigkeiten muss der “Marktforscher von morgen“ mitbringen?

Dr. Guido Beier: Ich wünsche mir einen Marktforscher, der die Möglichkeiten der Digitalisierung und die Impulse des Design Thinkings versteht und zu seinem Instrumentarium macht. Und ich bin überzeugt davon, dass Marktforschung Gewinn bringen wird, wenn sie als fähiger Aggregator der verschiedensten Informationen auftritt. Das bedingt auch, dass wir die aus meiner Sicht schon immer bedauerliche Kluft zwischen quantitativen und qualitativen Ansätzen und Forschern überwinden. Der Marktforscher von morgen kann beides und integriert beides zu einer neuen Qualität, die sonst niemand liefern kann. 

marktforschung.de: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Beier!

 

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  1. Monika Heimann am 09.11.2017
    Hallo Herr Beier,

    danke für den spannenden Vortrag (wir, mein Partner und ich, waren zugegen). Leider war ja die Zeit zu knapp, um noch einmal Lösungen zu entwickeln. Die Verbindung zwischen Marktforschung und Innovation (Erfindungen / Design) habe ich bisher auch als sehr kritisch erlebt. Als ursprünglich aus dem kreativen Bereich stammend (Mediendesign / Kunst) musste ich jedoch feststellen, dass das Problem nicht nur darin besteht, dass Marktforschung zu wenig auf die Ideenentwicklung vorbereitet, sondern auch Kreative stellen sich gerne quer, wenn die Mafo sich anschickt, ihre tollen Ideen „kaputt zu testen“. Ich bin quasi eine Art „Überläufer“ / „Nestbeschmutzer“, wenn ich bei z.B. Fokusgruppen auf ehemalige Kollegen aus der Werbeagentur treffe. Design Thinking wurde ja auf der Praxisgrundlage einer Produktdesignagentur (IDEO) entwickelt, stammt also ursprünglich aus dem Reich der Kreativen. Hier gibt es ja schon lange Verwerfungen in der Art, wie Sie sie jetzt für die Marktforschungsbranche befürchten, wenn sich inzwischen jeder beliebige Mitarbeiter eines Unternehmens anschickt, Ideen selbst zu entwickeln, anstatt dies dem Designprofi zu überlassen (Diese Verwerfungen gibt es aber schon länger z.B. in Form von online Tools / Templates, mit denen sich Nicht-Designer ihr Webseiten-Design selbst zusammen klicken oder auch Ideen-Crowdsourcing).

    Man kann daraus aber auch schließen: Spannende Zeit, in der die beiden Welten Marktforschung und Kreation, die sich – jeder für sich – immer mehr spezialisiert haben und so auseinandergedriftet sind, wieder zu mehr Zusammenarbeit gezwungen werden, z.B. durch Design Thinking. Hier ist allerdings die Frage, inwieweit die Marktforschung sich in die Rolle der reinen Daten-Zulieferer drängen lässt, mit dem Bonus, ordentlich „aggregiert“ zu haben. Design Thinking muss ja nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Wie ich bei Ihrem (in Design Thinking Sprache: DEINEM) Vortrag bereits angemerkt hatte (und du mir zugestimmt hast), krankt es auch am Dilettantismus auf beiden Seiten: in der Marktforschungskompetenz, sowie in der Kreationskompetenz. So gibt es z.B. Möglichkeiten, mit qualitativ-psychologischer Forschung mehr an die grundlegenden Insights zu gelangen, auf deren Basis sich dann auch disruptive Ideen entwickeln lassen, während es mit Design Thinking – schon vom Ansatz her – selten über Ideen für Verbesserungen (inkrementell) hinaus geht.

    Monika Heimann, INNCH

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