Mathias Friedrichs, Director Consumer Insights GfK "Für langwierige ad-hoc Studien fehlt schlicht die Zeit"

Mathias Friedrichs, Director Consumer Insights GfK
marktforschung.de: Herr Friedrichs, Ihr Vortrag auf der GOR 19 hatte den Titel "Go beyond ad hoc research: Get inside the mind of consumers". Was können wir uns darunter vorstellen?
Mathias Friedrichs: Der Titel spielt darauf an, dass klassische studienbasierte Marktforschung in der heutigen Zeit allein nicht mehr ausreichend ist. Wir alle erleben ja tagtäglich, wie stark sich unsere Lebensrealität in den letzten Jahren – und ganz besonders seit der Einführung der Smartphones – verändert hat. Für uns ist es heute normal geworden, dass wir Informationen immer und überall abrufen können. Und dank Onlinehandel gibt es fast keine Grenzen mehr bei der Warenverfügbarkeit. Damit kommen ganz neue Wettbewerber auf den Markt, die die angestammten Platzhirsche immer mehr unter Druck setzen. Dieses hochdynamische Umfeld hat natürlich auch Einfluss auf unsere Branche und darauf, wie wir Marktforschung heute denken müssen. Für langwierige ad-hoc Studien fehlt schlicht die Zeit. Wer von uns möchte mehrere Monate warten, bis er die Antwort auf eine Frage bekommt? In manchen Kategorien kann sich in dieser Zeit die Marktrealität komplett wandeln. Entscheidungen müssen schnell getroffen werden. Wer zu lange wartet, hat verloren.
marktforschung.de: Diese zunehmende Beschleunigung - ist das Ihr persönliches Bauchgefühl?
Mathias Friedrichs: Nein, wir haben das Thema bei GfK auch empirisch sehr genau unter die Lupe genommen. Unsere Studie "Marketing Challenges 2017" basiert auf Interviews mit Marketingverantwortlichen in deutschen Unternehmen. Darin geben beispielsweise acht von zehn Marketingentscheidern an, dass sie davon ausgehen, künftig noch schneller entscheiden zu müssen. Das stellt natürlich hohe Ansprüche an die Daten.
marktforschung.de: Spielen Sie hier auf die Qualität der Daten an?
Mathias Friedrichs: Das war und ist natürlich ein ganz wichtiger Faktor für erfolgreiche Marktforschung. Unter dem aktuellen Zeitdruck wird das Thema sogar noch wichtiger. Denn es bleibt für Marketingentscheider in Unternehmen keine Zeit mehr, Daten zu prüfen oder zu hinterfragen. Sie müssen sich auf die Daten uneingeschränkt verlassen können.
Die Ansprüche der Marketingentscheider an die Daten sind aber noch allumfassender: Um schnell datenbasierte Entscheidungen treffen zu können, sollten die Daten spezifisch zugeschnitten und damit relevant sein. Nicht zu vergessen sind auch eine gute visuelle Strukturierung sowie eine einfache und schnelle Bereitstellung. Es gibt also in Summe vier klare Wünsche: hohe Qualität, Relevanz, einfacher und schneller Datenzugriff sowie gute Aufbereitung der Daten.
marktforschung.de: Und wie erfüllen Sie diese Ansprüche?
Mathias Friedrichs: Indem wir unseren Kunden Informationssysteme anbieten, in denen unmittelbar Daten abgerufen und analysiert werden können. Das heißt, unsere Kunden müssen nicht erst auf eine Erhebung warten, sie können sofort auf Informationen zugreifen. Ein sehr erfolgreiches Beispiel dafür ist unser Handelspanel. Hier liefern wir Informationen, welche Produkte wo und wann gekauft wurden. Allerdings wissen wir nichts darüber, wer diese Produkte gekauft hat, und wie der Weg zu dieser Kaufentscheidung verlief bzw. was die Gründe für den Kauf waren.
Das sind aber natürlich entscheidende Informationen für wirtschaftlichen Erfolg: Wir leben ja in einer Welt der gesättigten Märkte. Es gibt nur sehr wenige Beispiele für expandierende Kategorien. Das bedeutet: In der Regel können Unternehmen nur noch wachsen, wenn sie Wettbewerbern Marktanteile abnehmen. Aber dafür reichen Marktdaten alleine nicht mehr aus. Um erfolgreich zu sein, brauche ich als Produktmanager zusätzlich ein umfassendes Verständnis über die Konsumenten meiner Kategorie. Wer sind die Leute, die meine Produkte kaufen? Wer sind die Leute, die ich nicht erreiche? Und warum kaufen diese Personen meine Produkte nicht? Bin ich in den gleichen Kanälen aktiv, in denen auch meine Zielpersonen unterwegs sind? Bietet mein Wettbewerber etwas Besseres als ich? Und so weiter. Um all diese Fragen zu beantworten, haben wir ein eigenes Informationssystem entwickelt, die GfK Consumer Insight Engine.
marktforschung.de: Und diese Lösung erfüllt von Ihnen genannten vier Anforderungen an die Daten? Also Relevanz, einfacher Zugriff, gut Visualisierung und hohe Datenqualität?
Mathias Friedrichs: Die Consumer Insights Engine wurde von uns genau vor diesem Hintergrund entwickelt. Die Daten sind sofort verfügbar und werden regelmäßig aktualisiert und ergänzt, alle drei Monate gibt es ein Update. Das Online Dashboard haben wir in Co-Creation mit unseren Kunden entwickelt, um sicher zu stellen, dass die Informationen relevant und klar strukturiert wiedergegeben werden. Deshalb bieten zum Beispiel Infografiken beim Einstieg zunächst eine Übersicht, über die der Nutzer dann in verschiedene Themenbereiche tiefer einsteigen kann. Natürlich ist alles auch für eine Darstellung auf dem Smartphone optimiert, damit der Zugriff auf klar visualisierte Daten von überall möglich ist. Und ganz wichtig: Der Anwender kann die Daten nach unzähligen Variablen filtern. Damit bekommen unsere Kunden ohne lange Wartezeiten genau die Information, die sie für ihre Fragestellung brauchen. Die Zeiten, in denen hunderte Seiten lange Chartdecks gelesen werden mussten, sind damit vorbei.
marktforschung.de: Lassen Sie uns noch einmal auf den Punkt Datenqualität zurückkommen. Wie stellen Sie die sicher?
Mathias Friedrichs: Es gibt diverse manuelle und automatische Prüfschritte, die wir bei unseren Studien grundsätzlich durchführen. Darüber hinaus ist aber die Kalibrierung anhand unserer Handelspanel-Zahlen entscheidend. Den Kern der Consumer Insights Engine bildet eine Online-Studie, in der pro Quartal über 20.000 Personen zu ihrem Kaufverhalten von spezifischen Kategorien befragt werden. Um nun jeglichen methodischen Einfluss zu vermeiden, kalibrieren wir die Studiendaten hinsichtlich Marktanteil, Channel-Split online/offline und weiterer Variablen auf die entsprechenden Werte, die wir in unserem Handelspanel implizit messen. Das heißt, zum Beispiel, dass wir in den Daten der Consumer Insights Engine keinen überproportional hohen Anteil der Online-Kanäle ausweisen, obwohl wir die Studie online durchführen.
marktforschung.de: Das heißt, es werden sowohl Handelspanel- als auch Befragungsdaten integriert?
Mathias Friedrichs: Genau, aber wir fügen diesen beiden Datenquellen sogar noch zwei passiv gemessene verhaltensbasierte Datenquellen dazu. Zum einen crawlen wir Online Reviews, also die Bewertungen bei Internethändlern, in denen Konsumenten aktiv über ihre Produkterfahrungen berichten. Diese Review-Daten werden von einem KI-Programm strukturiert und analysiert. Dies ermöglicht einen authentischen Einblick in die Themen, die Konsumenten nach dem Kauf ihres Produktes am meisten beschäftigen.
Zum anderen integrieren wir das konsumrelevante Suchverhalten im Internet. Wir beobachten, auf welchen Internetseiten sich Konsumenten über Produkte informieren, wonach sie genau suchen und wo sie schließlich kaufen. Ebenso wie bei den Online Reviews, werden die Konsumenten hier nicht durch einen Einfluss irgendeiner Befragung beeinflusst.
Es sind also vier Datenquellen in der Consumer Insights Engine integriert, die sich gegenseitig ergänzen: Handelspanel-, Interview-, Online Review- und Online Browsing-Daten. Durch diese Kombination bekommen wir ein allumfassendes Bild der Kaufprozesse.
marktforschung.de: Jetzt haben wir viel über die Methode gesprochen. Lassen Sie uns doch mal über ein inhaltliches Fallbeispiel sprechen. Stellen wir uns vor, ich wäre zum Beispiel Sales Manager für einen TV Hersteller und mache mir Sorgen, weil ich zunehmend Marktanteil verliere. Wie können Sie mir helfen?
Mathias Friedrichs: Wäre ich Sales Manager, würde ich mich zunächst fragen, an welcher Stelle im Kaufprozess ich meine Kunden verliere. Passiert das unmittelbar vor dem Kauf oder lande ich erst gar nicht im Relevant Set? Diese Information liefert die Consumer Insights Engine gleich auf der Startseite. In der Beispielgrafik sieht man sehr deutlich, dass die dargestellte TV-Marke während der Consumer Journey kontinuierlich an Potenzial verliert.
41 Prozent der Konsumenten, die sich einen TV in dem genannten Quartal gekauft haben, haben diese Marke grundsätzlich in Betracht gezogen. Damit ist sie die zweitstärkste Marke im Consideration Set der Konsumenten. In die engere Auswahl kam die Marke aber nur noch bei 25 Prozent der TV-Käufer, was Rang drei entspricht.
Dann kam ein besonders großer Einbruch auf Rang sechs beim tatsächlichen Kauf. Nur sieben Prozent der Käufer haben sich für diese Marke entschieden – und das obwohl zunächst 41 Prozent der Konsumenten dieser Marke aktiv positiv gegenüberstanden. Das Problem liegt hier also darin, dass die Marke zwar in den Köpfen der Käufer gut verankert ist, sich sehr viele Konsumenten dann aber im Laufe der Consumer Journey für eine andere Marke entscheiden.

marktforschung.de: Und können wir auch analysieren, an welchen Wettbewerber die Marke diese Konsumenten verloren hat und was die Gründe dafür waren?
Mathias Friedrichs: Diese Fragen lassen sich mit wenigen Klicks beantworten. Insbesondere eine Marke profitiert hier sehr stark, es gibt also einen klaren Wettbewerber. Und die Gründe für den Wechsel liegen in diesem Fall bei einer Kombination aus Preis, Größe des TVs und den weiteren Features. Hier könnte man natürlich noch tiefer analysieren, um welche Features es hier konkret geht.

Darüber hinaus liefert die Consumer Insights Engine auch eine Beschreibung der Personen, die sich gegen die Marke entschieden haben. Im aktuellen Beispiel sind das eher Männer ohne Kinder in tendenziell eher jüngeren Altersgruppen. Auch hier gibt es noch weitere Variablen wie Einkommen oder Berufsstand, anhand derer man die verlorenen Konsumenten beschreiben kann.

marktforschung.de: Welche anderen KPIs sind denn noch verfügbar?
Mathias Friedrichs: Wir decken die komplette Consumer Journey ab – vom initialen Wunsch ein neues Produkt zu haben, über die Nutzung bestimmter Touchpoints bei der Recherche und dem Kauf bis hin zur ersten Produkterfahrung. Ganz wichtig: Unsere Kunden bekommen diese Info sowohl für den Gesamtmarkt, als auch für jede einzelne Marke. Sie haben also gleich ein relevantes Benchmarking zu ihren Wettbewerbern im Blick.
marktforschung.de: Für welche Produktkategorien und welche Märkte ist die Consumer Insights Engine verfügbar?
Mathias Friedrichs: Aktuell liegt der Fokus auf technischen Gebrauchsgüter – also große und kleine Haushaltsgeräte, IT-und Telekommunikations-Produkte sowie Consumer Electronics. Weitere Kategorien sind aber bereits in der Vorbereitung. Daten sind rund um den Globus verfügbar und zwar für Deutschland, USA, Brasilien, Spanien, Frankreich, Italien, Niederlande, UK, Russland, Indien, China, Südkorea & Japan. Polen und Chile folgen in diesem Jahr, weitere Märkte sind ebenfalls in der Planung.
marktforschung.de: Vielen Dank, Herr Friedrichs.
Weitere Informationen zum Unternehmen auf marktforschung.de:

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