Dr. Anke Müller-Peters, marktforschung.de George Gallup versus The Literary Digest

Dr. Anke Müller-Peters
Kennen auch Sie nur die kurze Version der Geschichte?
Die Zeitung "The Literary Digest" schätzte in den 30er Jahren den Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahl aufgrund einer Leserumfrage. Viele nahmen an der Befragung teil, aber natürlich konnte eine richtige Vorhersage nicht gelingen, denn der Selbstselektionsbias und die Tatsache, dass überhaupt nur ein kleiner Bruchteil, nämlich die Leser eben dieser Zeitung, von der Meinungsumfrage erfuhren, steht der Verallgemeinerung des Ergebnisses im Wege. Ganz anders ging der kluge Sozialwissenschaftler George Gallup vor. Er befragte nur wenige Personen, die er zufällig auswählte und prognostizierte korrekterweise den Sieg von Franklin D. Roosevelt.
Ganz so schwarz-weiß, wie ich die Geschichte erinnerte, bevor ich mich in der Vorbereitung dieses Dossiers ein wenig intensiver damit beschäftigt habe, war sie gar nicht.
Die Wochenzeitschrift Literary Digest wurde 1890 gegründet und begann bereits 1916 aufgrund von Meinungsumfragen den Ausgang der Präsidentschaftswahlen vorherzusagen, was insgesamt fünfmal gelang, obwohl die Methoden zunächst nicht sonderlich ausgereift waren. Bis ins Jahr 1936 hatten die Macher der Umfragen ihre Technik erstaunlich entwickelt. Nicht Leser wurden in der Zeitschrift aufgefordert, ihre Meinung kundzutun, sondern es wurde mit beachtlichem Aufwand eine vorwiegend schriftliche Befragung durchgeführt. "Probestimmzettel" wurden an die Amerikaner verschickt, die als Autobesitzer registriert waren, flankiert von telefonischen Befragungen von zufällig aus dem Telefonbuch gezogenen Befragungspersonen. Insgesamt wurden 10 Millionen Amerikaner aufgefordert ihre Wahlabsicht anzugeben - 2,4 Millionen haben tatsächlich geantwortet. Was für eine astronomische Zahl für eine Meinungsumfrage! Auch wenn es natürlich Gegenstand jeder Vorlesung über "Methoden der empirischen Sozialforschung" ist oder sein sollte, dass die Stichprobengröße nichts über die Repräsentativität der Befragungsergebnisse aussagt, beeindruckt der Aufwand und die Fallzahl dieser frühen Wahlforschung.

Im Jahr 1936 sagte die Prognose 57 Prozent der Stimmen für den Republikaner Alf Landon voraus, während der demokratische Kandidat Roosevelt nur 38 Prozent der Stimmen bekommen sollte. Die Geschichte, warum die Prognose nicht funktioniert hat, ist schnell zu Ende erzählt, denn natürlich war die Verzerrung der Auswahlgesamtheit ursächlich: Wer sich in den 30er Jahren ein Telefon oder Auto leisten konnte, war überdurchschnittlich wohlhabend und gut situiert und daher eher ein Anhänger des republikanischen Präsidentschaftskandidats Landon als ein Wähler des demokratischen "New-Deal" - Präsidenten Roosevelt. Auch wenn das Verfahren in den Jahren zuvor den Gewinner der Wahlen richtig vorhersagte, konnte der Stimmungsumschwung aufgrund der verzerrten Stichprobe nicht prognostiziert werden. Die beschriebene Fehlprognose leitete den Niedergang der Zeitschrift The Literary Digest ein, welche zwei Jahre später vom Time Magazine gekauft wurde.
Und was genau hat George Gallup getan? Er befragte wöchentlich 2000 Amerikaner im face-to-face Interview zu ihren Wahlpräferenzen und versuchte bei der Auswahl der befragten Personen ein verkleinertes Abbild der amerikanischen Gesellschaft zu realisieren. Keinesfalls hat er Personen in allen amerikanischen Bundesstaaten befragt. Obwohl damals die Devise "As Maine goes, so goes the nation" galt, hatte George Gallup aus der Vergangenheit ermittelt, dass die US-Staaten Ohio und North Dakota besonders gute "Barometer" für das Gesamtergebnis der US-Wahlen waren.
Im Editorial des Research Reports heißt es "Ohio is far the more significant, not only because it has the fourth largest number of electoral voters, but also because the proportion of the popular vote in Ohio for the winning candidate is apt to be about the same as the national proportion."
Eigentlich sollten wir George Gallup als den Gründer der Quotenstichprobe und nicht der Zufallsstichprobe feiern. Mit der "Gallup-Technik" prognostizierte er korrekt, dass Roosevelt als Präsident gewählt werden würde, und veröffentliche seine Prognose im Vorfeld der Wahl in einem Leserbrief an den Literary Digest. Wobei, und auch das gehört zu der Geschichte, Gallup den überwältigenden Erfolg Roosevelts deutlich unterschätzte: Das Wahlergebnis betrug 61 Prozent für Roosevelt, Gallup hatte "nur" 56 Prozent vorhergesagt. Und was war jetzt hier mit den astronomischen Fallzahlen? Die Gallup-Prognose fußte auf 50.000 Interviews – deutlich weniger als die 2,4 Millionen von Literary Digest aber dennoch sehr beeindruckend!
Nachtrag: und wer sich als Marktforscher der Historie der Stichprobenziehung einmal physisch ganz nah fühlen möchte, für den habe ich hier noch einen kleinen Reisetipp (vielleicht auch DIE Location für Ihren nächsten Firmenworkshop zur "Qualitätssicherung in der Marktforschung"): Das achteckigen Geburtshaus von George Gallup dem "Father of public opinion polling" wird als guesthouse angeboten und kann für 150 $ pro Nacht gemietet werden, ist allerdings im tiefsten Iowa.
Zu Autorin
Dr. Anke Müller-Peters ist Mitgründerin von marktforschung.de und hat das Portal bis 2010 als Geschäftsführerin geleitet. Ab 2011 leitete sie den Bereich Weiterbildung und Karriere (Branchenstudien zu Gehältern, Arbeitszufriedenheit, Aus- und Weiterbildung). 2015 rief sie die Initiative researchers4refugees ins Leben. Sie ist außerdem Dozentin für das Fach "Wirtschaft und Psychologie" im MBA der Hochschule der Sparkassen-Finanzgruppe. Nach ihrem VWL-Studium war Anke Müller-Peters Mitarbeiterin am Institut für Wirtschafts- und Sozialpsychologie an der Universität zu Köln. Dort hat sie ein internationales Forschungsprojekt zur Psychologie des Euro initiiert und geleitet und zu diesem Thema promoviert. Nach ihrer Promotion hat sie als Geschäftsführerin das Online-Marktforschungsinstitut webfrager aufgebaut.
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