"Her mit Eurem Ersparten!" - mit Hilfe von Marktforschung in China?

Chinesen sind beim Sparen Weltmeister, was weder Handel noch Regierenden gefällt. Sparen ist tief in Chinas Kultur verwurzelt. Die Abkehr vom Bargeld erfolgt noch zögerlich. Der Umgang mit Geld ist Familienangelegenheit. Aus der Sparsamkeit ergeben sich chinaspezifische Chancen für die Produktaussagen.

Von Matthias Fargel

Chinas Staatsführung hadert mit manchen der althergebrachten Gewohnheiten ihrer Landsleute; auch mit der eingefleischter Sparsamkeit im Privatbereich*. Denn Chinas Wirtschaftslenker brauchen mehr, viel mehr privaten Konsum, um die Konjunktur von Exporten, Bauwirtschaft und gigantischen Infrastrukturprojekten zu entwöhnen. Auf der einen Seite: mit Neuwagen verstopfte Metropolen und modisch gekleidete Mengen in den Bürokomplexen; auf der anderen Seite: bettelarme Hunderte Millionen unter schäbigsten Lebensbedingungen. Das Gesamtbild lässt auf den ersten Blick vermuten: Die einen hauen das Geld bis zum Anschlag nur so raus und die anderen haben nichts zum Zurücklegen.

Doch Chinesen sparen; soviel wie noch nie zuvor in ihrer Geschichte. Derzeit über 50% der verfügbaren privaten Haushaltseinkommen (International Monetary Fond, 2012)**; ein weiterer - diesmal eher lästiger - Weltrekord der VR China. Auch die weiteren Sparweltmeister sind chinesische Gesellschaften: Taiwan, Hongkong und Singapur. Entgegen mancher volkswirtschaftlicher Theorie hat die Sparneigung trotz wachsenden Wohlstands unter Chinesen in den letzten Jahren sogar noch zugenommen. Mit Ausnahme von Wohnungseigentum wird fast alles ohne Bankkredit finanziert. Ratenkäufe sind unüblich. Selbst teure Anschaffungen wie Neuwagen bezahlen über 80% aller privaten Autokäufer per Cash; mit eigenen Ersparnissen - oder mit denen der Verwandtschaft.

Das Klischee vom Money-smarten Chinesen entspricht weitgehend der Empirie aus Wirtschaft und Geschichte: Chinesen glauben an die Vorzüge des Bargeldes. Nicht mehr ausgeben, als man hat. Aus konfuzianischer Sicht beschämen Schulden und Verschwendung. Wer sich Geld borgt zeigt, dass er sein Leben nicht im Griff hat und sich in Abhängigkeit anderer begibt – ein schwerer Gesichtsverlust. Weitere Zeichen für eine Kultur der privaten Sparsamkeit finden sich in der Beharrlichkeit, mit der Chinesen nach dem günstigsten Angebot suchen und anschließend noch um bessere Konditionen feilschen.

Ein Ansporn für chinesische Sparsamkeit liegt in den Familienbiographien; den elenden Erfahrungen mit Bürgerkriegen, Hungersnöten, Naturkatastrophen, Fremdherrschaft, Revolutionen, Zwangsumsiedlungen und jähe Politikwechsel. Die chinesische Alltagskultur strebt nach Sicherheit für die Familie; sie baut bevorzugt auf eigene Ressourcen, während sie gegenüber allem außerhalb der vertrauten Kreise skeptisch bleibt („Guanxi und die Marktforschung“ und „Vertrauen im chinesischen Alltag“). „Vorsichtssparen“ ist die langfristige Antwort auf Schicksalsschläge. Seit den Wirtschaftsreformen in den 80ziger Jahren ist die betriebliche Grundsicherung in Gestalt der „eisernen Reisschale“ demontiert. Die Familien sparen letztlich aus Misstrauen in die Politik, in das neu entstehende Sozialversicherungssystem für die Altersversorgung, Krankenversicherung und Ausbildung des Nachwuchses. Bei Älteren finden sich die Ersparnisse nicht nur auf Bankkonten, sondern auch in persönlichem Schmuck und Goldzähnen, als letzte, zuverlässige „carry-on“-Barreserve.

Rücklagenbilden ist in China keine reine Privatangelegenheit. Großeltern, Eltern, Kinder und weitere Angehörige teilen sich Ersparnisse; der finanzielle Kollektivismus ist unter den finanziell schwächeren Schichten besonders ausgeprägt. Neben dem Lebensunterhalt für die Alten und auf dem Land Zurückgebliebenen ermöglichen Familienkredite oder Schenkungen bessere Ausbildung, Umzüge, Krankenhaus, Auslandsreisen, Geschäfts- und Familiengründungen. Sie verhelfen den Jungen im kompetitiven Heiratsmarkt zu besseren Chancen, durch Kauf eines standesgemäßen Autos oder besser gelegenen Wohnung. Natürlich verpflichten solche Familienkredite die Begünstigten moralisch zum besonders schonenden und erfolgreichen Umgang mit dem Geld. Eine häufige Variante sind kollektive Studienbeihilfen, die die Jungen zu Hochleistungen fast zwingen (und manchmal zu fatalen Versagensängsten bis hin zum Suizid führen). Anderseits kritisieren Blogs und Pressestimmen verwöhnte Einzelkinder, die zu wenig die Opfer des Clans würdigen und sich von den Tugenden des Respekts, Pflichtbewusstsein und Sparsamkeit lösen; Verführte vom westlich materialistischen Lebensstil in den Großstädten.

In China hatten sich schon vor Jahrhunderten zusätzliche kollektive Formen des „Vorsichtssparens“ gebildet: Es gab buddhistisch geprägte Sparkooperativen, die in Not geratenen Gläubigen zinsfreie Kredite gaben. Freiwillige Genossenschaften auf dem Land sammelten monatlich Beiträge ein, um den Mitgliedern teure Anschaffungen (Vieh, Gerät) auf zinsfreier Privatkreditbasis zu ermöglichen.

Bei Konsumentenkrediten spielen chinesische Banken bisher eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Sie machen es privaten Kreditsuchenden schwer: Zu wenig Volumen, zu wenig Sicherheiten, zu viel Bürokratie. Im Bereich der Hypotheken rufen sie bis zu fünfzig Prozent Eigenkapital auf. Indirekt mischen die Banken dennoch beim Konsum mit; über deren Zahlkarten, die sich bei jüngeren urbanen Konsumenten als Zahlungsmittel durchsetzen. Derzeit sind geschätzte 4,3 Milliarden Bankkarten im Umlauf, allerdings überwiegend mit Debit-, nicht Kreditfunktion. Alle chinesischen Kreditkarten sind Teil des CUP „China Union Pay“-Systems. Die Bankkarten erfahren wachsende Konkurrenz seitens des Internethandels mit PayPal-ähnlichen Diensten. Firmen wie Alibaba wollen mit „Alipay“ und „Alipay Wallet“ oder Tencent mit „TenPay“ sich in die private Finanzierungsströme (und Datenfluss) einmischen und ringen mit den Behörden um Regelung und Genehmigung virtueller Kreditkarten.

Die Banken dienen Kredite in erster Linie den Großunternehmen und Behörden an. Die ca. 60 Mio. Kleinunternehmer in den Städten und 200 Mio. auf dem Lande sind durch den Unwillen der Großbanken, ihnen selbst kleinere Kredite (unter 100.000 Yuan / 12.000€) zu gewähren, in der Geschäftsentwicklung eingeschränkt. Den Bedarf an Kleinkrediten decken u.a. P2P „Peer to Peer“ Vermittler zu privaten Kreditgebern ab. 72 Websites, z.B. „CreditEase“ und „Pandai.cn“ sind auf diesem Feld durchaus nicht nur mit „Peanuts“ unterwegs. Die „China Banking Regulatory Commission“ schätzte 2013 den Markt für die „grauen“ Kredite auf 68 Milliarden Yuan. DeLoitte China ermittelte für den Zeitraum 2005-2009 einen Zuwachs der P2P vermittelten Kredite um ca. 40% p.a.

Konsumgüterhersteller, Handel und Regierung käme es also recht gelegen, wenn Chinas Verbraucher in die langfristige Stabilität der Lebensumstände vertrauen*** und mehr die Ladenkassen anstatt die Sparstrümpfe füttern würden. Vielleicht schenken ihnen Trends unter der Generation Y, den urbanen Jüngeren, Hoffnung. Man nennt sie die „yue guang zu/ die am Monatsende blank da stehen“, also brav fast jeden Yuan in den Wirtschaftskreislauf einspeisen. Oder geben sich die „ka-nu“/die Kreditkartensklaven“ noch wirtschaftsfreundlicher? Die Gruppe jener Verzweifelten und/oder Hedonisten, die ganz untraditionell über ihre Verhältnisse leben und sich den Kleinkredit dann doch auf „westliche Art“ über echte Kreditkarten holen. Die schon zitierten Experten sagen auch für dieses Segment ein China übliches Wachstum voraus.

Fazit für die Marktforschung

Sparsamkeit, Rechtfertigung in diesem Sinne vor Dritten und Sicherheitsstreben sind wichtige Determinanten im chinesischen Kaufverhalten. Der Marktforscher muss die Widersprüchlichkeit solcher Verhaltenstreiber verstehen. Je nach Anlass ringt die Sparsamkeit mit dem Drang zur „Face Consumption“, zu gesichtsstiftenden Statussymbolen und großzügigen Gesten, wie wertige Geschenke und Einladungen. - Etwas Schummeln, wie z.B. mit gefälschten Luxusmarken, das Herumtragen von Alltäglichem in Prestigeeinkaufstaschen oder das Treffen in der Empfangshalle eines Fünf- Sternehotels bieten da pragmatische Kompromisslösungen. - Chinesen fühlen sich zwar dem konfuzianischen Ideal vom Schlichten und Abkehr vom Überflüssigen verbunden, freuen sich aber über die seit jüngerem gebotenen Chancen zur profanen Lebensfreude, und manche sogar schon Luxus, solange es das alles – endlich wieder/wie lange noch? - gibt. Bei manchen Ausgaben sind Chinesen der Familie Rechenschaft schuldig; da kann die Argumentationshilfe „sparsam“ gehandelt zu haben, helfen. Chinas Verbraucher sind eher vorsichtig als gutgläubig. Aus dieser Vorsicht heraus sind sie grundsätzlich bereit, für mehr Sicherheit auch mehr auszugeben. Doch sie ringen mit den Mehrkosten, solange sie an der Glaubwürdigkeit der Produktversprechen zweifeln. Trotz  ausgeprägten Kostenbewusstseins erwarten sie sichtbaren persönlichen Service. Wareninszenierung und Verpackung stiften keinen materiellen Mehrwert an Qualität und Sicherheit; dennoch möchten chinesische Verbraucher auf solch kostspieliges Beiwerk nicht verzichten, weil es ihnen Gesicht gibt und zur externen Wertanmutung beiträgt. Importwaren aus westlichen Ländern oder Korea und Japan gelten als höherwertig und attraktiver; chinesische Waren kommen jedoch der Sparsamkeit und dem wachsenden Nationalstolz entgegen.

Sind solche saftige, vielfältige Marktverhältnisse nicht ideale Spielwiesen für verstehende Marktforschung, die den sonst fahlen Datensätzen begreifbares Leben einhauchen?

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* Im Gegensatz zu den Privatleuten sind Chinas Provinzregierungen, Staats- und Großbetriebe hoch verschuldet; chinesische Banken sind der größte Gläubiger der USA- Staatsbonds.

** Zum eindrucksvollen Vergleich: die Sparquote der privaten Haushalte lag 2013 in Deutschland bei knapp über 10%, in den USA bei 4% - in China bei 51%.

*** Vielleicht ein weiterer Grund, warum die chinesischen Behörden alles daran setzen, schlechte Nachrichten, Skepsis und Unruhe vom Volk fern zu halten: “it’s the economy, stupid“…

 

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