Das-Wahre-Leben - Kolumne von Jens Krüger Haltung. Haltung. Haltung. Um jeden Preis, oder?

Schalke 04 hat sich wegen des Ukraine-Kriegs von seinem Trikotsponsor Gazprom getrennt. Auch das ist Haltung. (Bildnachweis: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Martin Meissner)
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich tue mich schwer damit, es anderen gleich zu tun. Unser Logo ist auch nicht gelb-blau, wie das von Edeka. Die Anteilnahme ist sehr groß – auch bei uns, unseren Mitarbeitern. Viele haben Freunde und Verwandte in Russland wie auch in der Ukraine. Wir sprechen mit unseren Kundinnen und Kunden darüber – und liken bei LinkedIn aufrichtig und ehrliche Kommentare. Ich tue mich aber schwer, das Thema selbst aufzugreifen – obwohl ja sonst nicht auf den Mund bzw. die schreibende Hand gefallen, fühlt es sich für mich nicht richtig an. Gerade deshalb will ich es hier einmal anreißen:
Wie politisch dürfen Marketing und auch die Marktforschung eigentlich sein? Brauchen wir tatsächlich auch mehr Haltung?
Früher wäre es undenkbar gewesen, sich als Marktforscher klar zu positionieren. Wie keine andere Branche hat sich die Marktforschung jahrzehntelang auf den Mythos ihrer vermeintlich notwendigen Neutralität zurückgezogen.
Marktforschung machen war ein bisschen wie Schweiz sein. Unantastbar, neutral, immer gewissenhaft, manchmal überkorrekt.
Mit der Fähigkeit zur immerwährenden Anpassung – wie ein Chamäleon.
Wir alle haben zur Ukraine eine klare Haltung. Aber ist es opportun, darüber öffentlich zu sprechen?
Was machen die Marketeers?
Als eines der ersten Unternehmen hat sich Edeka marketingtechnisch vorgewagt. Die werbliche Botschaft vor gelb-blauen Hintergrund: „Freiheit ist ein Lebensmittel“.
What? So richtig verstehe ich die Botschaft nicht, oder ist sie wirklich so vordergründig gemeint? Und die eher kritische Diskussion in den einschlägigen sozialen Medien ließ auch nicht lange auf sich warten. Andere Unternehmen, wie die Telekom oder die Bahn haben sich ein bisschen mehr Zeit gelassen – und vielleicht auch vorausschauender reagiert mit konkreten Angeboten für die Menschen in der Ukraine. Kostenlose Telefonate in und aus der Ukraine und freie Fahrt für Flüchtende mit der Bahn. Der Applaus war den Unternehmen sicher. Gut umgesetzt. Tue Gutes und rede darüber.
Dann aber kam die Rede von Olaf Scholz am vergangenen Wochenende – als „Zeitenwende“ bezeichnet er den jetzt im Herzen von Europa eskalierenden Krieg. Er fordert Haltung. Von allen. Und er liefert: Die bisher klarste Botschaft seiner Kanzlerschaft und Waffen für die Ukraine. Und fordert auch von uns allen anderen Haltung – Länder, Organisationen und der Wirtschaft.
Spätestens jetzt beginnt Haltung weh zu tun – zumindest monetär. Shell steigt bei Northstream2 aus, Beteiligungen an russischen Unternehmen z. B. BP an Rosneft werden abgeschrieben. Schalke 04 trennt sich von seinem Hauptsponsor. Die Fifa tut es dem Verein gleich. Jegliche Handelsbeziehungen werden gekappt.
Fast alle Automobilhersteller ziehen sich aus Russland zurück. Und die Schweiz macht bei den SWIFT-Sanktionen mit und friert die Konten von Putin und seiner Clique ein. Die Schweiz!
Wow. Oder ist es doch alles nur Kalkül?
Die Ukraine ist längst zu einer globalen Bewegung geworden, der sich kaum noch jemand entziehen kann.
Wer kann es sich überhaupt noch leisten, nicht dabei bzw. dagegen zu sein, auch dann, wenn es weh tut.
Entscheidend ist, dass es diesen Druck von den Menschen da draußen gibt. Und es ist auch gut, dass Unternehmen und Marken im Sinne ihrer Kundinnen und Kunden entscheiden, mit wem sie Geschäfte machen und mit wem nicht.
Compliance ist nicht nur ein Kapitel im jährlichen Geschäftsbericht, sondern gelebter Purpose. Die Unternehmen haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt – so scheint es zumindest. Es braucht mehr Haltung und auch konsequentes Handeln, auch wenn es richtig weh tut.
Mir macht das Hoffnung, weil wir die großen Themen unserer Zeit nur mit Haltung und als Gemeinschaft lösen können. Ob bei den großen gesellschaftlichen Umbrüchen, beim Klimaschutz oder bei globalen geopolitischen Auseinandersetzungen.
Und wenn die Schweizer schon mitmachen – dann dürfen wir als Marktforscher doch auch mehr Haltung zeigen, oder?
Über Jens Krüger

Kommentare (1)
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden