- marktforschung.de
- Marktforschung
- Gemeinschaftsaufgabe "medienübergreifende Werbewirkungsforschung": Anstoß zur thematischen Weiterführung mit dem Ziel einer konvergenten Wirkungs-Währung
Gemeinschaftsaufgabe "medienübergreifende Werbewirkungsforschung": Anstoß zur thematischen Weiterführung mit dem Ziel einer konvergenten Wirkungs-Währung

Von Michael Pusler
Nach der Auflösung der Werbewirkungsoffensive Ad Impact Monitor (AIM e.V.) als gemeinschaftlicher, mediengattungsübergreifender Forschungsinitiative aller Printverlage Ende 2014 stellt sich (nicht nur mir) erneut die Frage, ob im Marktkonsens aller Beteiligten (Medien, Agenturen, Werbungtreibende) der Kardinalsfrage nach einem umfassenden empirischen Werbewirkungsmodell zum Nutzen der Werbewirtschaft noch Genüge getan werden kann. Oder ob nicht, wie bisher, doch wieder jeder sein Süppchen kocht und sich weiter – vom jeweiligen „Gegner“ ausgesprochen – dem Vorwurf aussetzt, seine Forschung belege doch nur den Vorteil der eigenen Mediengattung. Was sehr schade wäre.
Soll Forschung nicht nur der Selbstinszenierung der eigenen Mediengattung dienen, ist dringender Handlungsbedarf für eine Fortsetzung des Versuchs mediengattungsübergreifender Forschung geboten. Und eigentlich wäre es jetzt auch eine gute Zeit, da viele gute Lösungsansätze auch schon parat liegen. Werbungtreibende sind auch nicht in erster Linie daran interessiert, die Mediengattungen im Konditionenpoker gegeneinander auszuspielen, sondern im Konzert der Medienkanäle maximalen Wohlklang, sprich Effektivität, für optimalen Output – d.h. nicht nur kurzfristigen Absatzerfolg – zu realisieren. Und zur Verbesserung ihrer Markenkommunikation zu lernen.
Und da wird schon länger die „Customer Decision Journey“ als Erklärungs- bzw. Wirkungsmodell diskutiert, bei der es nicht um ein „Entweder oder“, sondern um ein „Sowohl als auch“ der Werbeträger, und das in der richtigen Dosierung, geht. Die Komplexität im Verständnis von Kaufentscheidungsprozessen erfordert es weiter, neben dem Beitrag der Medien auch den mündlicher Informationspflege (word of mouth – nicht nur dem sozialer Medien) oder aber below the line, POS- und weiterer nichtlinearer Kommunikationswege mit zu berücksichtigen. Und dabei sollten und dürfen – bei aller Berechtigung der monetären Kriterien – nicht nur (kurzfristige) ökonometrische Modellierungsansätze (wie z.B. der bei AIM zuletzt eingeführte „Shift Planner“, ein Planungstool, das den relativen Mehrwert von Printwerbung belegen soll) eine Rolle spielen. Die Reise, der beschrittene Weg, sollte weitergeführt und weiterentwickelt werden.
Sicher ist die Erforschung der Kaufentscheidungsprozesse auch nichts völlig Neues, und gerade bei höherpreisigen Gebrauchsgütern wie Pkws, Unterhaltungselektronik oder Dienstleistungen wie Versicherungen sind in zurückliegenden Jahren auch bereits viele Untersuchungen durchgeführt worden. Gemeinhin sind so genannte „high involvement“ Produkte für die Werbewirkungsforschung hier auch ergiebiger, lassen sich dabei doch bewusste rationale Kaufentscheidungsparameter leichter erfragen, als das bei risikolosen Kaufprozessen für den täglichen Bedarf der Fall ist. Dennoch sind auch für den Bereich schnell drehender Konsumgüter, so genannten „low involvement“ Produkten, Kaufentscheidungsprozesse relevant und verdienen der näheren Betrachtung in der Werbewirkungsforschung, weil es hier um den Aufbau (und die Pflege) von Markenpräferenzen geht.
Für die Werbewirkungsforschung stellen sich aus der Perspektive eines Werbungtreibenden eine ganze Reihe relevanter, weiter durch die Wirkungsforschung großteils unbeantworteter Fragestellungen:
- Wo im Entscheidungsprozess kommt mein Produkt ins relevant set, wo in die engere Wahl?
- An welchen Stellen im Entscheidungsprozess gerät mein Produkt ggfs. aus dem Fokus oder aber – vice versa – ist das des Konkurrenten am leichtesten verwundbar?
- Was bewirkt das weitere Angebot, der Wettbewerb?
- Welches sind die Gründe, im Kopf des Verbrauchers von der Liste gestrichen zu werden – je nach Phase im Entscheidungsprozess?
- Welche Rolle spielen bei der Kaufentscheidung Aspekte der Vertrautheit wie Markentreue?
- Welche Medienkanäle, welche Kommunikationsinhalte sind an welcher Stelle im Prozess geeignet, um eine Marke oder ein Produkt in die Einkaufsliste hinein zu nehmen?
Klassische Forschungsansätze wie Brand Trackings, Wettbewerbsanalysen oder Untersuchungen von Absatzwegen beantworten häufig nur Teilaspekte. Auch das AIM Markentracking konnte bzw. kann in seiner momentanen Form nicht alles abbilden. Dem Thema angemessen ist zudem ein ergänzendes technisches Cookie-Tracking, das auf Session Cookies ebenso zurückgreift wie auf persistente Cookies zu den Portalseiten der Markenartikler oder aber Plattformseiten. Nutzt man die Google Metriken, so könnten First-Party Cookies ebenso Verwendung wie Third-Party Cookies finden. Dennoch sollten sowohl klassische Wirkungs-KPIs wie Bekanntheit, Kaufinteresse etc., gepaart mit technischen Messgroßen fester Bestandteil eines jeden Werbewirkungs-Trackings sein. Aber um diese technischen Details der Operationalisierung soll es hier (noch) gar nicht gehen.
Vielmehr um die Wirkungsmodellierung und ihren Erklärungs- bzw. Begründungszusammenhang. Und dabei um die Frage, warum das Thema Consumer Decision Journey so relevant, und gleichzeitig so vielschichtig ist. Stichworte wie Touchpoint-Analyse, Purchase Funnel oder Multi-Channel-Management bestimmen seit einiger Zeit die Agenda der Marketing Optimierung bzw. des Marketing Controllings. Und das alles, weil Konsumentscheidungen immer schwieriger vorherzusagen sind. Kaufentscheidungsprozesse verlaufen heute immer weniger gradlinig. Während beim Vergleich von verschiedenen Angeboten z.B. von Unterhaltungselektronik oder Computer unterschiedlicher Hersteller z.B. die Bedeutung des Preises bis zum Kauf kontinuierlich an Bedeutung zunimmt, schwanken die Einflüsse von z.B. Aspekten wie Serviceleistungen, Zuverlässigkeit oder Lebensdauer des Produkts während der Entscheidungsphase. Häufig kommt es vor, dass sich Kaufentscheidungskriterien und ihre Gewichtung in den verschiedenen Phasen des Entscheidungsprozesses unterscheiden. Das gilt insbesondere bei komplexeren Anschaffungen, die mit einer gewissen Planungs- oder Vorbereitungsphase verbunden sind.
Nie war es schwerer als heute, Konsumentenverhalten zu prognostizieren. Denn nie hatte es der Verbraucher leichter, Produkte und Marken zu bewerben oder öffentlich zu kritisieren. Social Media wie Facebook und Twitter gewähren den Verbrauchern Mitspracherechte, das Marketingverantwortliche dazu zwingt, neue Wege zu gehen. Das klassische Modell des Purchase Funnel hat heute keine Bedeutung mehr, daher finden und definieren sich Entscheidungsvorgänge neu.
Die Consumer Decision Journey unterteilt McKinsey in vier Phasen und definiert diese wie folgt. In einer ersten „Erwägen“-Phase setzt sich der Verbraucher zum ersten Mal mit dem Gedanken auseinander setzen, ein Produkt zu erwerben. Dabei entstehen erst einmal lediglich spontane Assoziationen in Verbindung mit dem Produkt. Dieses wurde bewusst oder unbewusst bei Freunden und Bekannten, im Fernsehen oder vielleicht im Einzelhandel wahrgenommen.
In dieser Phase wird die Anzahl der Marken bereits so stark reduziert, dass zum Schluss nur wenige Produkte für die weiteren Phasen berücksichtigt werden.
In der nächsten Phase, dem „Bewerten“, beginnt die Aktivität seitens des Verbrauchers. Er fängt mit der Informationssammlung an. Diese findet heute verstärkt bei Freunden und Bekannten sowie auf Bewertungsportalen statt. An dieser Stelle zeigt sich, wie gut das Empfehlungsmarketing in einem Unternehmen implementiert worden ist und wie sehr es nun Wirkung zeigt.
In vielen Fällen kann die Entscheidung über den „Kauf eines Produktes“ im Einzelhandel, der dritten Phase, anders ausfallen als zunächst geplant. Hier spielt der Handel selbst, die Warenauslage am POS, die Kaufatmosphäre, als Filter eine große Rolle. Die Entscheidung für oder gegen ein Produkt kann allein aufgrund der Platzierung, der Verpackung oder der Beratung fallen.
Die vierte Phase „Nutzen und genießen, empfehlen, treu bleiben“ zeigt am deutlichsten, wie wichtig Empfehlungen geworden sind. Daher lohnt es sich, das Empfehlungsmarketing als ganzheitliches Unternehmensinstrument zu implementieren. Und im Übrigen belegt die Kundenbindungsforschung, um wie viel aufwendiger es ist, einen neuen Kunden zu gewinnen, als einen bestehenden zu halten.
„Nach dem Kauf ist vor dem Kauf“, so die Quintessenz aus diesem Entscheidungsmodell. Konsumenten beschäftigen sich nach dem Kauf noch intensiver mit dem Produkt als vorher, suchen die Bestätigung, sich richtig entschieden zu haben. Sie nutzen es und interagieren mit anderen Konsumenten, um die inzwischen gesammelten Erfahrungen auszutauschen und miteinander zu vergleichen. Besonders interessant ist die Erkenntnis, dass die Verbraucher sich bei manchen Produkten auch nach dem Kauf erneut darüber im Internet informieren. Der Besuch in Bewertungsportalen unmittelbar nach dem Kauf bleibt aber nicht der letzte Kontakt. Wer als Konsument seine eigene Erfahrung gemacht hat, kehrt in den meisten Fällen wieder dorthin zurück und berichtet darüber. Das kann bei einer negativen Erfahrung fatale Folgen haben. Bei einer positiven Erfahrung empfiehlt man das Produkt gerne weiter und kauft es bei Bedarf gerne wieder ein. So entsteht ein loyaler Kunde, der nun die ersten zwei Phasen – Erwägen und Bewerten – vernachlässigt und direkt zum Kaufen übergeht. Eine interessante, bislang noch nicht realisierte Vorgehensweise wäre es, dies in Form einer Selbsteinstufung in Werbetrackings mit zu erheben. Das sollte man wirklich mal versuchen, um so Wirkungs-KPIs, Cookie-Auslese mit Werbeausgaben und Kampagneninhalten in Zusammenhang zu bringen und inferenzstatistisch zu analysieren. Dies bietet die Möglichkeit, ein empirisches Modell zu finden, das im Zeitverlauf Konsumentengruppen im Hinblick auf Kommunikationserfordernisse und -erfolge qualifiziert, nicht einfach zur KPIs nach Zielgruppen beschreibt. Also z.B. der Wirkungsbeitrag eines oder mehrerer Medien bei Personen in der Abwägungsphase oder der Nachkaufphase.
Bis es zur Phase "Empfehlen und treu bleiben" kommt, können viele negative Erfahrungen entstehen, welche bei einer höheren Präsenz der Hersteller leichter entkräftet werden könnten. Dabei sollte sich die Werbung verstärkt an den bestehenden Kunden wenden und versuchen, ihn zu binden, statt immer wieder nach dem Prinzip „black box“ den potenziellen Neukunden anzugehen. Und die Forschungstools sollten dies aktiv unterstützen. Schließlich weiß man an dieser Stelle ja schon eine ganze Menge über den Kunden. Das impliziert zudem interessante Perspektiven für die Werbewirkungsforschung, die m.E. nicht zuletzt aufgrund der hohen Bedeutung von Konsumentenempfehlungen wesentlich stärker mit der Kundenzufriedenheitsforschung verknüpft werden und ihre Wirkungs-KPIs vermehrt dort festmachen sollte.
Das wäre doch mal eine interessante und zugleich den Markterfordernissen dienliche Herausforderung, der sich eine (wiederbelebte) gemeinschaftliche, konsortiale Werbewirkungsforschung (am besten aller Medienanbieter) stellen könnte. Und eine, die werbungtreibenden Unternehmen bei der Wahl ihrer Markenbotschaften und der eingesetzten Werbeträger wirklich weiterhilft. Und dieser Beitrag soll eine Einladung sein, sich wieder verstärkt gemeinsam dem Thema zu widmen. Denn nur so kann Glaubwürdigkeit in einem Feld angewandter Wirkungsforschung entstehen, das momentan leider nach wie vor, vielleicht auch mehr denn je, von partikularen Wettbewerbs- denn von Erkenntnisinteressen geprägt ist. Und vielleicht ist 2015 hierfür ja ein gutes Jahr für eine Neuorientierung.
Kommentare (2)
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden