"Generation Y" als Zielgruppe für Finanzdienstleister

Michaela Brocke, Axel Stempel (Heute und Morgen)

Von Dr. Michaela Brocke (Geschäftsführerin) & Axel Stempel (Geschäftsführer), HEUTE UND MORGEN GmbH

Erfolgsfaktor Zielgruppenausrichtung

„Versicherungslösungen, so individuell wie Sie“ oder „die Versicherung genau für Ihre Zielgruppe“ – typische Leitsätze, die man mittlerweile auf nahezu jeder Versichererhomepage und Versicherungsbroschüre liest. Die Ausrichtung der Leistungen an bestimmte Zielgruppen hat in der Assekuranz in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Dabei ist das Alter schon längst nicht mehr das alleinige Zielgruppenkriterium. So richten Versicherer ihr Angebot an Personen in bestimmten Lebensphasen, z.B. junge Familien, oder adressieren spezielle Berufsgruppen wie z.B. Freiberufler oder Beamte.

Damit dies gelingt, ist es notwendig, Einstellungen und Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe in Bezug auf Versicherungen zu verstehen. Nur so können Versicherungsleistungen, Kommunikations- und Vertriebsansätze konsequent an den Erwartungen der Zielgruppe ausgerichtet werden.

Genau dieser Zielsetzung kommen wir mit unserer Studienreihe „Zielgruppen für Finanzdienstleister“ nach. Im Rahmen eines zweistufigen Studiendesigns liefert die Studienreihe Zielgruppen-Insights für eine bedarfsgerechte Produkt-, Vertriebs- und Kommunikationsstrategie.

Phase 1: Bedürfnisse verstehen und Ideen entwickeln

In der ersten Studienphase kommen je nach Zielgruppe persönliche Tiefeninterviews, Gruppendiskussionen und Online Communities zum Einsatz. Hier werden einerseits Erwartungen und Wünsche im Hinblick auf Finanzdienstleistungen eruiert und sämtliche Einflussfaktoren bei Informations- und Entscheidungsprozessen identifiziert. Des Weiteren werden über Kreativtechniken zielgruppenspezifische Produkt-, Service- und Kommunikationsideen entwickelt.

Phase 2: Potenziale evaluieren

Im Rahmen der nachgelagerten quantitativen Studienphase werden auf Basis von quantitativen Repräsentativbefragungen (je nach Zielgruppe telefonisch oder online) Potenziale der entwickelten Ideen evaluiert. Dies betrifft insbesondere die Abschluss- als auch Zahlungsbereitschaft für zielgruppenspezifische Leistungen. Zudem werden das Informations- und Abschlussverhalten quantifiziert sowie auf Basis von Clusteranalysen verschiedene Einstellungs- und Verhaltenstypen für die jeweilige Zielgruppe identifiziert.

Zielgruppen-Studie: „Junge Erwachsene“

In einer unserer Studien wurden „Junge Erwachsene“, die heute gerne mit dem ebenso populären wie unscharfen Sammelbegriff „Generation Y“ belegt werden, als Zielgruppe untersucht. „Junge Erwachsene“ zählen aufgrund ihrer Zukunftspotenziale und der Aussicht auf langfristige Geschäftsbeziehungen zu den am stärksten umworbenen Zielgruppen der Finanzdienstleister.

In vorhandenen Marktstudien wird die Zielgruppe allerdings meist zusammengefasst und nicht differenziert, ob es sich um Auszubildende, Studenten oder Berufseinsteiger handelt. Die unterschiedliche Finanz- und Lebenssituation dieser Teilgruppen erfordert jedoch eine getrennte Betrachtung und Analyse. Um detaillierte und differenzierte Ergebnisse zu erhalten, wurden in unserer Studie die drei Teilgruppen Auszubildende, Studenten und Berufseinsteiger getrennt voneinander betrachtet.

Methodik

In einem ersten Schritt wurden drei vertiefende qualitative Gruppendiskussionen in Form asynchroner Online Communities mit jeweils 20 Auszubildenden, Studenten und Berufseinsteigern durchgeführt. Die Laufzeit der Communities betrug jeweils eine Woche.

Für die erfolgreiche Durchführung von Online Communities hat sich in unseren Studien, insbesondere bei Finanzdienstleistungsthemen, eine abwechslungsreiche methodische Gestaltung sowie ein schrittweises Heranführen der Teilnehmer an die Untersuchungsinhalte bewährt (vgl. Brocke, Barschewski & Ruholl, 2013). Aus diesem Grund führen wir zu Beginn jeder Community einen synchronen Auftakt-Chat durch, der dem Aufbau eines Gruppengefühls und einer lebendigen Einführung in das Thema dient. Anschließend wurden in einem Mix aus thematisch aufeinander aufbauenden asynchronen Forumsdiskussionen und persönlichen Aufgaben die Bedürfnisse der Zielgruppe in Hinblick auf Finanzdienstleistungen sowie das Informationsverhalten detailliert untersucht. Zudem wurden bereits bestehende zielgruppenspezifische Produkt-, Service- und Werbekonzepte einzelner Anbieter evaluiert sowie neue Produkt-, Service- und Kommunikationsideen entwickelt.

In der sich anschließenden quantitativen Phase wurden 200 Auszubildende, 300 Studenten und 300 Berufseinsteiger im Alter zwischen 16 und 29 Jahren in einer Online-Befragung zu ihren Einstellungen und ihrem Verhalten in Finanzfragen, zu ihren Erwartungen und Servicewünschen an Finanzdienstleister, zur Produktkenntnis sowie zu ihrer aktuellen Anlage-, Finanzierungs- und Versicherungsausstattung befragt. Die Auswahl der Befragten erfolgte repräsentativ nach Alter und Geschlecht. Zugleich wurden die unterschiedlichen Studien- bzw. Berufsrichtungen breit gestreut.

Ergebnisse

So ticken „junge Erwachsene“

Die untersuchten Teilgruppen der Auszubildenden, Studenten und Berufseinsteiger eint ein ausgeprägter Wunsch nach dem späteren Besitz von Wohneigentum sowie eine hohe Sicherheitsorientierung bei Geldanlagen. Zudem zeigt sich die mit der digitalen Revolution groß gewordene „Generation Y“ bei der Beratung und beim Abschluss von Bank- und Versicherungsprodukten deutlich weniger technikaffin und am Einsatz moderner Kommunikationsmedien weniger interessiert als zu erwarten wäre.

Hinsichtlich weiterer Aspekte des Finanzverhaltens zeigen sich die Zielgruppen jedoch alles andere als homogen: Finanztypologisch zeigen sich zwar in jeder der drei untersuchten Zielgruppen die folgenden Segmente:

  •     „Sorglos Untätige“,
  •     „Kompetente Kümmerer“ und
  •     „Besorgt Überforderte“.

Die prozentuale Verteilung der Segmente fällt jedoch in jeder der drei untersuchten Zielgruppen unterschiedlich aus.

Während bei Auszubildenden und Berufseinsteigern die für Finanzdienstleister hochattraktive Zielgruppe der „Kompetenten Kümmerer“ mit 45% bzw. 43% das größte Segment stellen, sind bei den Studenten die „Sorglos Untätigen“ (46%) am häufigsten vertreten.

Die „Sorglos Untätigen“ entsprechen am ehesten dem der „Generation Y“ häufig zugeschriebenen Merkmal eines betont unbekümmerten Umgangs mit der Zukunft. Ihnen ist das Thema „Absicherung und Vorsorge“ weitaus weniger wichtig als den beiden anderen Finanztypen. Nur ein geringer Teil macht sich Sorgen um die Rente oder Risiken einer Berufsunfähigkeit. Zudem besteht in Bank- und Versicherungsangelegenheiten bisher kaum Kontakt zu persönlichen Beratern. Gleichzeitig halten sich nur wenige in Finanzangelegenheiten für wirklich kompetent. Die Ausstattung mit Bank- und Versicherungsprodukten ist unterdurchschnittlich.

„Kompetente Kümmerer“ zeigen dagegen in puncto Absicherung und Vorsorge ein sehr hohes Interesse und Involvement. Das Segment ist besonders beratungsaffin, viele haben sich bereits zu Finanzprodukten beraten lassen. Zugleich weist das Segment ein weit überdurchschnittliches Kompetenzempfinden auf. Bei Geldanlagen wird neben dem dominanten Sicherheitsbedürfnis eine stärkere Renditeorientierung sichtbar als bei den anderen Finanztypen. Die Ausstattung mit Finanz- und Versicherungsprodukten ist überdurchschnittlich.

Das Segment der „Besorgt Überforderten“, das in allen untersuchten Teilgruppen den geringsten prozentualen Anteil ausmacht, zeigt sich in Finanzangelegenheiten unsicher, teils gelähmt und in der Eigeneinschätzung wenig kompetent. Besonders ausgeprägt ist die Sorge um die finanzielle Absicherung im Alter und bei möglicher Einschränkung der Arbeitskraft. Zugleich fällt die Beratungsaffinität nur mäßig aus. Frauen sind in diesem Segment stärker als Männer vertreten. Die bis dato aufgebaute Ausstattung mit Finanz- und Versicherungsprodukten ist durchschnittlich.

Unterschiede zwischen Auszubildenden, Studenten und Berufseinsteigern

Neben diesen finanztypologischen Unterschieden zeigen sich weitere Unterschiede in den untersuchten Teilgruppen der Auszubildenden, Studenten sowie Berufseinsteiger. Besonders markant sind diese im Übergang von der Ausbildungsphase zur Phase des Berufseinstiegs. Hier erfolgt beispielsweise eine deutliche Zunahme der Inanspruchnahme von Beratungsleistungen und des selbständigen Abschlusses von Finanzprodukten:

  • Während in der Gruppe der Auszubildenden und Studenten beispielsweise nur rund jeder Zweite bereits selbst ein Versicherungsprodukt abgeschlossen hat, sind dies bei Berufseinsteigern bereits 83 Prozent.
  • Zudem besitzen „nur“ 28 Prozent der Azubis und 19 Prozent der Studenten eine private Renten- oder Kapitallebensversicherung, unter Berufseinsteigern sind dies hingegen bereits 48 Prozent.

Die altersmäßig variable Phase kurz vor und kurz nach dem Berufseinstieg gilt daher zu Recht als eine der Schlüsselphasen für erfolgreiche Vertriebsaktivitäten der Finanzdienstleister. Als deutlicher Vorteil erweist sich dabei, bei den jungen Erwachsenen als Anbieter bereits frühzeitig im Relevant Set verankert zu sein – was bisher allerdings keinem Finanzdienstleister nachhaltig gelingt:

Bisher ist kein Versicherer in stärkerem Maße als besonderer Anbieter für junge Erwachsene in den Köpfen der Zielgruppe verankert. So sind beispielsweise 83% der Berufseinsteiger und sogar 91% der Azubis keine Versicherer bekannt, die spezielle Produkte für junge Erwachsene bieten. Diese Lücke gilt es, durch zielgruppenorientierte Produktangebote und Services zu schließen.

Womit Versicherer bei der Zielgruppe punkten

Zielgruppenspezifische Produkte werden von den jungen Erwachsenen grundsätzlich mehrheitlich stark begrüßt. Als Vorteil eines Produktzuschnitts auf die Zielgruppe werden dabei vor allem günstigere Tarife in Kombination mit einer weniger umfangreichen Leistungsausgestaltung gesehen, da diese der Zielgruppe trotz ihres noch eingeschränkteren Budgets die Möglichkeit eröffnen, bereits in jungen Jahren Vorsorge zu betreiben.

Punkten können Versicherer dementsprechend bei jungen Erwachsenen unter anderem mit vergünstigten „Einstiegsprodukten“ sowie besonderen Konditionen, wie bspw. Beitragsrückerstattungen bei Schadenfreiheit oder zeitlich gestaffelten Beitragsmodellen. Diese Aspekte wurden von der Zielgruppe überwiegend in der qualitativen Phase als Ideen für Produkte und Services generiert (s. Abbildung 1) und in der quantitativen Phase auf ihre Attraktivität geprüft (s. Abbildung 2).

Abb. 1: Ideengenerierung in der qualitativen Phase: Gewünschte Produkte (Ergebnisauszug)

Abb. 2: Bewertung von Produktideen (Ergebnisauszug)

Zudem sollte das der Zielgruppe sehr wichtige Angebot an digitaler Kundenkommunikation und Vertragsverwaltungsmöglichkeit auf Online-Portalen ausgebaut werden. Als Zusatzservices stehen zudem vergünstigte Angebote im Bereich Freizeit sowie lebenspraktische Unterstützungsleistungen hoch im Kurs, wie beispielsweise Job-Börsen oder ein Beglaubigungs-Service (vgl. Abbildung 3).
Abb. 3: Ideengenerierung in der qualitativen Phase: Gewünschte Services (Ergebnisauszug)

Die Bedeutung von Internet, Facebook, Apps & Co.

Das zur Kennzeichnung der „Generation Y“ oft verwendete Merkmal ausgeprägter Technik-Affinität – insbesondere im Bereich der modernen Kommunikationstechnologien – lässt sich im Bereich des Finanzverhaltens der Zielgruppe nur teilweise bestätigen: Zwar zählt das Internet, gleichwertig neben der persönlichen Beratung, zu den Haupt-Informationskanälen für Versicherungsprodukte.

Bei den Beratungspräferenzen und beim Abschlussverhalten zeigt sich die Zielgruppe aber eher konservativ:

  • Beratung in den Geschäftsräumen des Beraters wird deutlich präferiert; Beratung via Skype oder über soziale Netzwerke hingegen mehrheitlich nicht gewünscht.
  • Zudem kommt für die meisten ein Online-Abschluss oder auch ein Abschluss per App – wenn überhaupt – nur bei einfachen Produkten in Frage.

Auch im Hinblick auf eine Präsenz von Versicherungsanbietern bei Facebook, Twitter & Co. überwiegt eine neutrale, teils aber sogar skeptische bis ablehnende Haltung. Zuviel „neumodischer Rummel“ bei Facebook, Twitter & Co. kann dem Image der Finanzdienstleister sogar schaden.

Finanzdienstleister tun daher gut daran, den Einsatz moderner Kommunikationstechnologien und -medien noch stärker auf die tatsächlichen Bedürfnisse und Wünsche der Zielgruppe auszurichten und sich auch im technikbezogenen Bereich auf diejenigen Serviceleistungen und Zusatzangebote zu fokussieren, die für die Zielgruppe „zählen“ (vgl. Abbildung 4).

Abb. 4: Bewertung von technikbezogenen Services und Positionierungsansätzen (Ergebnisauszug)

Insgesamt lassen sich auf Basis der Ergebnisse für die Kommunikation und Positionierung – für die Zielgruppe der Berufsstarter – unter anderem die folgenden Handlungsempfehlungen für Versicherer ableiten:

  • Da viele Berufsstarter die Kosten von Versicherungsprodukten nicht kennen und die Kenntnis bei geringen Prämien die Abschlussneigung steigern kann, sollten Versicherer auf die geringen Kosten hinweisen, die bei frühzeitigem Versicherungsabschluss oftmals bestehen.
  • Die bereits seit dem Jugendalter mit dem Internet vertraute Zielgruppe stellt hohe Anforderungen an die Homepage und die dort dargebotenen Informationen: Neben der Usability und einer guten Strukturierung der dargebotenen Informationen ist der Zielgruppe die sogenannte „Noob-Freundlichkeit“ (engl. noob = Neuling) wichtig, die ein Teilnehmer in einer der Online-Communities folgendermaßen umschreibt: „Informationen sind so aufbereitet, dass jeder sie verstehen kann. Man benötigt kein Fachwissen oder Hintergrundinformationen. Die Informationen entsprechen der Zielgruppe. Sie haben eine gute Didaktik. Fachwörter werden vermieden.“
  • Marketingaktivitäten dürfen der Zielgruppe angepasst sein, müssen dabei aber seriös bleiben. Werbung darf frisch und frech sein, muss aber ebenfalls ernsthaft anmuten. Auch in den Anforderungen an Image und Auftreten eines Anbieters erweist sich die Zielgruppe der jungen Berufsstarter – ebenso wie Studenten und Auszubildende – als teils „konservativ“: Ein allzu jugendliches Auftreten wird von der Zielgruppe abgelehnt.

Literatur

Brocke, M., Barschewski, C. & Ruholl, W. (2013) Schritt für Schritt. Market Research Online Communities in der Versicherungsbranche. Research & Results, 6, 38 – 41.

 

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