Fünf Jahre Forschung zu Social Media bei der Deutschen Telekom: Rückschau und Ausblick

Marco Ottawa (Telekom)

Von Marco Ottawa, Leiter Sekundärforschung & Sonderthemen, Telekom Deutschland GmbH

1) Historie

Vor fünf Jahren haben wir uns in der Marktforschung der Deutschen Telekom erstmalig mit der damals noch brandneuen Methodik der Social Media Analysen beschäftigt. Zu diesem Zeitpunkt sprachen wir noch von Forenanalysen, weil die sozialen Netzwerke, allen voran Facebook, bei Weitem nicht die heutige Reichweite besaßen. Nach zwei Versuchen mit im Nachhinein suboptimalen Anbietern, die uns das berühmte Lehrgeld gekostet haben, arbeiten wir seit zweieinhalb Jahren erfolgreich mit einem Dienstleister zusammen, der automatisch die relevanten Quellen auswertet, welche dann von Kommunikationswissenschaftlern manuell ausgewertet und nach ihrem Sentiment bewertet wird. Als Quintessenz aus zahlreichen Gesprächen mit Instituten, Wissenschaftlern und betrieblichen Marktforscherinnen stellt dieses Vorgehen derzeit das Optimum dar. Einer vollautomatischen Analyse von Social Media Beiträgen stehe ich bis auf weiteres skeptisch gegenüber, solange Dialekte und vor allem Ironie von linguistischer und semantischer Software nicht einwandfrei erkannt und in ihrem Kontext bewertet werden können.

2) Aktuelle Nutzung

In den letzten zwei Jahren hat sich bei uns ein relativ fixes Set an Berichten etabliert. Wir erhalten in aller Regel monatlich fertige Berichte zu unseren wichtigsten Produkten bzw. Produktgruppen, in denen u.a. die Reichweite, die wesentlichen Gesprächsthemen sowie die dazugehörige Sentimentanalyse dargestellt werden. Ergänzt werden diese Berichte zum einen um fallweise Alarmmeldungen, sogenannte Alerts, mit denen uns die Analysten auf i. E. besonders kritische Beiträge hinweisen. Wir als Marktforscher sehen uns dabei als Mittler, diese Beiträge in die zuständigen Fachabteilungen weiterzuleiten. Unsere eigene Aktivität bei der Analyse von Social Media besteht vorwiegend darin, Ad-hoc-Anfragen zu beantworten. Dazu haben wir die Möglichkeit, auf dem täglich von unserem Dienstleister aktualisierten Datenbestand selbst Suchanfragen zu formulieren und deren Ergebnisse zu analysieren.

3) Stärken und Schwächen unserer Social Media Analysen

3.1) Stärken

Für uns ist es vor allem wichtig, zu wissen, was, in welchem Maße und mit welcher Tonalität über unsere wichtigsten Produkte im Web 2.0 diskutiert wird. Das beinhaltet natürlich auch einen Blick auf die Konkurrenten. Im Gegensatz zur klassischen, vor allem qualitativen Forschung, ergibt sich auch die Möglichkeit, jede Meinungsäußerung im vollen Originalwortlaut zu lesen und ggf. sogar darauf zu reagieren. Letzteres ist allerdings nicht unsere Aufgaben als Marktforscher, sondern ein Thema von Vertrieb und Service. Unabhängig von klar vordefinierten Fragestellungen lassen sich auch weniger zielgerichtete Abfragen rund um die eigene Firma gestalten, um wichtige Themen und Trends, die einem selbst vielleicht bislang nicht in dieser Form bewusst waren, aufzuspüren.

Ein bei uns zunehmend an Bedeutung gewinnendes Einsatzgebiet ist die Vorbereitung von Primärstudien. Im Vorfeld von gerade qualitativen Primärstudien schalten wir verstärkt Social Media Analysen zu der betreffenden Fragestellung vor, um uns einen Überblick zu verschaffen, was zumindest die Web Community zu diesen Fragestellungen sagt. So lassen sich Interviewleitfäden zielgenauer gestalten und erhöhen die Qualität der Primärforschung. Eine von mir betreute Diplomarbeit hat sogar erwiesen, dass unter bestimmten Rahmenbedingungen ganze Primärerhebungen durch Social Media Analysen ersetzt werden können (vgl. Geisberger, Florian: Vergleichbarkeit von quantitativen Primärstudien und Webanalysen am Beispiel der Telekom Deutschland GmbH. Diplomarbeit an der FH Köln: Juni 2011).

3.2) Schwächen

Bei der Aufzählung ihrer Stärken klang die größte Schwäche der Social Media Analysen unterschwellig bereits mit an. Sie spiegeln das Meinungsbild einer schreibenden Minderheit (8% Creators) innerhalb der Web 2.0 Community wider, können aber keinen Anspruch auf über diese Gruppe hinausgehende Repräsentativität erheben. Die folgende Graphik soll das verdeutlichen.


Eine weitere Schwäche von Social Media Analysen im Vergleich zu herkömmlicher Marktforschung ist die Tatsache, dass man selbst bei einer großen Firma wie der Deutschen Telekom nicht zu jedem für die Firma relevanten Thema Beiträge im Netz findet. Man muss sich nolens volens damit anfreunden, nicht auf jede Frage eine Antwort zu erhalten, ein Faktum, das den mit Einzelexplorationen und Telefoninterviews groß gewordenen Marktforscher erst einmal überrascht.

4) Kennzahlen

Das für mich wichtigste ungelöste Problem im Umfeld der Social Media Analysen ist die fehlende verbindliche Währung für ihre Forschungsergebnisse. Wir kennen die AGOF-Zahlen, den NPS, TRI*M und weitere etablierte Kennzahlen, bei Social Media fehlt dergleichen noch immer. Mein Eindruck ist, dass sich jedes Unternehmen und jedes Institut seine individuellen Kennzahlen selbst "bastelt". Das mag innerhalb einer einzelnen Firma vielleicht noch angehen, stößt aber spätestens bei der Frage eines Geschäftsführers: "Und ist diese Reichweite nun gut oder nicht?", an ihre Grenzen. Ich plädiere deshalb stark dafür, interdisziplinär, will sagen gemeinsam mit Instituten, Wissenschaftlern und betrieblichen Marktforschern, ein verbindliches Set an Kennzahlen zu generieren, um endlich auch in Sachen Social Media eine Vergleichbarkeit zu erzeugen. Ich denke dabei an Kennziffern wie Reichweite (Buzz), Anteil der aktiven Nutzer, Anteil der Heavy User, Sentimentverteilung, vielleicht sogar an etwas wie eine Master-Kennzahl. Erste Ansätze dazu existieren dazu bereits, nur fehlt noch ein großer Rahmen oder eine große Institution, die dem ganzen Nachdruck verleiht. Vielleicht fühlt sich hier ja der BVM berufen. Ich würde mich jedenfalls über Rückmeldungen zu diesem Punkt freuen und auch gerne gegenüber BVM und Lehre in Vorleistung treten.

5) Ausblick

Neben dem soeben geschilderten Thema Kennzahlen ist für mich derzeit die Transformation der bislang fast ausschließlich für den Privatkundenbereich durchgeführten Social Media Analysen in das b2b-Segment eines meiner wesentlichen Ziele. Dieses Segment stellt für mich eine Herausforderung dar. Zum einen ist das Beitragsvolumen aus dem Geschäfts- deutlich geringer als aus dem Privatkundenbereich, zum anderen scheint ein nicht unerheblicher Teil der Kommunikation unter Geschäftskunden in Social Media in geschlossenen Benutzergruppen stattzufinden, wohin unsere Suchmaschinen für gewöhnlich nicht vordringen können.

Zum Schluss sei mir noch eine persönliche Einschätzung der zukünftigen Bedeutung von Social Media und ihrer Analyse erlaubt. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des mäßig erfolgreichen Börsengangs von Facebook glaube ich, dass der Höhepunkt des Social Media Hypes bereits überschritten ist (vgl. die zum Teil rückläufigen Nutzerzahlen sozialer Netzwerke in: Universal McCann: The Business of Social - wave 6 - Social media tracker 2012 (Deutschland), S.14). Gleichwohl bin ich der festen Überzeugung, dass diese Medien nicht in die Bedeutungslosigkeit absinken werden, bieten sie doch allen Menschen mit Internetzugang ein Forum zur Selbstdarstellung. Vielmehr wird m.E. die Forschung rund um Social Media an Bedeutung gewinnen und sich dauerhaft als Teildisziplin der Marktforschung etablieren, eine Einschätzung die auch fast 80% der deutschen Unternehmen teilen (siehe planung & analyse/research tools: Social Media-Reserach in Deutschland. August 2011, S.32).

 

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  1. Hans-Werner Klein am 05.07.2012
    Danke Marco, ein sehr guter Artikel, der zeigt, welche Möglichkeiten die Mafo im Thema Social Media hat - welche Schwierigkeiten aber auch noch bestehen. Schade wäre es in der Tat, wenn der Mafo ein Forschungsgegenstand noch vor einer Einigung auf Metriken und Standardisierung verschiede.

    Trotz der heutigen Meldungen in den Medien (Sommerloch oder laufen Facebook die Kunden weg?)wird es Facebook, Twitter & Co. wohl noch eine Weile geben. Allerdings: die Themen Datenschutz, die Wandlung des Nutzers zum Produkt und die fehlende echte Nutzeransprache stehen sowohl einer Expansion wie auch der Forschung im Weg. Ich sehe da Chancen zu einem Paradigmenwechsel, von dem Social Media Netze, Industrie, Nutzer und die Forschung profitieren könnten.
    Zu einem Paradigmenwechsel tragen solche fundierten Artikel wie Deiner bei.

    Danke

    Hawe

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