Prof. Dr. Ivonne Preusser, TH Köln Future Work Skills: Agilität und Nutzer im Fokus der Arbeitswelt 4.0

Zukunftskompetenzen entwickeln – mit Blick auf Studium und Arbeitswelt
Die Studierenden von heute sind die Neuzugänge auf dem Arbeitsmarkt von morgen. Auch der Bildungs- und Entwicklungsauftrag von Hochschulen strebt das Ziel an, die Studierenden zu befähigen, in der globalisierten Welt der Zukunft erfolgreich zu agieren. Welche Kompetenzen werden Studierende für diese Arbeitswelt benötigen? Wie schätzen Unternehmen die Arbeitswelt der Zukunft ein?
Einer aktuellen Studie zur Hochschulbildung für die Arbeitswelt 4.0 zufolge sind 89 Prozent der Unternehmen der Ansicht, dass die Zusammenarbeit zwischen Teams in der Arbeitswelt der Zukunft wichtiger wird und in der Hochschulbildung überfachliche Kompetenzen (71 Prozent) an Bedeutung gewinnen. Ferner wird der stärkeren Verknüpfung von praktischen und theoretischen Lerninhalten (70 Prozent) eine hohe Relevanz zugeschrieben (Stifterverband Bericht 2016).
Auch aus Sicht der Hochschulen nimmt die Ausrichtung von Studium und Lehre auf - an aktuellen und zukünftigen Entwicklungen der Arbeitswelt orientierten - Kompetenzen einen hohen Stellenwert ein ("Employability"): Im Vordergrund der akademischen Ausbildung steht daher heute die Kompetenzorientierung - und nicht mehr die reine Wissensvermittlung. Vorlesungen und Seminare mit reiner Fachvermittlung erscheinen, auch aus hochschuldidaktischer Sicht, nicht mehr ausreichend, um Studierende auf die Anforderungen in der Arbeitswelt vorzubereiten.
Projekt- und problembasiertes Lernen anhand realer Fragestellungen aus der Unternehmenspraxis und der Einsatz neuer Arbeitsweisen wie Design Thinking ermöglicht eine produktive und kreative Lehr-/Lernkultur, in der lösungsorientiert zusammengearbeitet werden kann.
Es stellt sich daher die Frage, wie Lehre kompetenzorientiert gestaltet werden kann und wie Studierende bereits im Rahmen ihres Studiums Kompetenzen für zukünftige Handlungsfelder entwickeln können. Hierzu wird ein neu konzipiertes Lehrformat im Masterstudiengang Markt- und Medienforschung an der TH Köln vorgestellt: Einem projektbasierten Ansatz folgend, verbindet der Kurs verschiedene interaktive Lernmethoden und Design Thinking mit aktuellen Aufgabenstellungen aus der Praxis.
Hintergrund: Wandel in einer VUCA-Welt – Kunden und Agilität im Fokus
Nachfolgend werden Hintergründe und Entwicklungen in den Bereichen Management, Innovation und Arbeitswelt 4.0 angeführt, die Unternehmen vor die Herausforderung stellen, Kunden stärker in den Mittelpunkt zu rücken und Agilität zu fördern.
Veränderte Rahmenbedingungen in einer "VUCA-Welt": Diese Umwelt ist geprägt von zahlreichen Veränderungen und sprunghaften Entwicklungen (Volatility/Unbeständigkeit), wobei kaum vorhersehbar ist, wann welche Veränderungen auftreten (Uncertainty / Unvorhersagbarkeit von Ereignissen). Darüber hinaus wirken gleichzeitig viele verschiedene Elemente aufeinander ein (Complexity) und Mehrdeutigkeiten von Situationen oder Informationen bzw. Widersprüchen nehmen zu (Ambiguity/Ambivalenz). Eine solche VUCA-Umwelt bedeutet etwa, dass Entwicklungen weniger vorhersehbar und entsprechend schwieriger planbar werden.
1. Management: Wandel von der produkt- hin zur kundenzentrierten Strategie (Customer Centricity)
Kundenzufriedenheit goes Customer Centricity: Nicht nur vor dem Hintergrund von steigendem Wettbewerbsdruck und digitalem Wandel, sondern auch durch die Rollenänderung der Kunden ("Customer Empowerment") wird eine stärkere Kundenorientierung zu einer zentralen Zielgröße für Unternehmen. In den letzten Jahren hat daher eine konsequente Ausrichtung der unternehmerischen Prozesse und Aktivitäten auf die Bedürfnisse der Kunden ("Customer Centricity") verstärkte Aufmerksamkeit von Wissenschaft und Praxis erfahren: So bestimmt bei der Deutschen Telekom die Leitlinie "Customer delight drives our action" das Handeln aller Mitarbeiter – konzernweit. Und auch die Allianz stellt den Kunden ins Zentrum der neuen Strategie und setzt – gruppenweit – mit dem "True Customer Centricity"-Programm ein kundenorientiertes Ziel.
2. Innovation: Relevanz nutzerzentrierter Entwicklungen
Auch im Hinblick auf die Innovationsfähigkeit von Unternehmen wird eine Ausrichtung an den Bedürfnissen der Kunden zunehmend bedeutsam. So gilt eine fehlende Kundenorientierung als einer der Hauptgründe für das Scheitern von Innovationen. Denn obgleich die zunehmende Digitalisierung des Alltags - etwa durch Apps, Clouds oder das Internet of Things (IoT) - wachsendes Innovationspotenzial für Unternehmen bietet, straucheln digitale Geschäftsmodelle und technische Innovationen häufig am fehlenden Bedarf der Kunden oder an geringer Usability bei der Anwendung. Studien hierzu jedoch zeigen beispielsweise auf, dass eine frühzeitige Integration von Nutzern in den Entwicklungsprozess den Erfolg von Innovationen deutlich steigert.
Diese Ausrichtung an den Bedürfnissen der Nutzer (user-driven approach) gilt zunehmend als bedeutsamer Faktor, um möglichen Fehlentwicklungen schon frühzeitig begegnen zu können. In der Praxis gewinnen daher nutzerzentrierte Methoden wie z. B. das Design Thinking an Relevanz: Im Design-Thinking-Prozess kann z. B. der potenzielle Kunde schon in relativ frühen Konzeptionsstadien einen Prototypen ausprobieren und seine Meinung rückmelden sowie eventuelle Probleme bei der Nutzung sichtbar machen, was wiederum sehr wertvolle Informationen für die Weiterentwicklung liefern und das Floprisiko reduzieren kann.
3. New Work & Future Skills: Agilität bei Arbeitsformen und Kompetenzen
Die dargestellten Einflussfaktoren bestimmen nicht nur das heutige Wirtschaftsumfeld von Unternehmen in einer global vernetzten Welt, sondern führen auch zu tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitswelt. So bringen diese Entwicklungen komplexere Probleme und neuartige Fragestellungen hervor, für deren Lösung in Unternehmen zunehmend multidisziplinäre Teams in temporären Projekten benötigt werden.
Fundiertes Fachwissen ist daher nicht mehr alleiniger Garant für erfolgreiches Handeln: Teamfähigkeit, Kommunikations- und Problemlösefähigkeiten sowie interdisziplinäres, vernetztes Denken und innovative Lösungsfindung gewinnen an Relevanz und erfordern erweiterte Kompetenzen in neuen Arbeitsstrukturen (Future Work Skills).
So sind in Unternehmen zunehmend dynamischere Vorgehensweisen notwendig, die von bisherigen linearen Planungen ("Wasserfall-Modell") abweichen und schnellere Formen der Projektbearbeitung sowie iterative Arbeitsprozesse ermöglichen. Solche flexiblen und adaptiven Arbeitsformen prägen unter dem Begriff der Agilität die aktuelle und zukünftige Arbeitswelt, wo agile Methoden (z. B. Scrum, Kanban oder Lean Startup) bei Produktentwicklung und Projektmanagement zunehmend gefordert sind.
Dies setzt jedoch erweiterte Kompetenzen, neue Denkweisen und flexible Prozesse voraus, um sich schnell auf verändernde Kundenbedürfnisse und Marktanforderungen einstellen zu können.
Die sich verändernden Arbeits- und Lebenswelten ("VUCA") verlangen kontinuierliche Anpassungen und Weiterentwicklungen und verändern die zukünftigen Anforderungen an Kompetenzen und Fertigkeiten ("Future (Work) Skills") wie z.B. Design Mindset: Die Fähigkeit zur kreativen Problemlösung und der Nutzung von divergentem und konvergentem Denken wird zunehmend relevant, um in komplexen und unbekannten Situationen Lösungen zu entwickeln und Entscheidungen treffen zu können.
Mit Blick auf die dargestellten Herausforderungen haben in den letzten Jahren daher kundenzentrierte Managementansätze und Vorgehensweisen wie das Design Thinking an Bedeutung gewonnen. Vor diesem thematischen Hintergrund und ausgerichtet darauf ist das nachfolgende Lehrkonzept entstanden.
Kompetenzvermittlung im Masterstudiengang Markt- und Medienforschung der TH Köln
Die TH Köln bietet seit 2011 den Masterstudiengang Markt- und Medienforschung an. Im viersemestrigen Vollzeitstudiengang erwerben die Absolventen die Fähigkeit zur selbständigen Durchführung von Forschungsaufgaben in der beruflichen Praxis und qualifizieren sich für leitende Tätigkeiten. Für diesen Studiengang wurde ein Kurs-Konzept entwickelt, das auf projektbasiertem Lernen beruht und das mit wechselnden Kooperationspartnern realisiert wird: Die Studierenden sollen anhand von Fragestellungen aus der Praxis und mit dem Einsatz nutzerzentrierter Arbeits- und Forschungsmethoden aktuelle Herausforderungen der Arbeitswelt kennenlernen und als Lehrprojekt im Verlauf eines Semesters bearbeiten. Einen besonderen Stellenwert für die Bearbeitung dieser Projekte nimmt der Design-Thinking-Ansatz mit seiner Nutzerforschung ein, um Kundenbedürfnisse tiefergehend zu verstehen und "sichtbar" zu machen. Beim "Human-centered Design" ist der Mensch im Fokus - als Nutzer und Kunde, der im Mittelpunkt der Lösungen steht: Die prozessorientierte Herangehensweise im Projekt ist geprägt durch eine konsequente Ausrichtung auf das "Hineinversetzen" in die Nutzer und wendet hierbei ein breites Methodenspektrum und ein agiles Vorgehen an.
Darüber hinaus vereint und integriert das Design Thinking grundlegende Methoden der Marktforschung sowie der empirischen Sozialforschung und ist daher für Studierende ein originäres Anwendungsfeld. So gehören etwa die Erforschung von Konsumenten- und Nutzerbedürfnissen, die Entwicklung kundenorientierter Produkte sowie auch das Testen von Konzepten und Prototypen bei den Zielgruppen zum Methodenspektrum des Studiengangs.
Kursumsetzung: Der jeweilige Projektpartner bringt die aktuelle Fragestellung ein und stellt die Herausforderungen vor, denen sich das Unternehmen heute und in Zukunft stellen muss. Im weiteren Kursverlauf wird die Fragestellung anhand verschiedener Nutzergruppen (Stakeholder, Nutzer, Partner) und methodischen Vorgehensweisen (u.a. intensive Research, Ethnographie, Personas) bearbeitet und der Praxispartner aktiv eingebunden - z.B. bei einem gemeinsamen Design-Thinking-Workshop: Hierbei durchlaufen die multidisziplinären Teams die Stufen des Design Thinking-Prozesses und wenden verschiedene nutzerorientierten Methoden (z.B. Interviews, User Journey) und innovative Techniken selbst an - mit dem Ziel, ein gemeinsames Verständnis und erste Ideen zu entwickeln. Die Erkenntnisse werden von den Studierenden vertieft und am Semesterende im Rahmen eines innovativen Market-Place-Formats präsentiert: Die erarbeiteten Konzepte werden - den Leitgedanken entsprechend: ganzheitliche Betrachtung, über den 'Tellerrand hinausschauen' und Ideen für Nutzer erlebbar machen -den Projektpartnern sowie weiteren Praxisexperten vorgestellt und diskutiert.
Ein- und Ausblick im Hinblick auf Kompetenzen in Studium und Praxis
Die Studierenden von heute sind die Neuzugänge auf dem Arbeitsmarkt von morgen – und dieser ist von zunehmender Dynamik, Komplexität und Interdisziplinarität geprägt. Projektbasierte Lehrformate und eine Design-Thinking-Arbeitsweise (z. B. "human-centered", iterativer, offener Prozess, multidisziplinäre Teamarbeit, "agiles Mindset" etc.) ermöglichen es, die Studierenden bereits während des Studiums in die Lage zu versetzen, aktuellen Herausforderungen der Arbeitswelt mit innovativen Problemlösungen zu begegnen und ihre Kompetenzen praxisbezogen zu erweitern, ganz im Sinne von "über den Tellerrand hinausschauen – und in die Praxis hinein".
Über die Autorin: Prof. Dr. Ivonne Preusser lehrt an der Technischen Hochschule Köln. Ihre Lehrgebiete sind u. a. Psychologie, Kundenorientierung und Führung, Design Thinking, Leadership und Arbeitswelt 4.0. Promoviert hat sie an der Universität St. Gallen in Strategy & Management und war dort am Institut für Führung und Personalmanagement tätig. Langjährige praktische Erfahrungen bringt sie aus leitenden Funktionen u. a. im Bereich der Personal- und Unternehmensberatung mit.
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