Martins Menetekel Gibt es gute Nachrichten?

In den letzten Tagen wurde von Impfrekorden berichtet, aber welche Auswirkungen haben diese tatsächlich auf den Reproduktionsfaktor R und somit auf die Eindämmung der Pandemie? In seinem heutigen Beitrag geht der Mathematiker Martin Lindner der Frage nach, ob es derzeit überhaupt gute Nachrichten gegen die Pandemie gibt und findet klare Worte anhand von Berechnungsbeispielen.

Kolumne Martin Lindner: Gibt es gute Nachrichten? (Bild: SNFV GmbH)

Heute wurde über einen erfreulichen Rekord an täglichen Impfungen berichtet, über 700.000 an einem Tag. Seit dem März pflege ich den Impfstand in meine Datei ein, allerdings mit dem Ziel, ab wann in etwa die Herdenimmunität von 40 Prozent erreicht sein wird. Dann würde auch ein Reproduktionsfaktor R von 1,25 auf 1,25*0,6 = 7,5 , also unter 0,8 sinken, und alle Monate würden sich die Zuwächse halbieren. Dazu müssen etwa die Hälfte aller Einwohner der Bundesrepublik zweifach geimpft sein, wenn die Erfolgsquote der Impfungen bei 0,9 liegt.

Derzeit zweifach Geimpfte: 5,1 Millionen, das in drei Monaten. Es fehlen noch gut 35 Millionen. Selbst wenn wir die Impfquote pro Tag auf 1 Millionen erhöhen, wird unser Ziel erst in 70 Tagen erreicht. Solange müsste die Lockdown-Brücke des Herrn Laschet halten.

Wenn man diese Zahlen mit denen in erfolgreicheren Ländern wie Israel oder Großbritannien vergleicht, ist es keine gute Nachricht. In der Zeitung stand, dass Taiwan mit 23 Millionen Einwohnern nur 11 Corona-Tote hatte. Es gibt also Länder, die auch den Kampf gegen Corona erfolgreicher als wir führen.

Die Statistik der kumulierten Todesfälle:

Auch hier strebt die Kurve nicht von unten gegen eine obere Schranke, von Verhulst keine Spur, auch keine gute Nachricht. 

Die derzeit Infizierten:

Hier sieht man sehr deutlich, dass schon Mitte Februar die falschen Weichen auf Lockerung gestellt wurden. Aus dem Anstieg der Infizierten folgt ein Anstieg der ernsthaft Erkrankten, denen folgt der Anstieg der stationär zu behandelnden Patienten, damit wieder ein Anstieg der Belegung der Intensivstation und der Todesrate.

Davor warnen derzeit alle Ärzte, und zu recht!

Am meisten interessieren der Verlauf des Reproduktionsfaktors R als Zeitreihe und die Quotienten q(t) der täglichen Zuwächse.

  • R > 1 und stabil wachsend: Hyperexponentielles Wachstum, Referenz Verhulst mit Verstärkung l in N'(t) = kN(t)(1 + l N(t))
  • R > 1 , aber konstant: l = 0 und exponentielles Wachstum mit b als Basis, b = vierte Wurzel(R) = q
  • R < 1 , aber konstant: l = 0 und N'(t) exponentiell fallend (wie eine Zerfallsreihe eines radioaktiven Elements)
  • R < 1 und stabil gegen 0 fallend: Verhulst mit Limitierungsfaktor l = -1/S und S ist die obere Schranke aller Fallzahlen.

Noch macht eine neue Referenzkurve keinen Sinn, vielleicht in ein oder zwei Wochen.

Deswegen nur die Grafik von R(t) und q(t):

Man kann schön den Vorlauf von vier Tagen von R(t) gegen q(t) sehen. q(t) wächst schon wieder, durch die furchtbare Glättung von R und dadurch, dass ich für die Berechnung von R einen Vorlauf von diesen vier Tagen benötige, zeigt R rot noch nach unten, die reellen Zahlen zeigen das Gegenteil. Auch keine gute Nachricht!

Übrigens gehört Deutschland seit Sonntag, dem 11. April zum Club der Über 3-Millionen-Fallzahlen-Besitzer, eigentlich auch keine Erfolgszahl, eher das Gegenteil.

Wir sehen, dass es nicht gerade viele, mit anderen Worten, überhaupt keine guten Nachrichten gibt.

Martin Lindner
Martin Lindner ist promovierter und habilitierter Mathematikprofessor im Ruhestand und beschäftigt sich intensiv mit nachhaltiger Wirtschaft und der Zukunftsfähigkeit unserer heutigen Lebensformen. Zusätzlich hat er eine Ausbildung und auch Berufserfahrung in Wirtschaftsmediation.

 

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