Interview mit Achim Ruß, vormals Zurich Gruppe Deutschland „Für Golf fühle ich mich noch nicht reif genug“

Achim Ruß war über 20 Jahre betrieblicher Marktforscher bei der Zurich Gruppe Deutschland und ist aufgrund einer Vorruhestandsregelung kürzlich dort ausgeschieden. Wir sprachen mit ihm über seine Zukunftspläne, den Hintergrund seines Ausscheidens und warum es einen Unterschied macht, ob ein Unternehmen Marktforschungsprofis im Haus vorhält oder sich die Expertise nur bei Bedarf zukauft.

Achim Ruß im Interview

Herr Ruß, Sie waren 21 Jahre Marktforscher bei der Zurich Versicherung und sind jetzt mit Ende 58 Jahren im Vorruhestand. Ist es dafür nicht etwas früh?

Achim Ruß: Ich habe die Gelegenheit einer Vorruhestandsregelung genutzt, um meine privaten Pläne verwirklichen zu können. Insgesamt blicke ich auf über 25 Jahre Berufserfahrung als Marktforscher zurück, in der ich zuerst auf Institutsseite und später dann für verschiedene Unternehmen zahlreiche Marktforschungsprojekte realisieren konnte.

Die Zeit als Marktforscher für die Zurich Gruppe Deutschland war von vielen abwechslungsreichen und spannenden Projekten in verschiedenen Bereichen von Produktentwicklungen bis hin zu Kundenzufriedenheits- und Imageuntersuchungen geprägt. Der Kunde und seine Bedürfnisse spielten dabei immer eine zentrale Rolle.

Wie sehen Ihre Pläne aktuell aus? Ausführlich Zeitung lesen und Golf spielen?

Achim Ruß: Zunächst genieße ich die Freiheiten, meine Zeit selbstbestimmt einzuteilen und mich auf private Vorhaben wie den lang gehegten Wunsch, den Bootsführerschein zu machen, umsetzen zu können.

Für Golf fühle ich mich noch nicht reif genug.

Zukünftig kann ich mir gut vorstellen, meine beruflichen Erfahrungen aus der Marktforschung und mit der agilen Arbeitsweise in Projekte als externer Spezialist einzubringen.

Die Durchführung von Umfragen schreiben sich ja viele auf die Agenda. Was macht aus Ihrer Sicht den Unterschied, ob man eine betriebliche Marktforschungsabteilung hat oder diese Kompetenz z. B. durch Unternehmensberatungen zukauft?

Achim Ruß: Aus meiner Erfahrung kann eine betriebliche Marktforschung mit entsprechender Methodenkompetenz und Erfahrung die notwendige Qualität bei der Durchführung von Befragungen und Untersuchungen am besten gewährleisten. Dies trifft besonders auch auf DIY und automatisierte Lösungen zu, die nicht ohne die notwendige Fach- und Methodenkompetenz inhouse sinnvoll realisiert werden können.

Grundsätzlich geht es bei der betrieblichen Marktforschung nicht darum, Marktforschung auf Halde zu machen, sondern zielgerichtet alle Bereiche und Projekte in einem Unternehmen mit Customer Insights zu unterstützen und aktuelle Entwicklungen im Markt und bei den Wettwerbern mit dem entsprechenden Branchen-Know-how zu analysieren.

Zudem können interne Experten anders als externe Dienstleister für die effiziente Verbreitung und Vernetzung der Erkenntnisse im Unternehmen sorgen und Maßnahmen ableiten, die zur unternehmensspezifischen Strategie passen.

Seit Mitte 2021 waren Sie nicht mehr als Marktforscher tätig, sondern haben als Scrum Master bei der Zurich Teams dabei unterstützt, agiler zu werden. Wie passte das zu Ihrem Erfahrungsschatz aus der Marktforschung?

Achim Ruß: Die Streichung der zentralen Marktforschung als Arbeitsgebiet war für mich die Gelegenheit, meine langjährige Begeisterung für die agile Arbeitsweise beruflich realisieren zu können. Durch eine betriebsinterne Weiterbildung und externe Zertifizierung zum Scrum Master konnte ich die agile Transformation bei der Zurich Gruppe durch Grundlagenschulungen mit unterstützen und verschiedene Teams bei der Umsetzung agiler Arbeitsmethoden aktiv begleiten.

Das Arbeiten in agilen Projektteams mit dem Fokus, einen Mehrwert für den Kunden zu schaffen, passen sehr gut zu meinen Erfahrungen als Marktforscher kundenzentriert zu denken und zu agieren. Vor allem das grundlegende Prinzip des „Inspect and Adapt“ aus dem agilen Projektmanagement deckt sich mit meinem Verständnis der Marktforschung, die bestrebt ist, mit verschiedenen Methoden und neuen Ansätzen die Motivationen und Bedürfnisse von Menschen immer besser analysieren und verstehen zu können.

Was sind die besonderen Schwierigkeiten, wenn man als Team agil arbeiten möchte?

Achim Ruß: Grundlegende Voraussetzung ist, das gemeinsame Commitment für die Zusammenarbeit und das agile Mindset in einem Team zu schaffen. Wichtig ist das einheitliche Verständnis für das Ziel, das erreicht werden soll und die Verpflichtung aller Mitglieder eines Teams, dieses gemeinsam und eigenverantwortlich umzusetzen. Die Teams müssen lernen, sich selbst zu organisieren, skill- und generationsübergreifend zusammen zu arbeiten und Silo-Denken durch gegenseitige Unterstützung und durch ständiges Voneinander-Lernen zu überwinden.

In agilen Projekten mit Kundenbezug erscheint es mir wichtig, immer wieder die Meinung des Kunden einzubeziehen. Wie sind da Ihre Erfahrungen?

Achim Ruß: Bei agilen Projektteams, speziell in größeren skalierten Zusammenhängen ist es aus meiner Sicht wichtig, den Mehrwert für den Endkunden nicht aus dem Auge zu verlieren. Das zielgerichtete und zeitnahe Testen von Inkrementen mit geeigneten Methoden und Tools kann nur mit entsprechendem Know-how erfolgreich umgesetzt werden. Dies kann häufig nicht durch die einzelnen Teams geleistet werden und da spielt die betriebliche Marktforschung eine wichtige Rolle, die Projekte bei der Kundenzentrierung und der Umsetzung von Testverfahren zu unterstützen.

 

Über die Person

Achim Ruß studierte Politikwissenschaft an der Universität Mainz mit dem Schwerpunkt empirische Sozialforschung. 1996 wechselte er in die Marktforschungsbranche und betreute internationale Studien. 2000 kam er zur Zurich Gruppe Deutschland, für die er bis 2021 tätig war. Seine Arbeitsschwerpunkte waren dort quantitative und qualitative Marktforschungsprojekte in den Bereichen Kundenzufriedenheit, Produktentwicklung, Marke und Werbewirkung und Trendforschung. Er ist zertifizierter Scrum Master.

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