"Höllenritt Wahlkampf"-Autor Frank Stauss im Interview "Für mich als Wahlkämpfer ist das Entscheidende, echte Menschen mit echten Antworten zu erleben und nicht einfach nur Datenströmen zu folgen"

Frank Stauss, Mitinhaber der Berliner Kommunikationsagentur BUTTER, ist Autor des Buches "Höllenritt Wahlkampf". Der studierte Politikwissenschaftler betreute zahlreiche Wahlkämpfe unter anderem für Gerhard Schröder, Peer Steinbück, Klaus Wowereit und Hannelore Kraft. Für seine Kampagnen erhielt er bereits fünf Mal den "Politikaward", den höchsten Preis für politische Kommunikation.
marktforschung.dossier: Herr Stauss, Sie haben über zwanzig Wahlkämpfe begleitet. Was sagen Sie zu dem aktuellen?
Frank Stauss: Den Wahlkampf 2013 zeichnet eine große Ängstlichkeit auf allen Seiten aus. Die Kanzlerin traut sich nicht, irgendeine substantielle Aussage zu treffen, da sie fürchtet, dann an Zustimmung zu verlieren. Der Herausforderer ist nach einem holprigen Start vorübergehend abgetaucht, um Fehler zu vermeiden. Grüne und Linke agieren völlig handzahm und die FDP begeht Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Kurzum: Alle langweilen sich, und das ist natürlich schrecklich für die Wahlbeteiligung.
marktforschung.dossier: Was macht Wahlkampf zu einem "Höllenritt", wie Sie ihn nennen?
Frank Stauss: Letztendlich die Unberechenbarkeit. Wir erleben in immer mehr Wahlen am Wahltag selbst Überraschungen - etwa 2005, als Gerhard Schröder nur ein mageres Prozent hinter Frau Merkel lag, obwohl alle einen zweistelligen Vorsprung der Union prognostiziert hatten. Oder die überraschende Abwahl von Jürgen Rüttgers 2010, mit der niemand gerechnet hatte. Insofern kann man sich nie wirklich sicher sein, bis der Wähler gesprochen hat. Das ist wiederum großartig aber auch sehr belastend für alle, die in einem Wahlkampf stecken.
marktforschung.dossier: In diesem marktforschung.dossier geht es um Wahlforschung. Welchen Einfluss haben schlechte Umfragewerte Ihrer Erfahrung nach auf Politiker im Wahlkampf?
Frank Stauss: Quantitative Umfragen haben natürlich motivierende oder demotivierende Wirkung auf die Wahlkämpfer. Vor allem aber beeinflussen sie die Berichterstattung massiv. Liegt man in den Umfragen hinten, wird man von der Presse schon schnell zum "Loser" erklärt, während alles, was der Frontrunner macht, als genial empfunden wird. Kommt das aber einmal ins Wanken, dreht sich das auch ganz schnell. Liegen Sie hinten, müssen Sie also als erstes diesen Automatismus durchbrechen und wieder Spannung ins Spiel bringen. Qualitative Umfragen hingegen können der Schlüssel hierfür sein. Wie ich in meinem Buch ausführlich beschreibe, waren sie der Schlüssel für die Erfolge unserer Kampagnen in Berlin 2011 oder auch im Bund 2005.
marktforschung.dossier: Inwiefern wird die Wahlkampf-Strategie bzw. -Kampagne an der Meinung der Wähler ausgerichtet?
Frank Stauss: In qualitativen Umfragen erfahren wir, welche Teile des Programmes zünden, welche nicht und wo der Gegner gegebenenfalls Schwachstellen hat. Damit kann man arbeiten, indem man die eigenen Stärken in den Mittelpunkt stellt und die Schwächen der anderen hervorhebt. Das eigene Programm umzuschreiben, geht aber gar nicht und wird sofort als unglaubwürdig erkannt.
marktforschung.dossier: Wie kann Wahl- und Meinungsforschung bei der Entwicklung einer Wahlkampfstrategie unterstützen?
Frank Stauss: Wir arbeiten nach Möglichkeit sehr früh mit Fokusgruppen und Tiefeninterviews, um Stärken und Schwächen klar erkennen zu können. Dabei lassen wir die Menschen gar nicht über eine Partei sprechen, sondern über ihr Leben im Alltag. Da kann man häufig erkennen, wo der Schuh wirklich drückt. Und das steht manchmal durchaus im Widerspruch zu einer Multiple Choice Umfrage mit vorgegebenen Alternativen.
marktforschung.dossier: Halten Sie die herkömmlichen Forschungsmethoden heute noch für ausreichend? Was halten Sie in diesem Zusammenhang von Social Media Analysen uns ähnlichem?
Frank Stauss: Für mich als Wahlkämpfer ist das Entscheidende, echte Menschen mit echten Antworten zu erleben und nicht einfach nur Datenströmen zu folgen. Alles, was darüber hinaus zur Verfügung steht, ist auszuwerten und an manchen Stellen hilfreich. Aber für die Arbeit selbst geht nichts über qualitative Forschung, bei der ich nach Möglichkeit auch unbedingt hinter der Scheibe sitzen will. Denn das muss auch mal gesagt werden: Nichts ersetzt am Ende die Intuition eines guten Wahlkämpfers. Am Ende geht es um Menschen - und die sind nun einmal unberechenbar. Sonst würde Hollywood bei all den Tests keinen Flop oder Überraschungshit mehr landen. Es passiert aber fast wöchentlich.
marktforschung.dossier: Dann hoffen wir auf einen spannenden Wahlkampf-Endspurt. Herzlichen Dank für das Interview, Herr Stauss!
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