Researchability - Verantwortung für Markt und Daten Gesundheitsdaten als Gefahr für die Solidargemeinschaft

In Köln gibt es inmitten von Hochhäusern ein Büdchen. Wer dort nachmittags um fünf eine Zeitung kaufen möchte, der muss über viele Pakete steigen. Die nimmt der Besitzer nämlich für die ganze Siedlung an. Er stapelt, beschriftet und verwahrt hunderte von ihnen. Man kann sie dann von morgens um sechs bis abends um neun dort kostenlos abholen. Das ist viel Arbeit und es ist ausgesprochen freundlich vom Besitzer des Minilädchens. Sein Verhalten ist ein Zeichen gelebter nachbarschaftlicher Solidarität.

Solidarität hält die Gesellschaft zusammen

Wir sind auf Solidarität angewiesen und aus gutem Grund basieren auch Versicherungsmodelle auf dem Solidargedanken, denkt man etwa an die Beitragsbemessung für den Krankenversicherungsschutz. Sie orientiert sich an der individuellen finanziellen Leistungsfähigkeit der Versicherten. Nicht das Krankheitsrisiko, sondern das Einkommen ist der wesentliche Maßstab. Das Anrecht auf Gesundheitsleistungen ist von der Beitragshöhe unabhängig und jeder ist im Gesamtsystem abgesichert. 

Sind moderne Versicherungstarife mit dem Solidargedanken vereinbar?

Moderne und künftige Versicherungstarife dürften anders funktionieren. Versicherungen bieten Apps in Handys und Uhren an, die wir mit Gesundheitsdaten speisen. Sie zählen die Kalorien, die wir zu uns nehmen und die Schritte, die wir täglich gehen. Wer sie nutzt bekommt Vergünstigungen von der Versicherung, wenn er einen Tarif akzeptiert, der Menschen, die wenige Kalorien zu sich nehmen und sich viel bewegen begünstigt. Wer weniger als die im Tarif vereinbarte Schrittzahl zurücklegt oder mehr als die vereinbarten Kalorien zu sich nimmt, muss höhere Prämien zahlen. Vielleicht verliert er sogar den Versicherungsschutz. 

Unsolidarisch zu sein ist nicht unfair – aber hart

Das ist aus Sicht der Versicherung gut, denn gesunde Menschen kosten weniger. Zudem werden sie leistungsgerecht versichert und zahlen auch so. Wer aber nicht asketisch leben will oder wer ohne sein Verschulden herzkrank wird, oder ein Bein verliert, der kann den günstigen Tarif für die Gesunden nicht wählen oder behalten. Eine solche Tarifgestaltung ist nicht unfair, aber sie ist hart. Sie trifft vor allem die Schwachen und sie zerstört ein Solidarmodell. Hoffentlich muss das Büdchen in Köln nicht auch noch irgendwann kostenlos Krankenbetten aufstellen. 

Von Prof. Dr. Rolf Schwartmann

 

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