Bericht vom Esomar Kongress 2023 Heiße Ohren und Arcade-Spiele in Amsterdam

Vom 10. bis 13. September fand der diesjährige Weltkongress des internationalen Marktforschungsverbands Esomar in Amsterdam statt. Im altehrwürdigen Gebäude Beurs van Berlage in unmittelbarer Nähe des Amsterdamer Hauptbahnhofs fanden sich rund 1.100 Besuchende ein, um sich über die neuesten Entwicklungen in der Marktforschungsbranche zu informieren. Dabei gab es einen bunten Mix aus unterschiedlichen Formaten zu erleben: eine Vielzahl an Ausstellungsständen, diverse Keynotes und Podiumsdiskussionen sowie eine große Anzahl bezahlter und unbezahlter Präsentationen von Sponsoren und anderen Marktforschungsinstituten.

"Silent Keynote" statt "Silent Disco": ein Großteil der Vorträge wurde über die abgebildeten Bluetooth-Kopfhörer in die Ausstellungshalle übertragen (Bild: ESOMAR)

Der Sonntag begann mit einer Reihe von Workshops, die unter anderem von Sven Arn, vormals Happy Thinking People, mittlerweile Human8, und John Puleston, Kantar, gehalten wurden. 

Das Motto des diesjährigen Kongresses lautete „Supercharge“ (übersetzt „Aufladen, Auftanken“). Gerade in der Auftaktveranstaltung am Montag wurde von Moderatoren und den Esomar-Repräsentanten wie Präsident Ray Poynter und Generaldirektor Joaquim Bretcha darauf Bezug genommen. Das Design des Kongresses orientierte sich am Look & Feel von Arcade-Spielen wie Donky Kong und Pacman der 80er Jahre, die auch in einer der beiden Ausstellungshallen vor Ort gespielt werden konnten. Spannend waren beim Weltkongress auch die unterschiedlichen Kleidungsstile der Besuchenden zu beobachten: Von Bermunda-Shorts über senfgelbe Logo-Shirts bis zum Anzug mit Krawatte war auf den Podien alles vertreten.  

Ebenfalls ungewöhnlich war der Einzug von „Silent Concert“-Kopfhörern in die Marktforschungswelt. Beim letzten Kongress in Toronto gab es wohl viele Beschwerden über die Kombination von Messeständen und Vorträgen in einem Raum. Die Lösung: Wer zuhören wollte, musste sich einen Bluetooth-Kopfhörer aufziehen und heiße Ohren holen. Man hörte damit zwar gut, was der Redner von sich gab, allerdings wurde dadurch auch das Gemurmel der Messehalle auf die Ohrhörer übertragen. 

Der Kongress in 22 Bildern

Von ganz weit oben betrachtet 

Das erste inhaltliche Highlight am Montag war die Keynote von Thorsten Fehr, Head of Atmosperic Section bei der ESA, der Europäischen Weltraumbehörde. Sein Vortrag mit dem Titel „Earth Observation - Taking the pulse of our planet from space” passte zum Design der Konferenz: Bunte, spektakuläre Bilder der Erde; viele Informationen darüber, wie sich die Welt verändert, wie verschmutzt die Atmosphäre mittlerweile ist und wie die Polarzonen seit Jahren schrumpfen. Tolle Bilder, aber mit einer nachdenklich machenden Botschaft. So gar nicht zum Superchargen, und auch der Transfer zur Insights Industry dürfte den meisten Zuschauenden schwergefallen sein. Außerdem sucht die ESA dringend Data Scientists, und Thorsten Fehr nutzte die Gelegenheit, um eifrig für den Wechsel zur Weltraumbehörde zu werben. Immerhin stellt die ESA kostenlos Daten zur Verfügung, die aber vermutlich für die meisten Anwesenden nicht zum Geschäftsmodell passen dürften. Fehrs Botschaft an die Zuhörenden:  

„Alle müssen mitmachen, damit es besser wird.“

Datenqualität als Top-Thema 

Diese Botschaft tauchte auch in verschiedenen Diskussionsrunden und Beiträgen rund um das Thema „Data Quality“ auf, welches sich als eines der zentralen Themen des Kongress entpuppte. So gab es eine Diskussionsrunde zum Thema: „Who questions the questioners? What questions should you be asking about your own research?”, bei der mit DGOF-Vorstand Otto Hellwig auch einer der wenigen deutschen Vertreter auf dem Podium saß. Dynata stellte den Rise-Award auf der Konferenz vor, um nicht immer nur mit dem Finger darauf zu zeigen, was schlecht läuft, sondern positive Beispiele für gut gemachte Panelumfragen ins Schaufenster zu stellen.  

KI in vielen Anwendungsfacetten 

Außerdem wurden die Möglichkeiten der Anwendung von Künstlicher Intelligenz in vielen Vorträgen demonstriert, wie zum Beispiel in dem Beitrag von Fred Kim, Meta, und Cecily Mejia, Mintel, zum Thema „Uncovering the Why - How primary research unlocked tech giant Meta's understanding of consumers“, in dem beschrieben wurde, wie mittels Social Listening große Textmengen mittels KI analysiert wurden, um im Anschluss eine internationale Umfrage dazu durchzuführen, warum sich die Sicht der Menschen auf die tägliche Arbeit in den letzten Jahren stark verändert hat. Auch im Beitrag von Ray Xavery und Dolphine Mongina vom Dalberg Institut aus Kenia kam Machine Learning zum Einsatz. Mittels KI wurde hier herausgefunden, wo in Kenia Mais sinnvoll angebaut werden kann.  

Und auch ESOMAR selbst werde auf die aktuellen Entwicklungen rund um KI reagieren und den ESOMAR Kodex anpassen, so Joaquim Bretcha

Obwohl das Thema KI häufig angesprochen und viel diskutiert wurde, waren doch die meisten der Vortragenden recht entspannt bei ihrem Blick in die Zukunft. Die Aussicht auf Arbeitsplatzverluste scheint als wenig realistisch wahrgenommen zu werden. Der Fokus lag stattdessen auf den Fragen, wie betrügerische Teilnahmen bei Panels aufgedeckt und wie KI als Tool Marktforschende zukünftig unterstützen kann. 

Der Tony Cowling Award 

Interessant, aber gänzlich ohne den Einsatz von KI, war die Verleihung des Tony Cowling Award an Kantar Public für die Studie „Voice of Ukraine“. Kantar Public begann unmittelbar nach Kriegsbeginn mit dem Aufbau eines Panels ukrainischer Flüchtlinge, die regelmäßig zu ihrer Situation in den Fluchtländern befragt werden. Die Auszeichnung nahm Yves Fradier, Director of Evidence bei Kantar Public France, aus der Hand von Joaquim Bretcha entgegen.  

Die Verbreitung von Ergebnissen ist ebenso wichtig wie die Erhebung 

Im Anschluss daran gab es eine von Monty Python inspirierte Talkrunde zum Thema „Salience and Staying Power - How to create a culture of informed decision-making”, bei der drei betriebliche Marktforschende von Haleon, De Beers und Pearson zu ihrer Sicht auf verschiedene Mantren der jüngeren Marktforschungshistorie wie zum Beispiel „A seat at the board table“ befragt wurden. Diese Runde war erstaunlich ergiebig, weil die Sicht der drei Insights Manager erfrischend war. So wurde deutlich, dass Insights aus der Marktforschung nicht nur an den Vorstandstisch gehören, sondern besser an jeden Tisch im Unternehmen, an dem Entscheidungen getroffen werden.  

Zentral für den Erfolg von Studien wäre vor allem die Verbreitung der Erkenntnisse im Unternehmen, auch wenn dieser Aspekt in Briefings und Angeboten häufig vergessen würde. Zwanzig Prozent von Zeit und Budget sollte man idealerweise als Auftraggeber dafür einplanen, da es darum ginge, einen einheitlichen Blick auf die Insights im Haus zu generieren. Die drei Diskutanten waren sich darin einig, dass langfristige Partnerschaften mit Instituten anzustreben seien und man von einer „Projekt-Denke“ Abschied nehmen solle. 

Kundenbeeinflusser 

In der Keynote “Hacking the Mind” stellte sich Speaker Richard Shotton, Autor des Buchs “The Illusion of Choice: 16 ½ psychological biases that influence what we buy”, die Frage, was genau einen Marktforschenden ausmacht, und beantwortet diese Frage damit, zu wissen, welche Entscheidungen Kunden treffen und wie diese Entscheidungen beeinflusst werden können. Um zu verstehen, wie Kundenverhalten gesteuert werden kann, schlägt er das EAST (Easy, Attractive, Social, Timely)-Framework vor und stellte anhand dessen dar, wieso Firmen wie Apple (geplant oder nicht geplant) den Erfolg haben, den sie haben. 

Awards, Awards, Awards 

Ganz im Zeichen von Auszeichnungen standen die letzten beiden Tage des Kongresses. Beim YES (Young ESOMAR Society)-Award gewannen drei junge Forscherinnen und Forscher und es wundert im Lichte der restlichen Themengebiete des Kongresses nicht, dass auch die jungen Researcher sich vor allem mit dem Gebiet der künstlichen Intelligenz beschäftigt haben. Den dritten Platz machte Harita Rawat, Research Executive bei Ipsos aus Indien mit der Einreichung “Audience Simulator”, den zweiten Platz belegte Valere Demelier, Insights Analyst bei Nepa, aus England mit “AI for Consumer Digital Profiles”. Als Erstplatzierte gekürt wurde Catherine Wertz, Senior Manager bei SKIM mit der Frage “What Brands Can Learn from Tinder”. Hier wurde herausgearbeitet, dass Vertrauen Brands gegenüber genauso entscheidend für eine erfolgreiche Beziehung ist wie in der Liebe. 

Neben Auszeichnungen für den Nachwuchs wurde auch das beste Paper des Jahres prämiert. “Turning TikToks into Business Insight: How Colart learnt to engage new audiences” von Jatin Kuckreja und Jeremy Hollow gewann diese Auszeichnung als Forschung mit dem meisten Impact auf die Branche. Neben diese wurden unter anderen auch der Peter Cooper Award für “Best Qualitative Paper” und der “Congress Best Paper Award 2023” verliehen. 

Auch drei örtliche Repräsentanten von ESOMAR, Zahia Boumaiz und John Presutti aus den Vereinten Arabischen Emiraten, Dan Fleetwood aus den USA und Dr. Josiah Ebhomenye aus Nigeria wurden für ihren Einsatz geehrt. 

Party in der Fabrique des Lumières 

Neben Feierlichkeiten im Rahmen der Preisverleihung wurde auch anderweitig miteinander gefeiert.

What happens in Amsterdam, stays in Amsterdam,

mit diesen Worten läutete Joaquim Bretcha den Partyabend des Kongresses in der Kunsthalle “Fabrique des Lumières” ein. Neben ausgefallenem Essen und leckeren Getränken gab es auch die Möglichkeit zu angeregten Unterhaltungen und gegen Ende des Abends zum Tanzen mit Branchenkollegen aus aller Welt.

Das sagen die Kollegen 

Deutsche Branchenkollegen, die nicht so zahlreich wie bei der letzten IIEX in Amsterdam vertreten waren, zeigten sich ebenfalls durch die Bank zufrieden mit dem Event: 

Es ist sehr viel los und es gibt viel Interesse, auch an der succeet. Wir haben bereits viele langjährige Kunden treffen können. Insgesamt ist es einfach eine sehr gute Stimmung und ich nehme viel Begeisterung wahr.

-Alexandra Frank, succeet 

Bettina Saffer von SAGO stimmt zu und erwähnt zusätzlich den „Woman in Research Lunch“: 

Sehr spannender Kongress dieses Jahr, es gibt intensiven Austausch und viele offene, interessierte Gespräche. Auch die Vorträge sind spannend, gerade die zum Thema Sustainability. Außerdem war der WIRe-Lunch wirklich inspirierend und ein wertvoller globaler Austausch.

Auch Andreas Knappstein, Managing Director von Bilendi & respondi ist froh, auf dem Kongress gewesen zu sein und freut sich über die positive Resonanz: 

Gerade der Montag war supertoll, es hat sich wirklich gelohnt und es ist auch zu einigen konkreteren Gesprächen mit potenziellen Kunden gekommen.

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