Repräsentativität in der Medienforschung Hohes Gut, nicht nur Etikette

Michael Pusler

Von Michael Pusler

Die Repräsentativität spielt in der Medienforschung, bei Untersuchungen zum Nachweis der Zahl und Struktur der Nutzerschaft - also Leser, Seher, Hörer, Onlinenutzer - nach wie vor eine bedeutende Rolle. Allerdings mit Einschränkungen, und auch nicht mehr in allen Fällen. Und, um das voranzustellen, die Veränderungen zeugen meines Erachtens leider auch von einem zumindest geringfügigen Bedeutungsverlust von Marktforschung im Bereich der Medien, was dennoch sehr bedauerlich ist. Das soll aber nicht heißen, dass sie aktuell nicht nach wie vor ihre Berechtigung und ihren Stellenwert in der Medienwirtschaft haben.

Doch zurück zur „Repräsentativität“. Sie ist insbesondere in der Währungsforschung, also der ag.ma, aber auch der AGF oder der AGOF ein hohes Gut. Etwas, für das man auch bereit ist, vergleichsweise hohe Feld- bzw. Erstellungskosten in Kauf zu nehmen. Noch, will ich mal sagen, denn in der Medienforschung unterliegt die Währungsforschung ja auch einem „trade off“ – und in Zeiten sinkender Werbeerträge wird der Spardruck auch auf die Erstellungskosten empirischer Forschung für die Werbeträgervermarktung erhöht, da deren Hebelwirkung zur Bewegung von Werbegeldern (für die eigene Mediengattung) in den jeweiligen Häusern möglicherweise nicht mehr so gesehen wird, wie das vor einigen Jahren noch der Fall war. Und gut gemachte Forschung, insbesondere die Bereitstellung einer Stichprobe, die valide Aussagen für die zu beschreibende Grundgesamtheit ermöglicht, hat ihren (berechtigten) Preis.

Bei der Vermarktung eines Medienobjektes, insbesondere bei den Printmedien, spielt(e) bis dato die – repräsentativ erhobene – Nutzerschaft (noch) eine sehr große Rolle. So fordert es das ZAW Rahmenschema, die bewährte Grundlage hierfür insbesondere im Printbereich, wobei unter Verwendung einer Zufallsstichprobe eine 70-prozentige Ausschöpfung gegeben sein sollte. Ein rascher Ausweis in einer Währungsstudie wie der Mediaanalyse der ag.ma wird angestrebt (ist aber, aufgrund methodisch bedingter Vorlaufzeiten, nicht kurzfristig möglich). Geht ein neues TV-Programm oder ein neuer Sender an den Markt, werden ebenso möglichst rasch Nachweise der AGF gesucht (sofern die Kosten hierfür getragen werden können, was bei kleinen Anbietern schon eine gewichtige Investition ist). Eigene Untersuchungen zum Medium - nach bevölkerungsrepräsentativen Gesichtspunkten und bei renommierten Instituten, wie einst die Regel – die hierfür einen durchaus gerechtfertigt angemessenen Preis verlangen – werden aus wirtschaftlichen Gründen nach meiner Beobachtung aber immer seltener durchgeführt. Das ist schade, verzichtet man so doch auf gute, anschauliche Argmentationsgrundlagen zur Vermarktung. Und wird dann doch etwas gemacht, ist bedauerlicherweise der Stellenwert methodisch guter Marktforschung als Gütekriterium zur Werbeträgervermarktung in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen.

Wenn Institute für den empirischen Nachweis der Nutzerschaft – z.B. vor Vorliegen eines offiziellen Währungsbefundes in einer Mediastudie - gesucht werden, werden diese häufig unter Kostengesichtspunkten ausgewählt. Gab es vor wenigen Jahren noch einen kleinen, erlesenen Kreis renommierter Institute, die beträchtlichen Aufwand für eine nach ZAW geforderte 70-prozentige Ausschöpfung bei Zufallsauswahl auf sich nahmen, wird heute häufig online quotiert und lediglich eine in der Bevölkerung vorhandene Verteilung nach zentralen soziodemografischen Indikatoren angestrebt (dabei unterschlägt man wissen- oder unwissentlich, dass es nach wie vor eine große Zahl an Mediennutzern gibt, die nicht online sind – insbesondere bei älteren Personengruppen). Wenn man so will, geht hier der Trend deutich weg von der Zufallsstichprobe, hin zur „digitalen Quote“. Die hat m. E. bei elektronischen Angeboten weit eher ihre Berechtigung, wird ja auch in der Währungsforschung insbesondere für TV angewendet. Nur mit dem Unterschied, dass das bei TV aufgrund der aufwendigen apparativen Erfordernisse methodisch erforderlich ist, während es bspw. für Printmedien lediglich schlicht die günstigere und einfachere Variante darstellt.

Seit einiger Zeit wird aufgrund der immer schwieriger werdenden Realisierbarkeit einer 70-prozentigen Ausschöpfung insbesondere von Feldinstituten die Rücknahme konkreter Ausschöpfungsquoten gefordert. Mittlerweile ist dies in einer europäischen Norm für die Printmedienforschung im Konsens der Marktpartner so auch amtlich geregelt. Es wäre ja auch nicht im Sinne besserer Stichproben, wenn an einer Maßzahl rigide festgehalten werden würde, die gleichzeitig möglicherweise nur noch durch „Etikettenschwindel“ realisiert werden kann (indem beispielsweise aus qualitätsrelevanten so genannte qualitätsneutrale Ausfälle werden). Aber das Problem ist letztlich eines der Bezahlbarkeit guter – und damit auch kostspieligerer – Marktforschung, für die vielfach in der Medienbranche einfach das Geld nicht mehr verfügbar ist oder bereitgestellt wird.

Wird denn die Stichprobengüte heute noch überprüft? In erster Linie natürlich bei Währungsuntersuchungen, bei denen die Marktpartner, auch der verschiedenen Interessengruppen, sich im Rahmen eines joint industry committees gegenseitig auf die Finger schauen. Insbesondere die Vertreter der Mediaagenturen auf die der Vertreter der unterschiedlichen Mediengattungen. Hier sind die durchführenden Feldinstitute auch gehalten, den Nachweis der Qualität ihrer Arbeit ausführlich zu dokumentieren. Und dazu gehört neben dem Erhebungszeitraum der Stichprobenansatz ebenso wie die Ausschöpfung.

Tritt ein Vermarkter mit einer Studie zu seinem neuen Objekt bzw. Werbeträger beim werbungtreibenden Kunden oder (s)einer Agentur an, so wird dort nach meiner Erfahrung (leider) immer seltener nach der Erhebungsmethode, Ausschöpfungsquote etc. gefragt. Bedauerlicher weise wird, damit einhergehend, dem Ganzen auch immer weniger Bedeutung beigemessen, denn vielfach spielen die Vermarktungskonditionen eine viel größere Rolle als jeder überzeugende Nachweis einer unter werblichen Gesichtspunkten attraktiven Nutzerschaft des Medienobjektes. Es gibt sogar Fälle, bei denen lediglich nach der Größe der Stichprobe gefragt wird, und Äußerungen wie diese fallen „… wir haben 1.000 Personen befragt, somit ist die Stichprobe als repräsentativ anzusehen“. Da stellt sich dem Marktforscher zuweilen schon die Frage, ob auf Seiten von Anbieter oder Kunde überhaupt noch ein Wissen darüber vorliegt, was Repräsentativität als Gütemerkmal eines empirischen Befundes, und insbesondere einer aus der Stichprobe hochgerechneten Nutzerschaft, überhaupt bedeutet. Nicht unbedingt die günstigsten Voraussetzungen für - im Hinblick auf die Stichprobenziehung - aufwendige Untersuchungen zu Medien und ihrer Verwender.

An dieser Stelle soll aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass es neben der Personenauswahl in Grundgesamtheiten auch noch eine weitere Form der „Repräsentativität“ als weiteres Gütemerkmal gibt: die der ermittelten oder gemessenen Mediennutzungsvorgänge. Oder, wie das im Bereich der Onlinemedien möglich ist, eine serverbasierte Vollerhebung aller Nutzungsvorgänge. Abgesehen von der Diskussion, ob Zufalls- oder Quotenstichproben für Empirie und Modellierung methodisch einander vorzuziehen sind, ermöglichen erst technische Messverfahren wie insbesondere das passive Verfahren der Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung AGOF für elektronische Medien die valide Erfassung sämtlicher Nutzungsvorgänge eines Medienkanals. Zumal gerade dort mit einem aufwändigen, auf mehreren Forschungssäulen ruhenden Multimethodenansatzes großer Wert auch auf eine repräsentative Bevölkerungsstichprobe eher klassischen Zuschnitts gelegt wird.

Zur Person: Michael Pusler ist Media- und Marktforschungsberater, zuletzt Leiter Mediaforschung bei Mediaplus Gruppe für innovative Media GmbH & Co. KG; davor langjähriger Marktforschungsleiter bei Hubert Burda Media; 2011 bis 2014 Vorstand im Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher (BVM e. V.).

 

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