Von schwarzen und von weißen Schafen in der Marktforschung Forschst Du noch oder fälschst du schon?

Sie sind der natürliche Feind der Repräsentativität. Und es gibt sie, seitdem es Markt- und Meinungsforschung gibt: Fälschungen und Manipulationen bei der Erhebung von Umfragedaten.

Von Eva Hammächer

Die Ergebnisse einer jeden repräsentativen Umfrage erweisen sich als wertlos, sobald sich herausstellt, dass sie auf gefälschten oder manipulierten Daten beruhen. Dabei sind die Formen und Möglichkeiten der Manipulation bei der Datenerhebung in der Markt- und Meinungsforschung vielfältig und reichen von der unbewussten Beeinflussung durch den Befrager bis hin zu vorsätzlichen Fälschungen von Interviews. Letztere kommen vermutlich häufiger vor, als es gängige Kontrollmechanismen ans Tageslicht bringen können. Ein Problem, mit dem die Branche immer stärker zu kämpfen hat, ist die kontinuierlich sinkende Bereitschaft in der Bevölkerung, an Befragungen teilzunehmen. Eine Mitschuld hieran trägt unter anderem das Direktmarketing mit aufdringlichen Verkaufstelefonaten, aber auch Umfragen, die den Befragten am Ende wesentlich mehr Zeit kosten als ursprünglich angekündigt. Befragte werden zu einer knappen Ressource – repräsentative Stichproben zu bekommen, wird so zu einer Herausforderung für die Feldforschung. Die Interviewer müssen immer länger und härter arbeiten, um ihre Quoten zu erfüllen. Hinzu kommt der steigende Zeit- und Kostendruck, der auf den Instituten lastet und in Form von niedrigen Honoraren an so manchen Interviewer oder Mystery Shopper weiter gegeben wird – ein Umstand, der zu Manipulationen förmlich einlädt.

Systematisches Fälschen am heimischen Küchentisch – der Fall Dorroch

Ein Extrembeispiel für das systematische Fälschen von Interviews ist der Fall Heiner Dorroch: Seit Mitte der Siebziger Jahre war der arbeitslose Maschinenschlosser als Interviewer für namhafte deutsche Meinungsforschungsinstitute tätig. 19 Jahre lang lebte er davon, dass er systematisch Interviews fälschte. In den Interviewer-Netzen einiger Institute war er sogar unter verschiedenen Namen mehrfach vertreten. Am Ende von zwei Jahrzehnten Fälscher-Tätigkeit schrieb er über diese Zeit ein Buch und veröffentlichte 1994 den "Meinungsmacher-Report" mit dem vielsagenden Untertitel "Wie Umfrageergebnisse entstehen". Dorrochs Report ist eine Abrechnung mit der Demoskopie und deren Instituten, denen er Nachlässigkeit und Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen der Interviewer vorwirft. Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL (26/1994) griff die Geschichte damals auf und widmete ihr unter dem Titel "Ohrfeige an der Haustür" mehrere Seiten. "Schummelei bei der Datenerhebung ist weit verbreitet, viele Umfrageergebnisse sind nachlässig ermittelt, die Zahlen dubios.", heißt es dort im Lead des Artikels und an anderer Stelle: "In der Branche, die auf jede Frage eine Antwort liefert, wird mächtig geschlampt." Der Fall Dorroch – für die Medien eine dankbare Geschichte, für das Image einer Branche, die seit ihren Anfängen immer wieder unter den Verdacht gerät, "Politik mit falschen Zahlen" (SPIEGEL 37/1976) zu betreiben und die öffentliche Meinung zu manipulieren, jedoch ein ernsthaftes Problem.

Die Gründerin des Instituts für Demoskopie (IfD) in Allensbach, Elisabeth Noelle-Neumann, widmet dem Fälscher-Problem in ihrem Buch "Alle, nicht jeder" (2004) ein eigenes Kapitel und führt am Beispiel Dorroch vor Augen, wie sehr das Ansehen der Branche in der Öffentlichkeit durch solche Fälle und die begleitende einseitige Medienberichterstattung Schaden nimmt. Sie stellt  allerdings klar: "Quasiprofessionelle Fälscher sind selten." Doch zeige der Fall Dorroch auf, dass auch bei konsequent durchgeführten Qualitätskontrollen damit zu rechnen sei, dass drei Prozent der Face-to-Face-Interviewer den Fragebogen bei sich zu Hause ausfüllen. Eine konsequente und kontinuierliche Kontrolle der Interviewer mit allen Möglichkeiten sei daher unentbehrlich und ebenso wichtig wie Fragebogen und Quoten-, bzw. Adressenvorgaben, die den Interviewer nicht überfordern. Eine nachträgliche Überprüfung der Interviewer-Kartei des IfD ergab, dass sich Dorroch auch in Allensbach zwei Mal unter falschem Namen als Interviewer beworben hatte. Beim Probeinterview war er allerdings in die eingebauten Fälscher-Fallen getappt, so dass es nie zu einer Zusammenarbeit kam.

Interviewer: Honorare und Zeitaufwand stehen in keinem Verhältnis

Doch wo drückt heute so manchen Interviewer, Panelisten oder Testkäufer eigentlich der Schuh? Wirft man einen Blick in Online-Verbraucherforen wie CIAO oder dooyoo, so bekommt man zwar kein repräsentatives Bild, zumindest aber einen Eindruck: Vergütungen stehen demnach oft in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Zeitaufwand und werden häufig erst verspätet oder manchmal sogar gar nicht ausgezahlt. Interviewbögen verschwänden oder würden angeblich nicht vollständig oder unkorrekt ausgefüllt und somit auch nicht honoriert, heißt es dort. Bei Panel-Umfragen würden kurz vor Umfrageende "technische Probleme" gemeldet und der Befragte für seinen zeitlichen Aufwand am Ende nicht entschädigt. Die Kommunikation mit den Instituten im Falle von Problemen sei  unzureichend, Reklamationen würden häufig ignoriert. Oftmals münden die Erfahrungen mit so manchem Institut in das Fazit "nie wieder…!". Natürlich sind derartige Foren-Einträge mit Vorsicht zu genießen, ignorieren sollte man sie trotzdem nicht. Bestätigen sie doch auch das strukturelle Problem, dem auch ihre Auftraggeber – insbesondere die Feldinstitute – gegenüber stehen: Sie bewegen sich immer mehr im Spannungsfeld zwischen Qualität und knapper Kalkulation. Und da werden schon mal seitens der Feldforscher Zweifel laut, ob valide Daten vor dem Hintergrund einer stagnierenden und teilweise rückläufigen Preisentwicklung und daraus resultierenden geringeren Honoraren überhaupt noch geliefert werden können (Fieldwork live, Research & Results 3/2008). Mitverantwortlich sind oft die Auftraggeber selbst, die zu viel Leistung für zu wenig Geld verlangen.

Zum Fälschen angestiftet – der Fall Demoscope

Wohin der hohe Zeit- und Preisdruck, der auf den Instituten lastet, führen kann, zeigt der Fall Demoscope. Demoscope ist eines der größten Schweizer Marktforschungsinstitute, das 2008 die Medien und die Branche in Aufruhr versetzte: Die 17-jährige Schülerin Sabinne Langhart, Interviewerin im Callcenter von Demoscope, wendete sich im Mai 2008 mit der Aussage an das größte Schweizer Konsumentenmagazin K-Tipp, sie und ihre Kolleginnen würden von ihren Vorgesetzten dazu gedrängt, Interviews zu fälschen. "War es schwierig, für eine Telefonbefragung genug Personen zu finden, wurden wir von den Vorgesetzten angewiesen, Interviews zu frisieren oder gar zu erfinden", so Langhart gegenüber dem Schweizer Tagesanzeiger. Insbesondere bei Studien im Finanzbereich war es schwer, Personen für ein Interview zu gewinnen, so dass hier am meisten gefälscht wurde, um die Quote zu erreichen. Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe hat Demoscope sein Telefonlabor in Winterthur vorübergehend geschlossen.

Dass solche Fälle an die Öffentlichkeit gelangen, ist eher die Ausnahme, es wird sie jedoch immer wieder geben – auch wenn sich solche Praktiken primär im Verborgenen abspielen. Dabei verstoßen sie eindeutig gegen die Richtlinie des Europäischen Verbandes für Markt- und Meinungsforschung (ESOMAR), wonach sich Marktforscher ethisch korrekt verhalten müssen, also nichts tun dürfen, was dem Ruf der Branche schaden könnte.

Unternehmensethik als Wettbewerbsvorteil?

Eine MBA-Arbeit nahm 2008 den Fall Demoscope als Aufhänger, um sich mit der "Unternehmensethik in der Schweizer Marktforschung" zu beschäftigen. Die Studie untersuchte drei Schweizer Marktforschungsinstitute (darunter auch Demoscope) auf die Frage hin, inwieweit ethisches Verhalten stützende Handlungsgrundsätze und Verhaltensrichtlinien in die organisatorischen Prozesse eingebunden sind. Die Einführung ethischer Standards – beispielsweise in Form eines "Code of Conduct" oder eines Mission Statements – in die Unternehmenskultur fördere aus Sicht des Autors auch ethisches Verhalten bei den Mitarbeitern. Er stellt eine Vielzahl konkreter Ansätze vor, wie diese ethischen Standards sowohl auf Verbands- als auch auf Institutsebene zum Leben erweckt werden. Eine davon ist die Einrichtung einer unabhängigen, ethischen Anlaufstelle im Unternehmen, die keine Umsatzziele verfolgt, aber über die nötigen Handlungskompetenzen verfügt, wenn eingegriffen werden muss. Demoscope hat eine solche Instanz beispielsweise nach dem Fälschungs-Skandal eingeführt.

Eine vergleichbare Beschwerdestelle gibt es in Deutschland auf Verbandsebene: Seit 2001 sorgt der Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung e.V. für die Einhaltung der Grundsätze, auf denen Markt-, Meinungs- und Sozialforschung fußt. Bei Verstößen gegen die Standesethik spricht er Ermahnungen, öffentliche Rügen oder auch Empfehlungen für einen Verbandsausschluss aus.  Bisherige Rügen erfolgten jedoch primär, wenn die strikte Abgrenzung von forschungsfremden Tätigkeiten wie Direktmarketing und Werbung nicht klar vorgenommen wurde. Auch wenn die meisten Institute absolut seriös und zuverlässig arbeiten, ist das grundsätzliche Problem bei der Umsetzung ethischer Grundsätze in der Marktforschung, dass diese im Rahmen der Selbstregulierung erfolgt. Dies bedeutet, die Institute müssen selbst darum bemüht sein, dass die festgeschriebenen Verhaltensgrundsätze auch gelebt werden. Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser. Zusätzlich zu den unerlässlichen kontinuierlichen Qualitätskontrollen der Institute können Transparenz (auch in Form von Meinungsäußerungen in Online-Verbraucherforen) und vor allem der Austausch der Institute untereinander dazu beitragen, dass unseriöse Vorgehensweisen schwarzer Schafe ans Tageslicht befördert werden. Ein öffentliches "Shaming and Blaming" bewirkt, dass sich diese Institute am Markt nicht halten können und langfristig von der Bildfläche verschwinden – alle am Umfrageprozess beteiligten würden davon profitieren und das Image der Branche ebenso. 

 

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  1. Betrieblicher Marktforscher am 05.03.2012
    Als ehemaliger betrieblicher Marktforscher begrüsse ich diesen Artikel sehr. In meiner damaligen Tätigkeit haben wir tatsächlich ALLE Feldinterviews (und das waren viele) von einem unabhängigen Institut nachprüfen lassen. Mehr als 70% nachprüfbar korrekte Interviews haben wir nie zusammenbekommen (was NICHT heisst, dass die anderen 30% falsch gewesen wären - viele sind nur nicht erreichbar für ein Kontrollinterview). Dennoch kein besonders befriedigendes Ergebnis.

    Das Problem bei der Einhaltung von Qualitätsstandards ist natürlich, dass KEINE Instanz am Prozess (Marketing, Marktforscher, Institut, Feld) ein wirtschaftliches Interesse daran hat, Qualitätsprobleme anzuerkennen. Hier kann nur eine konkurrenzübergreifende Initiative aller Institute, sich einem "Qualitätstüv" zu stellen, Abhilfe schaffen.

    Diese "geprüfte Qualität" ist m.E. auch die schärfste Waffe der Institute gegen die zunehmende "Do-it-Youself" Mentalität, die durch die leichte Verfügbarkeit von Survey-Tools bei vielen Kunden entsteht.

    Hier sind die großen Institute aufgefordert branchenweite Standards zu schaffen und systematisch Fälschern das Handwerk zu legen. Dazu gehört natürlich auch das Poolen von Interviewerbeurteilungen.

    Dagegen bringt der Ruf nach "fairer Bezahlung" überhaupt nichts, da der Kunde gar nicht wissen kann, welche Kosten effektiv für die Feldarbeit aufgewendet werden. Schreiben Sie heute eine Studie aus, so ergeben sich sehr leicht Kostendifferenzen von 100%. Das führt auch zur Verunsicherung bei den Kunden, der dann im Zweifelsfall das billigste Angebot kauft. Das führt zu der Forderung, in allen Angeboten die Kosten für die einzelnen Dienstleistungen transparent zu machen, damit klar wird, wer an Feldkosten spart und wer an Overheads. Auch hier wäre eine Vorgabe seitens des "Qualitätstüvs" notwendig, wie ein korrektes Angebot aufzuschlüsseln ist.
  2. Holger Geiߟler am 05.03.2012
    Gut gemacht, Frau Hamächer! Ich finde es gut, dass so ein Artikel hier mal geschrieben wurde.
  3. Michael Schaaf am 08.02.2013
    Einen sehr guten Beitrag zu diesem Thema hat Joerg Ermert auf dem BMV-Blog veröffentlicht:

    "Qualität hat ihren Preis"
    http://bvm.org/blog/?tx_t3blog_pi1%5BblogList%5D%5Bday%5D=23&tx_t3blog_pi1%5BblogList%5D%5Bmonth%5D=01&tx_t3blog_pi1%5BblogList%5D%5Byear%5D=2013&tx_t3blog_pi1%5BblogList%5D%5BshowUid%5D=6&cHash=72dfc67b36f0457ff3fe5780b532a1bc

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