Munkes Mind Gendern… muss das denn sein?

Die Chefin mit ihrem Assistenten? Oder doch der Chef plus Assistentin? (Bild: picture alliance / photononstop | Eric Herchaft)
Ein Thema, zu dem beinahe alle Menschen eine Meinung haben, ist das Gendern. Häufig geht diese Meinung auch mit viel Emotionen einher. Und ja, ich gendere. Mache ich es gerne? Nein. So ehrlich bin ich. Ich gerate dabei immer wieder in Satzkonstruktionen, die kaum noch lesbar sind, so dass ich häufig vollständig neu formuliere, nur um diese Satzungetüme zu vermeiden – in diesen Momenten verfluche ich es. Jetzt mein persönlicher Widerspruch: Gendere ich aus Überzeugung? Ja.
Wer ist jetzt der Chef?
Darum gendere ich aus Überzeugung: „Der Chef betritt den Raum“. Wenn Sie bei diesem Satz einen Mann vor Ihrem inneren Auge haben, dann sollten Sie sich zumindest fragen, ob hier nicht ein unbewusstes Bias wirkt – und ob das generische Maskulinum wirklich so generisch ist. Stereotype werden automatisch aktiviert. Für mich stellt Gendern das Mittel dar, diesen Automatismus zu unterbrechen.
Das Argument gegen Gendern, also dass es die Sprache „zerstört“, ist für mich tatsächlich ein Argument dafür: Es stört die routinierte Verarbeitung auf positive Art – und reduziert unbewusste Verzerrungen.
Geschlechterklischees und Stereotype
Aber warum sollten wir uns als Marktforschende und Sprachensensibilisierte genauer damit beschäftigen? Grundsätzlich neigen auch wir dazu, in einfachen Kategorien zu denken. Welche Studie wird nicht auch nach Geschlecht und Alter ausgewertet? Und nicht jeder Screener bzw. jede Zielgruppendefinition ist frei von Rollenklischees und schreibt konventionelle Rollen fort, wenn beispielsweise haushaltsführende Menschen weiblich und Finanzentscheider männlich sind.
Auch Persona-Beschreibungen folgen immer wieder eher Stereotypen als einer fundierten empirischen Basis.
Die Marktforschung muss auch bei der Überwindung mithelfen
Jetzt könnten wir vermutlich wunderbar diskutieren, ob wir als Marktforschende nur gesellschaftliche Realitäten abbilden (müssen) oder auch einen aktiven Beitrag zu deren Überwindung leisten müssen.
Im ersten Schritt würde es mir schon ausreichen, wenn wir akzeptieren, dass es diese Realitäten in Form von unbewussten Verzerrungen gibt und diese zumindest unsere Wahrnehmung und unser Verhalten beeinflussen können.
Wir können das in unserer Branche auch schlecht leugnen. Schließlich propagieren wir implizite Verfahren zur Erfassung unbewusster Prozesse – und das klassische Einsatzgebiet dieser Verfahren waren und sind Geschlechts-, Alters- und Rassenstereotype.
Gendergerechte Sprache ist nur eine Facette von gelebter Vielfalt
Wir tragen bei diesem Thema aber auch eine Verantwortung als Arbeitgebende.
In der GIM haben wir daher zwei Beauftragte für Diversity und Gleichstellung, die unmittelbar an Geschäftsführung, Human Ressources und Betriebsrat angebunden sind. Wichtig ist uns hierbei vor allem auch das Thema Vielfalt: Geschlecht und sexuelle Orientierung sind nur zwei Dimensionen der Vielfalt. Wir wollen uns aber nicht auf diese beschränken.
Unser Ziel ist ein offenes und tolerantes Miteinander. Entsprechend gendern wir als Unternehmen und empfehlen dies auch unseren Mitarbeitenden – ordnen es aber nicht an. So widmen wir auch dem Thema “unconscious Biases” viel Aufmerksamkeit und bieten hierzu eine interne Fortbildung an. Wir kennen also Probleme durch unbewusste Verzerrungen, gehen diese frühestmöglich an, zum Beispiel mit interdisziplinären Gegenkontrollen (Querchecks). In der Forschung haben wir pragmatische Wege gefunden, damit umzugehen, das geht dann sogar ohne große Emotion. In der internen Kommunikation lassen sich Emotionen nicht so ausklammern. Hier geht es um Feingefühl und Weiterentwicklung in einem laufenden Prozess.
Über die Person
Dr. Jörg Munkes ist Geschäftsführer bei der GIM in Heidelberg, wo er seit knapp 20 Jahren tätig ist. Als promovierter Sozial- und Persönlichkeitspsychologe hat er die Entwicklung der quantitativen Forschung des Full-Service-Instituts über viele Jahre geprägt und dabei ein Faible für psychografische Zielgruppen-, Werte- und Markenforschung entwickelt. Als GIM-Geschäftsführer ist er unter anderem für das Business Development verantwortlich und gleichzeitig ein von Natur aus neugieriger Mensch –... mehr
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